Viele Verlierer, wenige Gewinner

Das Anthropozän überleben Pflanzen, die für den Menschen nützlich sind

10.05.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Nützliche Pflanzen haben gute Überlebenschancen im Anthropozän. Ginkgo biloba erfüllt gleich mehrere Zwecke: Die Samen des beliebten Zierbaums können gegessen werden und Extrakte aus Ginkgoblättern sind Bestandteil von Präparaten gegen Demenz. (Bildquelle

Nützliche Pflanzen haben gute Überlebenschancen im Anthropozän. Ginkgo biloba erfüllt gleich mehrere Zwecke: Die Samen des beliebten Zierbaums können gegessen werden und Extrakte aus Ginkgoblättern sind Bestandteil von Präparaten gegen Demenz. (Bildquelle

Zwei amerikanische Wissenschaftler haben über 86 000 Gefäßpflanzenarten untersucht, um Gewinner und Verlierer des Anthropozäns, also des vom Menschen geprägten Zeitalter, zu ermitteln. Die Ergebnisse bereiten Sorge: Es gibt deutlich mehr Verlierer als Gewinner. Und auch für die Zukunft wird eine weitere Abnahme der Pflanzenvielfalt prognostiziert.

Seit Jahrtausenden formen Menschen ihre Umwelt durch die Kultivierung von Nutzpflanzen und den Ackerbau. Und seit einigen Jahrhunderten führen die Nutzung von fossilen Rohstoffen und technische Innovationen zu zunehmend irreversiblen Veränderungen von Umwelt und Klima. Was bedeutet das für die Pflanzenwelt?

Anthropozän – das Zeitalter des Menschen

Der Begriff Anthropozän wurde Anfang der 2000er Jahre von dem Atmosphärenforscher Paul Crutzen geprägt. Er steht für eine Zeit, in der menschliche Aktivität der wichtigste Einflussfaktor auf die Umwelt ist. Eine Arbeitsgruppe der Internationalen Kommission für Stratigrafie will das Anthropozän bis 2021 definieren und als offizielle geologische Epoche vorschlagen. Sie verortet den Beginn des Zeitalters in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Obwohl Existenz und Startzeitpunkt des Anthropozäns in der Geologie umstritten sind, wird der Begriff inzwischen weit über die Disziplin hinaus genutzt.

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Nicht jede Spezies lässt sich vom Menschen beeindrucken: Die im Gebirge beheimatete Strauchart Cytisus oromediterraneus, die unter anderem in Frankreich und Spanien vorkommt, zählt zu den neutralen Arten.

Nicht jede Spezies lässt sich vom Menschen beeindrucken: Die im Gebirge beheimatete Strauchart Cytisus oromediterraneus, die unter anderem in Frankreich und Spanien vorkommt, zählt zu den neutralen Arten.

Bildquelle: © Erfil / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0

Pflanzenwelt zählt mehr Verlierer als Gewinner

Die Biologen John Kress und Gary Krupnick vom amerikanischen Nationalmuseum für Naturgeschichte in Washington, D.C., wollten wissen, wie es um die Pflanzenwelt im Anthropozän steht. Dafür bewerteten sie den Erhaltungszustand, die Umwelttoleranz und die wirtschaftliche Nutzbarkeit von 86 592 Gefäßpflanzenarten. Das deckt etwa 30 Prozent der bekannten Spezies dieser Gruppe ab.

Die Forscher teilten die Spezies in sieben Kategorien ein: für den Menschen nützliche oder unnütze Gewinner oder Verlierer, potentielle Gewinner oder Verlierer sowie neutrale Spezies. Gewinner profitieren direkt oder indirekt von menschlichen Aktivitäten – als domestizierte Kulturpflanzen oder invasive und vom Klimawandel profitierende Spezies. Wertvolle Wildarten, die unter Übernutzung der Böden durch den Menschen sowie Abholzung aus wirtschaftlichen Gründen leiden, oder Arten, die menschliche Einflüsse in ihrem Lebensraum nicht überleben, sind die Verlierer.

Die Studienergebnisse sind ernüchternd: Es gibt etwa dreimal so viele Verlierer (20 293 Arten) wie Gewinner (6 913 Arten), 571 Arten sind bereits ausgestorben. Und auch die Zukunftsaussichten sind alles andere als rosig: 15,5 Prozent aller bekannten Gefäßpflanzenarten sind Verlierer oder potentielle Verlierer. Dem stehen nur 8,5 Prozent Gewinner oder potentielle Gewinner gegenüber.

Nützliche Pflanzen profitieren besonders stark

Mit wenigen Ausnahmen finden sich in allen Pflanzenlinien Gewinner und Verlierer. Der entscheidende Faktor scheint zu sein, ob eine Spezies für den Menschen nützlich ist. Das ist bei über 97 Prozent der Gewinner der Fall, aber nur bei etwas mehr als einem Fünftel der Verlierer. Schon heute wachsen auf 40 Prozent der weltweiten Landflächen vom Menschen kultivierte Pflanzen. Die Forscher prognostizieren, dass sich die Pflanzenvielfalt über die nächsten Jahrzehnte hinweg weiter verringern wird – beschleunigt durch Faktoren wie Klimawandel und Naturzerstörung. Nur Pflanzen, die sich an Veränderungen wie höhere Temperaturen oder Konkurrenz durch invasive Spezies anpassen können, werden im Anthropozän überleben.

Das bleibt nicht ohne Folgen: Weniger Diversität bedeutet, dass Ökosysteme an Flexibilität und Widerstandsfähigkeit verlieren. Zudem bedroht das Pflanzensterben die Artenvielfalt bei Tieren und hat Auswirkungen auf den Menschen. „[…] da der Pool an Pflanzen, aus dem wir auswählen können, in Zukunft kleiner wird, wird die Menschheit weniger Optionen haben, wenn wir den Planeten wieder aufforsten, neue Medizin oder Nahrungsmittel finden oder neue Produkte entwickeln wollen“, betont Kress. Daher ist es wichtig, die Anstrengungen zum Erhalt von Arten zu steigern – und sich dabei nicht nur auf Spezies zu beschränken, die für den Menschen zurzeit nützlich sind.


Quelle:
Kress, W.J. und Krupnick, G.A. (2022): Lords of the biosphere: Plant winners and losers in the Anthropocene. In: Plants People Planets, (10. März 2022), doi: 10.1002/ppp3.10252.

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Titelbild: Nützliche Pflanzen haben gute Überlebenschancen im Anthropozän. Ginkgo biloba erfüllt gleich mehrere Zwecke: Die Samen des beliebten Zierbaums können gegessen werden und Extrakte aus Ginkgoblättern sind Bestandteil von Präparaten gegen Demenz. (Bildquelle: © Marzena P. / Pixabay)