Strategisch kluge Abwehr

Tabakpflanze wartet den richtigen Moment ab

04.02.2019 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Nikotin können die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) gut tolerieren, doch wenn ihre Wirtspflanze andere chemische Substanzen produziert, suchen sie sich nach Möglichkeit einen neuen Fressplatz. (Bildquelle: © Pia Backmann)

Nikotin können die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) gut tolerieren, doch wenn ihre Wirtspflanze andere chemische Substanzen produziert, suchen sie sich nach Möglichkeit einen neuen Fressplatz. (Bildquelle: © Pia Backmann)

Bei lebensbedrohlichen Angriffen müssen Pflanzen schnell reagieren. Manchmal kann es sich aber auch lohnen abzuwarten, um im richtigen Moment den Feind in die Flucht zu schlagen. Die Tabakpflanze geht so gegen Schmetterlingsraupen vor.

Stellen Sie sich vor, Sie hätten Kopfläuse. Doch statt gegen die Sechsbeiner vorzugehen, warten Sie ab, bis sich Ihnen eine Person aus Ihrem Umfeld nähert. Denn die Chancen sind hoch, dass die Läuse ihren Wirt wechseln. Genauso rücksichtslos verhält sich auch der wilde Tabak (Nicotiana attenuata), wenn er von Schmetterlingsraupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) befallen wird.

Dies haben Forscher des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) herausgefunden. Erst wenn die Larven des Tabakschwärmers geschlüpft sind, produziert die Pflanze Chemikalien, die für die Raupen giftig sind. Und erst dann ziehen die kleinen Raupen weiter zur Nachbarpflanze und treffen die völlig unvorbereitete Pflanze schwer.

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Die Erstautorin der Studie, Dr. Pia Backmann, in der Wüstenlandschaft „Großes Becken“ (Great Basin Desert) in Utah, USA, dem Lebensraum des Wilden Tabaks.

Die Erstautorin der Studie, Dr. Pia Backmann, in der Wüstenlandschaft „Großes Becken“ (Great Basin Desert) in Utah, USA, dem Lebensraum des Wilden Tabaks.

Bildquelle: © Danny Kessler

Großer Konkurrenzdruck um Wasser und Nährstoffe

Die vermeintliche Rücksichtslosigkeit des wilden Tabaks ist seiner schwierigen Kindheit geschuldet. Die einjährige Pflanze wächst in den Wüstengebieten der USA. Dort warten die Samen oft jahrelang im Boden auf ein Feuer, um nach dem Verbrennen der bisher vorherrschenden Vegetation auszukeimen. Unter gleichaltrigen Pflanzen auf engem Raum ist der Konkurrenzdruck um Wasser und Nährstoffe groß. Wird eine Pflanze von Herbivoren befallen, muss sie einen Teil ihrer Energie zur Abwehr einsetzen. Das wiederum wirft sie im Rennen mit den Nachbarpflanzen um Längen zurück.

„Der Wilde Tabak hat allerdings eine trickreiche Möglichkeit gefunden, den ‚Schwarzen Peter‘ weiterzureichen: Die Pflanze schickt die Raupen kurzerhand zu ihren Nachbarn“, erklärt Pia Backmann.

Zu Beginn kaum Fraßschäden

Die Übersiedlung zur Nachbarpflanze klappt allerdings erst, wenn die Raupen des Tabakschwärmers bereits einige Tage alt sind. Vorher sind die Larven zu klein und unbeweglich, um den Weg zur Nachbarpflanze zurücklegen zu können. In diesem Stadium fressen die Larven zudem so wenig, dass die Tabakpflanze die Schäden gut verkraften kann.

Ab einem Alter von etwa zehn Tagen sind die Larven groß genug für einen Pflanzenwechsel. Von da an fressen sie auch unermüdlich an den Blättern der Tabakpflanze. Über 90 Prozent der Blattmasse können bis zum 21. Lebenstag den Raupen zum Opfer fallen. Etwa vier Tage nach Beginn eines Raupenbefalls startet die Tabakpflanze deshalb mit der Produktion von Giftstoffen. Denn bis die Abwehr vollständig aktiv ist, dauert es ein paar Tage. Nicotiana attenuata verfügt über ein ganzes Arsenal an Abwehrstoffen als Reaktion auf Schäden oder Pflanzenfresser. Dazu gehören Nikotin, Proteinasehemmer, Phenole und flüchtige Substanzen.

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Nach rund 21 Tagen verpuppen sich Tabakschwärmer-Raupen. Aus der Puppe schlüpfen anschließend die erwachsenen nachtaktiven Falter.

Nach rund 21 Tagen verpuppen sich Tabakschwärmer-Raupen. Aus der Puppe schlüpfen anschließend die erwachsenen nachtaktiven Falter.

Bildquelle: © Pia Backmann

Trickreich die Konkurrenz überragen

„Für die Tabakpflanzen gilt bei der Produktion von Abwehrstoffen also nicht ‚je schneller, desto besser‘“, sagt Nicole van Dam vom Forschungszentrum iDiv und der Universität Jena. „Stattdessen geht es darum, die Verteidigung zum richtigen Zeitpunkt zu aktivieren: Denn dann krabbelt die Raupe zur Nachbarin und schwächt diese – und die trickreiche Pflanze wird am Ende ihre Konkurrentin überragen.“ Die agilen, hungrigen Tiere treffen die unvorbereitete Nachbarpflanze dann besonders hart.

Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an

Eine nachbarschaftsfreundliche Abwehr hingegen würde sich negativ auf die Entwicklung der befallenen Pflanze auswirken. Die frühe Abwehr der Raupen könnte zwar gelingen, würde die Pflanze aber viel Energie kosten und im Wachstum hemmen. Eine verspätete Abwehr könnte die Pflanze aufgrund der hohen Fraßschäden also das Leben kosten.

Mit ihrer Arbeit haben die Forscher eine allgemein verbreitete Annahme widerlegt: Schäden, die von Pflanzenfressern verursacht werden, bevor die Abwehr induziert wird, seien immer kostspielig in Bezug auf die Fitness der Pflanze. Diese Annahme kann nun nicht mehr aufrechterhalten werden.


Quelle:
Backmann, P. et al. (2019): Delayed Chemical Defense: Timely Expulsion of Herbivores Can Reduce Competition with Neighboring Plants. In: The American Naturalist, 2019, 193(1):125-139, (Januar 2019), doi: 10.1086/700577.

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Titelbild: Nikotin können die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) gut tolerieren, doch wenn ihre Wirtspflanze andere chemische Substanzen produziert, suchen sie sich nach Möglichkeit einen neuen Fressplatz. (Bildquelle: © Pia Backmann)