Auf der Suche nach dem „Goldenen Nagel“

Forscher legen den Beginn des Anthropozän auf das Jahr 1610 fest

23.03.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das Anthropozän könnte nach der Entdeckung Amerikas begonnen haben: Um das Jahr 1610 gab es einen bedeutenden CO2-

Das Anthropozän könnte nach der Entdeckung Amerikas begonnen haben: Um das Jahr 1610 gab es einen bedeutenden CO2-"Knick". (Bildquelle: © Andrey Burmakin - Fotolia.com)

Wann hat das Anthropozän, die Epoche, in der der Mensch die bisher tiefsten Spuren hinterlassen hat, nach geologischen Maßstäben begonnen? Forscher untersuchen verschiedene Möglichkeiten und definierten einen Startpunkt.

Epoche: Holozän. Periode: Quartär. Erdzeitalter: Känozoikum. Äon: Phanerozoikum – das ist auf der geologischen Zeitskala die aktuelle „Datumsangabe“. Da der Mensch aber mittlerweile das System Erde gehörig durcheinander gewirbelt hat, sprechen Wissenschaftler bereits vom „Anthropozän“ (griech. „Neues, das unter menschlichem Einfluss entstanden ist“), das auf das Holozän folgen soll. Nur: Wann genau hat das Anthropozän aus geologischer Sicht begonnen? Ereignisse wie der Beginn des Ackerbaus oder die Industrielle Revolution werden immer wieder als Startpunkt der neuen Epoche angegeben. Doch sie halten den geologischen Vorgaben an einen solchen „Golden Spike“ (goldenen Nagel) nur bedingt stand, wie Wissenschaftler in ihrer neuen Studie nachweisen.

Ein globaler Marker

#####1#####
Willkommen im Anthropozän: Der Mensch hat mit seinen Erfindungen die Welt nachhaltig verändert.

Willkommen im Anthropozän: Der Mensch hat mit seinen Erfindungen die Welt nachhaltig verändert.

Bildquelle: © dd - Fotolia.com

Um einen geologisch akzeptablen Anfang einer neuen Epoche zu finden, müssen verschiedene Kriterien erfüllt werden: Es muss erstens ein relativ plötzlich eingetretenes Ereignis in der Erdgeschichte gewählt werden, dass einen „Marker“ in der Stratigraphie hinterlassen hat, der weltweit in derselben Zeitspanne zu finden ist, einen sogenannten „Goldenen Nagel“. Das bedeutet, dass in einem Sediment (eines Sees, des Ozeans), in einem Eisbohrkern oder in einer Gesteinsschicht eine besondere Stelle bestimmt werden kann, die zu etwa der gleichen Zeit in Sedimenten, Eisbohrkernen oder Gesteinen überall auf der Welt auftaucht.

Dieser Marker kann beispielsweise eine Veränderung in der Verteilung der chemischen Elemente, das globale Auftreten/Verschwinden eines Fossils oder ein Massensterben sein - wie das Aussterben der Dinosaurier, das den Übergang von der Kreide zum Tertiär und den Beginn eines neuen Erdzeitalters, des Känozoikums, begründete. Zweitens muss dieses Ereignis Einfluss auf das globale Ökosystem genommen haben, das durch andere stratigraphisch nachweisbare „Begleiterscheinungen“ belegt werden kann. Dieses Verfahren wird als „Global Boundary Stratotype Section and Point“ (GSSP) bezeichnet und ist international anerkannt.

Viele Möglichkeiten

Was zunächst einfach klingt, erweist sich bei genauerem Hinsehen als ziemlich verzwickt. Die Forscher untersuchten daher für ihre Studie verschiedene Ereignisse der jüngeren Zeiträume auf ihre Eignung als Beginn des Anthropozäns: Zum Beispiel den Beginn der Nutzung von Feuer im Pleistozän, den Beginn des Ackerbaus vor etwa 11.500 Jahren, die Ankunft der Europäer in Amerika (1492), den Beginn der Industrialisierung um 1850 sowie die oberirdische Zündung von Atombomben von 1945 bis 1963.

Revolutionen begründen keine neue Epoche

Mancher Kandidat fiel bei der Anwendung der oben genannten Kriterien gleich durch: So hat zum Beispiel der Beginn der Verwendung von Feuer im Pleistozän nur lokale Marker hinterlassen. Aber auch Klassiker wie der Beginn des Ackerbaus („Neolithische Revolution“) kamen nicht gut weg. Denn der Ackerbau begann auf den einzelnen Kontinenten zeitversetzt: Vor etwa 11.500 Jahren im Orient und in Asien, aber erst vor 4.000 bis 5.000 Jahren in Teilen Afrikas und Nordamerikas. Auch die Verbreitung von Pollen der verwendeten Nutzpflanzen ist nur lokal nachweisbar und nicht geeignet als globaler Marker, ebenso wie vom Ackerbau geprägte Böden, die nicht einheitlich zu einem bestimmten Zeitpunkt nachweisbar sind, sondern nur über eine Zeitspanne von etwa 2.000 Jahren global auftreten.

Interessanterweise hilft hier auch die CO2-Konzentration nicht weiter: Durch Landnutzungsänderungen werden größere Mengen an CO2 freigesetzt, das ist bekannt aus den heutigen Klimadebatten. Trotzdem lässt sich zum fraglichen Zeitpunkt kein markanter Punkt in der CO2-Konzentration nachweisen.

#####2#####
Oberirdische Atombombenversuche: Auch ein möglicher Zeitpunkt, an dem das Anthropozän begonnen haben könnte.

Oberirdische Atombombenversuche: Auch ein möglicher Zeitpunkt, an dem das Anthropozän begonnen haben könnte.

Bildquelle: © iStock.com/ARTiljerac

Ähnlich ergeht es der Industriellen Revolution, obwohl sie den Beginn der intensiven Nutzung fossiler Brennstoffe markiert. Aber sie begann regional in Europa und steigerte sich nur langsam, so dass in den Sedimenten nur ein schwacher Anstieg der CO2-Konzentration nachweisbar ist. Dieses Signal ist daher für die Forscher als Marker zu ungenau.

1610 als Wendepunkt?

Den Kontakt der Europäer mit Amerika hingegen bewerten die Forscher positiver. Interessant ist für sie nicht das eigentliche Datum (1492), sondern ein „Knick“ in der globalen CO2-Konzentration um das Jahr 1610. Eine mögliche Ursache dafür wäre der extreme Einbruch der Bevölkerungszahlen der amerikanischen Ureinwohner von etwa 54 Millionen (1492) auf etwa 6 Millionen um 1650, ausgelöst durch die von Europäern eingeschleppten Krankheiten. In der Folge ging der Ackerbau in Amerika stark zurück, das brachliegende Land wurde vom Urwald „zurück erobert“, der dementsprechend viel CO2 aufnahm. Dies war der letzte Punkt, an dem die CO2-Konzentration in jüngster Zeit abnahm, um ab hier langsam, aber kontinuierlich anzusteigen, also ein echter, global nachweisbarer Wendepunkt.

Und der Gewinner ist...

Weitere, begleitende Ereignisse zu diesem Wendepunkt sind unter anderem der Austausch von Arten durch den transatlantischen Handel, der Anbau von Mais außerhalb von Amerika (nachweisbar durch Pollen), ein Rückgang der Methankonzentration sowie die Tatsache, dass für die Europäer in Amerika plötzlich große Kohlevorkommen nutzbar waren, die später die Industrielle Revolution stark förderten.

Als weiterer „Bewerber“ um den Goldenen Nagel tauchen auch die Zündungen von Atombomben auf. Die radioaktiven Folgen sind global zeitgleich und sauber in den Sedimenten nachweisbar. Allerdings haben sie das globale System (zum Glück) nicht so markant verändert, dass sie als Beginn einer geologischen Epoche taugen. Daher favorisieren die Forscher die Ereignisse um das Jahr 1610 als Golden Spike, sprich: als Beginn des Anthropozäns.

Geologisch denken

Ein Blick in die Nachrichtensendungen reicht eigentlich aus, um sich zu fragen, warum gerade das Jahr 1610 nun den Beginn des Anthropozän begründen soll und nicht die tiefgreifenden Veränderungen seit dem zweiten Weltkrieg, haben sie doch extreme Auswirkungen auf das Überleben vieler Arten, einschließlich des Menschen. Aber auch diese Veränderungen sind seit längerer Zeit im Gange und ihr Beginn ist global nicht so punktgenau nachzuweisen wie der bis auf das Jahr 1610 datierbare CO2-Knick. In den marinen Sedimenten ist der Einfluss des späten 20. Jahrhunderts wiederum noch nicht so klar erkennbar, da in einer geologisch extrem „kurzen“ Zeitspanne von 50 Jahren sich manche marine Sedimente noch nicht so klar herausbilden können und die entsprechenden Marker noch nicht gut zu identifizieren sind. In 500 Jahren sieht das sicherlich anders aus, so dass die Grenze des Anthropozäns dann vielleicht erneut verschoben wird.


Quelle:
Lewis, S. L. und Maslin, M. A. (2015): Defining the Anthropocene. In: Nature, Vol 519, 171–180, (12. März 2015), doi: 10.1038/nature14258.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Das Anthropozän könnte nach der Entdeckung Amerikas begonnen haben: Um das Jahr 1610 gab es einen bedeutenden CO2-"Knick". (Bildquelle: © Andrey Burmakin - Fotolia.com)