Realitätsnahe Zukunfts-Szenarien für 148 Länder

07.12.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die zukünftigen Flächenpotenziale für Bioenergie wurden global abgeschätzt. (Quelle: © Oliver-Mohr / pixelio.de)

Die zukünftigen Flächenpotenziale für Bioenergie wurden global abgeschätzt. (Quelle: © Oliver-Mohr / pixelio.de)

Die Einflussfaktoren auf in Zukunft möglicherweise nutzbare Flächenpotenziale zur Erzeugung von Biomasse sind komplex. Durch differenzierte, möglichst realitätsnahe Szenarien, die die besonderen Eigenschaften und Bedürfnisse eines jeden Landes berücksichtigen, liefern die Autoren mit ihrem Zwischenbericht zur Studie „Globale Analyse und Abschätzung des Biomasse-Flächennutzungs-potentials“ das nötige Handwerkszeug für valide Entscheidungen durch Landwirte und Politik. Denn nur realitätsnahe Szenarien schaffen verlässliche Zukunftsprognosen.

Für die Abschätzung der zukünftigen Flächenpotenziale für Bioenergie ziehen die Wissenschaftler die Bevölkerungsentwicklung, die Veränderung des Pro-Kopf-Verbrauchs, die Ertragsentwicklung, die Flächenumwidmung und andere Entwicklungen entscheidender Parameter heran.

Die Bevölkerungsentwicklung übernehmen sie von Schätzungen der UN. Den Pro-Kopf-Verbrauch an Nahrungsmitteln sowie Erträge und Flächenumwidmungen schätzen die Wissenschaftler nach Regressionsrechnungen. Für die Berechnungen der Flächenveränderungen beispielsweise erfassen sie in den untersuchten Ländern die Entwicklung der landwirtschaftlich genutzten Fläche ab 1990 und schätzen, je nach erwarteter Geschwindigkeit der eintretenden Änderungen, den zukünftigen Trend bis 2050. Die Auswahl der entweder linearen oder logarithmischen Funktion erfolgt einerseits nach einer formalen Trendanalyse, berücksichtig aber auch ökonomische Fakten.

Diese spezielle Methodik grenzt das Ergebnis gegenüber anderen Studien ab. Die Vorgehensweise der Wissenschaftler zur Prognose verfügbarer Flächen zur Erzeugung von Biomasse wird im Folgenden am Beispiel Deutschlands erläutert:

Zunächst betrachten die Wissenschaftler Daten aus den Jahren 1999 bis 2009. Für Deutschland ergibt sich aus diesen Daten eine Abnahme der landwirtschaftlich genutzten Fläche (LF). Bezogen auf den Durchschnitt der Jahre 2006-2009, betrug die absolute Abnahme der LF über den gesamten Zeitraum bei linearer Funktion 0,1755 %. Zur Entscheidung über den zukünftigen Trend dieses Parameters bis zum Jahr 2050 zogen die Wissenschaftler sowohl ein statistisches Maß, das Bestimmtheitsmaß, als auch ökonomische Faktoren heran.

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Abb. 1: Zeitreihen und Regressionen der Ertragsentwicklung in Deutschland. (Quelle: © Universität Hohenheim)

Abb. 1: Zeitreihen und Regressionen der Ertragsentwicklung in Deutschland. (Quelle: © Universität Hohenheim)

Für die landwirtschaftliche Nutzfläche entschieden die Studienautoren, dass der log. Trend eher die Realität bis 2050 widerspiegelt als ein linearer Trend. Für die Ackerfläche hingegen nahmen die Wissenschaftler den linearen Trend an, weil die damit angenommene geringfügige Ausdehnung bei knapper werdender Landverfügbarkeit realistisch erscheint (siehe Abb. 1).

Analog dazu verfuhren die Wissenschaftler bei der Prognose des Pro-Kopf-Verbrauchs und der Ertragsentwicklung.

Die Berechnung des Flächenpotenzials erfolgte im Basisszenario durch die Ermittlung der Brachfläche in Deutschland, zu der der Exportüberschuss addiert und von der der Importüberschuss subtrahiert wurde. Im Zeitraum von 2007 bis 2050 rechnen die Wissenschaftler mit einem Bevölkerungsrückgang in Deutschland um fast 8 Mio. und einer Abnahme des Pro-Kopf-Verbrauchs. Somit werden auch weniger Nahrungs- und Futtermittel bis 2050 verbraucht werden (siehe Abb. 2).

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Abb.2 : Entwicklung wichtiger Einflussfaktoren auf Nahrungsverbrauch, Flächen, Erträge und Bioenergiepotenziale in Deutschland (1997 bis 2050). (Quelle: © Universität Hohenheim)

Abb.2 : Entwicklung wichtiger Einflussfaktoren auf Nahrungsverbrauch, Flächen, Erträge und Bioenergiepotenziale in Deutschland (1997 bis 2050). (Quelle: © Universität Hohenheim)

Weiterhin ergeben sich in Deutschland Flächenfreisetzungspotenziale durch eine verbesserte Futterverwertung in der Tierproduktion, Minderbedarf an Nahrungsmittel aufgrund des Bevölkerungsrückgangs und rückläufigem Pro-Kopf-Verbrauch, abzüglich des Flächenbedarfs für Umwidmungszwecke (z.B. Nutzung als Siedlungs-, Verkehrs- oder Naturschutzfläche). So könnte das Flächenpotenzial für Bioenergie im Jahr 2050 in Deutschland auf fast 7,9 Mio. ha ansteigen.
Das entspräche rund 47 % der verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Im Referenzszenario gehen die Wissenschaftler davon aus, dass die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der letzten zwei Jahrzehnte auch zukünftig gelten werden. Die Wissenschaftler merken jedoch an, dass in den nächsten Jahrzehnten höchstwahrscheinlich ein Wandel wichtiger politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen stattfinden wird. Daher entwickelten die Wissenschaftler, auf dem Referenzszenario aufbauend, Fortschreibungsszenarien (siehe Abb. 3), die zum einen eine sowohl positiv als auch negativ veränderte Produktivität widerspiegeln und zum anderen von Veränderungen in der Nahrungsmittelnachfrage und Flächenumwidmung ausgehen.

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Abb. 3: Verwendete Szenarien. (Quelle: © Universität Hohenheim)

Abb. 3: Verwendete Szenarien. (Quelle: © Universität Hohenheim)

Veränderter Nahrungsmittelbedarf

In den kommenden Jahren könnte es durch hohe Preise und veränderte Verzehrsgewohnheiten auch zu einer veränderten Nahrungsmittelnachfrage kommen. Deren mögliche Auswirkungen analysieren die Studienautoren in folgenden Szenarien:

  • die Nahrungsmittelnachfrage steigt in allen Ländern 10 % geringer als der Trend (1990 - 2009) ab dem Jahr 2015
  • die Nahrungsmittelnachfrage stagniert bei „Überernährten“, die einen durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauch von 850 GE (Getreide-Einheit = 1 kg Getreide/Jahr; das entspricht etwa einem Kalorienverbrauch von 2.700 kcal/Tag) aufweisen, während sie bei „Unterernährten“ wie bisher weiter steigt.
  • die Nahrungsmittelnachfrage steigt in allen Ländern auf das Niveau der westeuropäischen Länder ab dem Jahr 2015

Veränderte Produktivität

Dem Szenarium „veränderte Produktivität“ liegen Agrar- und Energiepreisänderungen zugrunde. Die Studienautoren gehen davon aus, dass die globalen Potenziale für die Nahrungsmittel- und Nichtnahrungsmittelproduktion von diesen Parametern beeinflusst werden.

Zunächst wird in einer ersten Variante angenommen, dass die Agrarpreise niedrig bleiben und sich Klimaveränderungen global stark negativ auf die Ertragszuwachsraten auswirken.

In einer zweiten Variante wird ein Szenario deutlich steigender Agrar- und Energiepreise unterstellt. Bei steigenden Agrarpreisen werden Flächen, die bisher aus wirtschaftlichen, sozialen oder politischen Gründen stillgelegt waren, wieder in Nutzung genommen. Ferner erwarten die Wissenschaftler dann, dass neben der Nutzung noch verfügbarer Flächen auch die Reserven in der Ertragssteigerung stärker genutzt werden.

Flächenausdehnung zur Erzeugung von Energie aus Biomasse

In einem weiteren Szenario prüfen die Wissenschaftler die Frage, welche Auswirkungen eine weitere Flächenausdehnung für nachwachsende Rohstoffe auf die Sicherstellung der Nahrungsmittelver-sorgung hätte. Dabei werden in Alternativrechnungen drei unterschiedliche Wachstumsraten nämlich 1 %, 2,5 % und 4 % der Ackerfläche für Bioenergie angenommen. Im Vergleich dazu prüfen die Studienautoren auch, wie sich eine weitere Steigerung der Bioenergiefläche gemäß dem bisherigen Trend auswirken würde.

Restriktionen für ökologische Ziele

Im Zusammenhang mit den Klimaschutzzielen und internationalen Klimaschutzvereinbarungen werden in einigen Ländern Nachhaltigkeit und Naturschutzziele stärker verfolgt als in anderen Ländern. Dabei geht es hauptsächlich um Restriktionen zur Vermeidung von direkten Landnutzungsänderungen wie etwa Waldrodung und Grünland- bzw. Weidelandumbruch, eine stärkere Ausdehnung von Naturschutzflächen und die Förderung des ökologischen Landbaus. Die Annahmen über die zeitliche Entwicklung solcher Restriktionen sind für alle Länder der Erde spekulativ bzw. nicht möglich.

Um dennoch die Wirkungsrichtung solcher Maßnahmen zu erkennen, unterstellten die Wissenschaftler in einem Szenario, dass ab dem Jahr 2015 weltweit keine Waldrodungen und kein Grünland- bzw. Weidelandumbruch mehr stattfindet.

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In einem Szenario gibt es ab 2015 weltweit keine Waldrodungen mehr.

In einem Szenario gibt es ab 2015 weltweit keine Waldrodungen mehr.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Peter Pattavina

Darüber hinaus nehmen sie in drei Unterszenarien an, dass in allen Ländern 2 bzw. 5 bzw.10 % der jeweils verfügbaren Ackerfläche zu Naturschutzzwecken bei einem 100%igen Ertragsausfall auf dieser Fläche umgewidmet werden. Gleichzeitig nehmen sie an, dass in Ländern mit bereits existierendem ökologischem Landbau eine zum Teil stärkere Ausdehnung dieser Flächen erfolgt.

Ergebnisse der Studie

Unter der Prämisse nachhaltiger Produktivitätssteigerungen zeigen die Wissenschaftler in ihrem Zwischenbericht auch langfristig deutlich höhere Biomassepotenziale als bislang angenommen auf. Sie gehen davon aus, dass unter Berücksichtigung der zukünftigen Konsumgewohnheiten und der Bevölkerungsentwicklung der Flächenbedarf für die Nahrungsmittelproduktion in Deutschland und Europa langfristig zurückgehen wird, selbst wenn die Nahrungsmittelexporte als Beitrag zur Sicherung der Welternährung gesteigert werden. Das schaffe Perspektiven für die Biomassenutzung sowohl für energetische als auch stoffliche Verwendungen, ohne dafür schützenswerte Naturflächen zu beeinträchtigen.

In den verschiedenen Szenarien bis 2050 verdeutlichen sie, dass die globalen Flächen- und Kraftstoffpotenziale im Wesentlichen von der Nahrungsmittelnachfrage einerseits und den Ertragssteigerungen auf begrenzter Ackerfläche andererseits abhängen. Aber nur sehr unwahrscheinlich pessimistische Annahmen führen zu einer weitgehenden Reduzierung des Bioenergiepotenzials. Unterlassung von Landnutzungsänderungen weltweit schmälern die Bioenergiepotenziale in der Größenordnung von ca. 10 bis 20 Mio. ha. Aber nur eine damit einhergehende weltweite Umwidmung von Ackerflächen zu Naturschutzflächen um 10 % würde die Bioenergieflächen drastisch reduzieren.

Unterschiede in der regionalen Entwicklung

Die Regionen der Welt entwickeln sich szenarienübergreifend in unterschiedliche Richtungen: Während Europa, Nordamerika und Südamerika erhebliche und stabile Flächenpotenziale für die Bioenergiepflanzenproduktion vorhalten können, besteht in Asien und Afrika ein zunehmender Importbedarf an Nahrungsmitteln aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums. Dieses erfordert, wenn man von einem globalen Handelsausgleich zur Sicherung der Welternährung ausgeht, auch eine rechnerische Flächeninanspruchnahme der potenziellen Bioenergieflächen in den anderen Regionen.

Der Ausbau der Kapazitäten für Bioenergie läuft global mit Wachstumsraten um 8 % ab. Jährlich wächst die globale Fläche für nachwachsende Rohstoffe um ca. 6 Mio. ha, davon in Deutschland um etwa 160.000 ha und in der EU-27 etwa um 0,5 Mio. ha. Laut den Studienautoren könnte dieses Wachstum zumindest noch bis 2030 in diesem Maße weiter fortschreiten, bevor Rohstoffknappheit zu Lasten der Ernährungssicherung entstünde.