Schon gewusst? Orphan Crops

Diese „Waisenpflanzen“ haben enormes Potenzial

27.09.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Jackfrucht wird auch bei uns als exotischer Fleischersatz immer beliebter. (Bildquelle: © Travel-Lens / Pixabay)

Die Jackfrucht wird auch bei uns als exotischer Fleischersatz immer beliebter. (Bildquelle: © Travel-Lens / Pixabay)

Viele der weltweit angebauten Nutzpflanzen kennt man hierzulande nicht, andere begegnen uns mittlerweile als teures „Superfood“ im Supermarkt. Obwohl sie in ihren Anbauländern oft einen wichtigen Beitrag zur lokalen Nahrungsmittelsicherheit leisten, zählen sie zu den sogenannten „Orphan Crops“. Denn sie fristen ein Nischendasein, sowohl im Handel als auch in der Forschung. Das soll sich aber ändern. Denn Orphan Crops haben enormes Potenzial als gesunde Lebensmittel, sichern Kleinbauern ein Einkommen und bereichern die Vielfalt auf den Äckern – und zwar weltweit.

Was haben Süßkartoffeln, Maniok, Jackfrüchte, Quinoa und Hirse gemeinsam? Sie sind alle „Orphan Crops“. Das ist ein Sammelbegriff für Pflanzen, die in der Wissenschaft, Züchtung und auf dem Weltmarkt keine bedeutende Rolle spielen. Dass diese Pflanzen in einigen Ländern der Erde von großer Bedeutung sind, ändert daran bislang wenig.

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Auch Raps enthielt gesundheitlich bedenkliche und bittere Stoffe, die es zunächst verhinderten, dass er zu Speiseöl verarbeitet werden konnte. Erst durch Züchtung war der Weg für Rapsöl geebnet.

Auch Raps enthielt gesundheitlich bedenkliche und bittere Stoffe, die es zunächst verhinderten, dass er zu Speiseöl verarbeitet werden konnte. Erst durch Züchtung war der Weg für Rapsöl geebnet.

Bildquelle: © Pexels / Pixabay

Oft bieten diese Pflanzen sogar besondere Vorteile, wie gesundheitsförderliche Inhaltsstoffe, eine erhöhte Widerstandsfähigkeit oder sie sind gut an regionale Gegebenheiten und an extensive landwirtschaftliche Bewirtschaftung angepasst. Doch sie bereiten den Bauern in Entwicklungsländern auch Probleme: Die Erträge schwanken sehr, der Klimawandel macht den Pflanzen zu schaffen und es fehlen überregionale Vermarktungswege.

Warum werden die Pflanzen so vernachlässigt?

Meist mangelt es an den nötigen Ressourcen in den Anbauländern. Oder an notwendigen biologischen Daten, die für die weitere Erforschung und züchterische Verbesserung der Pflanzen benötigt werden. Das bereits vorhandene züchterische Wissen von kommerziell wichtigen Kulturpflanzen wie Weizen kann oft nicht auf die Orphan Crops übertragen werden. Und weil Orphan Crops bislang keine großen Gewinne versprechen, fließt von Züchtungsunternehmen kaum Geld in die Forschung und Entwicklung verbesserter Sorten.

Ansatzpunkte für Forschung und Züchtung

Doch es gäbe noch viel zu tun, um den Anbau zu fördern. Der Ertrag der Pflanzen und teilweise auch die Qualität der Ernteprodukte müssten dringend erhöht werden. Dazu gehört auch, unliebsame oder gar giftige Inhaltsstoffe züchterisch zu entfernen. „Auch etliche unserer Kulturpflanzen wie Zucchini, Tomaten, Paprika oder Kartoffeln bilden hochtoxische Substanzen und trotzdem wurden sie domestiziert. Das Entfernen oder Reduzieren von Toxinen ist häufig ein wichtiger Schritt in der züchterischen Verbesserung von Arten“, erklärt Brigitte Poppenberger, Professorin für Biotechnologie gartenbaulicher Kulturen an der TUM.

Raps ist hierfür ein gutes Beispiel. Seine ölhaltigen Samen enthielten gesundheitlich bedenkliche und bittere Stoffe – Glucosinolate und Erucasäure – was sie für die Speiseölproduktion unbrauchbar machte. Erst durch Züchtung von Rapssorten ohne diese Inhaltsstoffe änderte sich das. Heute ist Rapsöl aus keinem Supermarktregal mehr wegzudenken und gilt als besonders gesund. Es ist reich an ungesättigten Fettsäuren und weist zudem ein besonders günstiges Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren auf.

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Das Blattgemüse Ebolo (Crassocephalum crepidioides) ist hierzulande unbekannt. Es ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen, enthält aber leider auch hochgifte Inhaltsstoffe.

Das Blattgemüse Ebolo (Crassocephalum crepidioides) ist hierzulande unbekannt. Es ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen, enthält aber leider auch hochgifte Inhaltsstoffe.

Bildquelle: © A. Heddergott / TUM

Ein ähnliches Schicksal könnte dem hierzulande unbekannten Blattgemüse Ebolo (Crassocephalum crepidioides) blühen. Es wird ähnlich wie Spinat verwendet, ist beliebt in Subsahara-Afrika und reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Aber es enthält auch hochgiftige Stoffe, die krebserregend und leberschädigend sind, wie ein Forschungsteam der Technischen Universität München (TUM) zusammen mit Forschenden aus Nigeria aufgedeckt hat. Sie fanden im Gemüse Jacobin, ein sekundärer Pflanzenstoff, der zur Gruppe der Pyrrolizidinalkaloide gehört (Schramm et al., 2021). Im nächsten Schritt wollen die Forschenden ungiftige Sorten züchten.

Warum sollte man Zeit und Geld in Orphan Crops investieren?

Mehr als die Hälfte der vom Menschen verbrauchten Kalorien wird von nur drei Hauptgetreidepflanzen bereitgestellt: Reis, Mais und Weizen. Weitere Pflanzenarten für den Anbau zu erschließen, ist nicht nur für bestimmte Regionen wichtig. Diese Nutzpflanzen könnten weltweit dazu beitragen, einer einseitigen Ernährung vorzubeugen, die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft zu steigern und die Ernährung für zukünftige Generationen zu sichern.

Eine Initiative hierfür gibt es schon: Das „African Orphan Crops Consortium“. Dahinter verbirgt sich ein internationaler Verbund aus Universitäten, Industriepartnern und Nichtregierungsorganisationen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, das Erbgut der 101 wichtigsten Nutzpflanzenarten Afrikas zu entschlüsseln und diese Daten der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Forschungseinrichtungen und Züchtungsunternehmen weltweit haben damit eine gute Grundlage, diese Nutzpflanzenarten zu optimieren.


Weiterführende Informationen:

Quellen:

  • Kumar, B. und Bhalothia, P. (2020): Orphan crops for future food security. In: Journal of Biosciences, (16. Oktober 2020), doi: 10.1007/s12038-020-00107-5.
  • Schramm, S. et al. (2021): The orphan crop Crassocephalum crepidioides accumulates the pyrrolizidine alkaloid jacobine in response to nitrogen starvation. In: Frontiers in Plant Science, (28. Juli 2021), doi: 10.3389/fpls.2021.702985.
  • Tadele, Z. (2019): Orphan crops and their importance and the urgency of improvement. In: Planta, Vol. 250, (12. Juni 2019), doi: 10.1007/s00425-019-03210-6.

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Titelbild: Die Jackfrucht wird auch bei uns als exotischer Fleischersatz immer beliebter. (Bildquelle: © Travel-Lens / Pixabay)