Landwirtschaft im 21. Jahrhundert

Forscher suchen nach der Blaupause für die Landwirtschaft der Zukunft

24.02.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Forscher der Metastudie sehen in  Konzepten wie der Agro-Forstwirtschaft besonders großes Potenzial. (Bildquelle: © Marco Schmidt/ wikimedia.org/ CC BY-SA 2.5)

Die Forscher der Metastudie sehen in Konzepten wie der Agro-Forstwirtschaft besonders großes Potenzial. (Bildquelle: © Marco Schmidt/ wikimedia.org/ CC BY-SA 2.5)

Wie können in naher Zukunft 10 Milliarden Menschen ernährt werden – und darüber hinaus? Eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit. Viele sehen in der ökologischen Landwirtschaft das größte Potenzial. Agrarwissenschaftler haben daher nachgehakt, ökologische und konventionelle Landwirtschaft verglichen. Ihr Fazit: Aus heutiger Sicht ist weder der eine noch der andere Ansatz für sich genommen zielführend. Was es braucht, sind innovative Ansätze und Konzepte.

Der 1971 eröffnete Naturkostladen „Peace Food“ im Berliner Stadtteil Schöneberg gilt allgemein als Epizentrum des Biobooms in Europa. Was damals im Herzen Berlins als fixe Geschäftsidee eines Paares entstand, ist heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen, in der Provinz wie in der Metropole. Obwohl der  ökologische Landbau und die Biobranche statistisch betrachtet  Nischenmärkte sind, findet das Konzept hierzulande immer mehr Zuspruch. Viele sehen in ihr die Blaupause für die Landwirtschaft der Zukunft: artgerecht, umweltfreundlich, sozialverträglich, rentabel, rund um nachhaltig. Doch taugt sie, um zukünftig die Menschheit zu ernähren?

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Viele sehen im Ökolandbau die Zukunft: artgerecht, umweltfreundlich, sozialverträglich, rentabel, rund um nachhaltig.

Viele sehen im Ökolandbau die Zukunft: artgerecht, umweltfreundlich, sozialverträglich, rentabel, rund um nachhaltig.

Bildquelle: © Markus Walti/ pixelio.de

100 Studien und ein Fazit

Im Rahmen einer globalen Metastudie haben zwei amerikanische Forscher das Konzept des Ökolandbaus auf seine Tragfähigkeit untersucht und dafür rund 100 Studien durchforstet. Ziel war eine Gegenüberstellung bisher gesammelter Fakten für alle, die angesichts der Vielzahl von Studien zum Dauerbrenner „Ökologische versus konventionelle Landwirtschaft“ mittlerweile Probleme haben, den Überblick zu behalten und sich sachlich und frei von jeder Ideologie eine Meinung zu bilden. Ihr Fazit: Stand heute wird die ökologische Landwirtschaft nicht in der Lage sein, in naher Zukunft 10 Milliarden Menschen zu ernähren. Natürlich, so Erstautor John Reganold, dürfe dies nicht als Blankoscheck für die konventionelle Landwirtschaft verstanden werden oder als Aufruf, nur auf die Produktivität zu achten. Dennoch betont er: „Keine Landwirtschaft, egal ob konventionell oder ökologisch, kann als uneingeschränkt zukunftsfähig betrachtet werden, wenn sie nicht in der Lage ist, Nahrungsmittel dauerhaft und in ausreichender Menge und Qualität anzubieten.“

Auf Aufholjagd

Gleich zu Beginn gingen die Forscher auf den klassischen Vorwurf ein, die Flächenproduktivität  im Ökolandbau sei zu niedrig, um die Menschheit zu ernähren. Eine Behauptung, die pauschal nicht mehr zutrifft, wie die Studie zeigt. Insbesondere bei den Grundnahrungspflanzen Reis, Mais und Soja gelang es Ökobauern in der Vergangenheit immer häufiger, bis auf wenige Prozentpunkte (6% ) an das Ertragsniveau ihrer konventionell wirtschaftenden Kollegen heranzukommen. Aufholbedarf besteht hingegen immer noch  bei Weizen, Obst und Gemüse (bis zu 30% Differenz).

Vorteile bei Trockenheit

Zudem fanden die Forscher Indizien, dass der Produktivitätsvorsprung in Zeiten des Klimawandels schrumpfen könnte. Mehrere Studien weisen nach, dass der Ökolandbau in Trockenperioden stabilere, zum Teil sogar höhere Erträge liefert als die konventionelle Landwirtschaft. Als Grund wird allgemein die höhere Wasserspeicherkapazität ökologisch bewirtschafteter Böden genannt. Vieles, so die Forscher, spricht daher dafür, das „Sorgenkind“ der ökologischen Landwirtschaft, die Produktivität, nicht gänzlich abzuschreiben. Dennoch ist es nach wie vor so, dass die Produktivität die größte Schwachstelle ist. Und wie sieht es in anderen Punkten aus?

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Wie wird die Landwirtschaft in Zukunft aussehen? Und wird sich im Zuge einer Anpassung auch unser Landschaftsbild verändern?

Wie wird die Landwirtschaft in Zukunft aussehen? Und wird sich im Zuge einer Anpassung auch unser Landschaftsbild verändern?

Bildquelle: © Oliver Mohr/ pixelio.de

Vorteile des Ökolandbaus

Die Prüfung mehrerer Studien zum Schwerpunkt Nährwert ergab, dass pflanzliche Nahrungsmittel aus ökologischer Produktion generell besser abschneiden. Sie enthalten u.a. höhere Mengen an Vitaminen, Antioxidantien und Omega-3-Fettsäuren. Gleichzeitig kommen Konsumenten beim Verzehr mit deutlich weniger Pestizidrückständen in Kontakt. Ebenfalls positiv wirkt sich nach Auswertung der Studien die Umweltverträglichkeit des Ökolandbaus aus, wie u.a. die höhere Artenvielfalt (Biodiversität) der Flora und Fauna oder die allgemein höhere Bodenqualität beweisen.

Eine Frage der Statistik?

Andererseits, mahnen die Forscher, müsse genau hingeschaut werden, wenn das ökologische Zeugnis ausgestellt wird. Wie auch n einer jüngsten Studie des Industrieverbands Agrar (IVA) erarbeitet wurde, die speziell nur die Situation für Deutschland  untersucht hat,verdichten sich die Anzeichen, dass die ökologischen Vorteile des Ökolandbaus schrumpfen, sobald nicht die bewirtschaftete Fläche zugrunde gelegt wird, sondern der Ertrag oder das Produkt. Ein Umstand, der der niedrigeren Flächenproduktivität geschuldet ist und den Ökolandbau in puncto Biodiversität, Stickstoffemissionen und -verlusten sogar schlechter abschneiden lässt als die konventionelle Landwirtschaft.

Premium ist nicht alles

Ob sich das Konzept des Ökolandbaus durchsetzen wird, wird aber nicht nur von ökologischen, sondern auch von wirtschaftlichen Gesichtspunkten abhängen. Zwar werden Produkte aus ökologischer Produktion allgemein zu höheren Nettopreisen (bis zu 35%) gehandelt. Jedoch fallen in der Produktion höhere Kosten an, deren Löwenanteil wie in vielen anderen Bereichen Personalkosten sind. Ohne den „Premium-Aufschlag“ für Bio-Produkte, der nur durch die Zahlungsbereitschaft der Kunden ermöglicht wird, würde sich die arbeitsintensivere Produktion nicht auszahlen, das Geschäft sich schlichtweg nicht lohnen. Gewichtige Gründe, die viele zögern lassen, in die ökologische Landwirtschaft einzusteigen.

Wo vermeintliche Schwächen Stärken sind

In Entwicklungsländern hingegen, in denen Arbeitslosigkeit und Armut zum Alltag gehören, die Hauptursachen für Hunger bilden, ist die Wahrnehmung eine andere: Dort bedeutet jeder zusätzliche Arbeitsschritt zusätzliches Einkommen. Deshalb sehen die Forscher den Ökolandbau dort, wo Infrastrukturen, Knowhow, technische und finanzielle Voraussetzungen knapp sind, als sinnvollen Weg, um ländliche Räume zu entwickeln, soziale und wirtschaftliche Netzwerke aufzubauen. Verheißungsvolle Argumente, die aber ohne richtige Rahmenbedingungen und Unterstützung nicht zu einem Umstieg führen werden, wie die Forscher wissen. Denn dafür müssten ganz andere Hebel in Bewegung gesetzt werden.

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Schon heute erkennbar: die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung der Landwirtschaft. Im Bild zu sehen ist eine Landwirtschaftsdrohne.

Schon heute erkennbar: die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung der Landwirtschaft. Im Bild zu sehen ist eine Landwirtschaftsdrohne.

Bildquelle: © iStock.com/ Robert Mandel

Wie geht’s weiter?

Am Ende kommt Reganold  zu einem nüchternen Urteil: „Weder das eine noch das andere System, weder die ökologische noch die konventionelle Landwirtschaft können nach unserem Wissensstand  versprechen, die Weltbevölkerung zu ernähren.“ Er und sein Mitstreiter Jonathan Wachter fordern Wirtschaft, Politik und Gesellschaft gleichermaßen auf, sich dem bewusst zu werden. Denn dass die ökologische Landwirtschaft bei der Nachhaltigkeit punktet, die konventionelle bei der Produktivität, ist bekannt. Die wichtigen Fragen lauten daher: Wie kann und soll es weitergehen? Wo liegen Synergien, Potenziale und Anknüpfungspunkte, die genutzt werden können?

Reganold fordert: „Was wir brauchen sind bessere, innovative und integrierte Konzepte, die Knowhow aus beiden Bereichen, aus konventioneller und ökologischer Landwirtschaft vereinen und weiterdenken. Dazu zählen Ansätze, die heute bereits genutzt werden wie z.B. die Agro-Forstwirtschaft, oder aber erst noch erdacht und entwickelt werden müssen. “ Eine wichtige Aufgabe, die zum absoluten Kern von Forschung und Wissenschaft zählt, auch der Pflanzenforschung.


Quelle: Reganold, J. et al. (2016): Organic agriculture in twenty-first century. In: Nature Plants, Vol.2, (3. Februar 2016), doi:10.1038/nplants.2015.221

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Titelbild: Wie wird die Landwirtschaft der Zukunft aussehen? Forscher versuchen, im Rahmen einer Metastudie die Antwort zu finden. (Bildquelle: © Oliver Mohr/ pixelio.de)