Wenn Bestäuber Schädlinge sind

Wilder Tabak löst geschickt ein Dilemma

26.04.2017 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein Tabakschwärmer (Manduca sexta) saugt in der Nacht mit seinem Saugrüssel Nektar aus der Blüte des Kojotentabaks Nicotiana attenuata. (Bildquelle: © Danny Kessler, MPI chem. Ökol.)

Ein Tabakschwärmer (Manduca sexta) saugt in der Nacht mit seinem Saugrüssel Nektar aus der Blüte des Kojotentabaks Nicotiana attenuata. (Bildquelle: © Danny Kessler, MPI chem. Ökol.)

Der nachtblühende wilde Tabak muss in der Nacht von Tabakschwärmern bestäubt werden. Diese hinterlassen jedoch Eier und wenig später gefräßige Larven auf den Blättern der Pflanze. Mit nur einem Lockstoff, der zu unterschiedlichen Tageszeiten in Blüten und Blättern frei wird, versucht der Tabak dieses Problem lösen.

Pflanzen haben es nicht immer leicht. Sie sind fest an einen Standort gebunden und müssen sich immer an die örtlichen Gegebenheiten anpassen. So benötigen die meisten Blütenpflanzen für ihre Vermehrung die Unterstützung von bestäubenden Insekten. Auf diese Tiere ist auch der wilde Tabak angewiesen. Das Verheerende dabei: Genau diejenigen Insekten, die die Blüten bestäuben, legen auch ihre Eier auf den Blättern ab. Nach kurzer Zeit nutzen die frisch geschlüpften Larven die Blätter als Nahrung und schädigen die Pflanze. Wissenschaftler des Max Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben an einer Modellpflanze, dem wilden Tabak (Nicotiana attenuata), untersucht, wie Pflanzen diesem Dilemma entkommen.

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Eine Raubwanze der Gattung Geocoris greift eine frisch geschlüpfte Tabakschwärmerraupe an. Bei Raupenbefall emittieren Tabakblätter am Tag ebenfalls (E)-α-Bergamoten, das nun die Feinde der Raupen anlockt.

Eine Raubwanze der Gattung Geocoris greift eine frisch geschlüpfte Tabakschwärmerraupe an. Bei Raupenbefall emittieren Tabakblätter am Tag ebenfalls (E)-α-Bergamoten, das nun die Feinde der Raupen anlockt.

Bildquelle: © André Kessler, Cornell University

Nachts werden Tabakschwärmer zur Blüte gelockt

Um Insekten zu ihren Blüten zu locken, produziert die Pflanze Lockstoffe. Bei Nicotiana attenuata handelt es sich bei diesem Lockstoff um (E)-α-Bergamoten. Der Stoff gehört zur Gruppe der Sesquiterpene, einer Gruppe von offenkettigen oder cyclischen Kohlenwasserstoffen mit 15 C-Atomen. Sondert die Tabakpflanze diesen Lockstoff über ihre Blüten im Laufe der Nacht ab, lockt sie damit den Tabakschwärmer Manduca sexta an, der ihre Blüten bestäubt. Der Grund dafür: Auf dem Saugrüssel des Tabakschwärmers befinden sich Sinneszellen, die auf den Blütenlockstoff (E)-α-Bergamoten ansprechen.

Tagsüber werden Raubwanzen geködert

Auch über ihre Blätter kann die wilde Tabakpflanze den Lockstoff (E)-α-Bergamoten verbreiten. Bei einem Befall mit Tabakschwärmer-Larven verströmen die angefressenen Blätter denselben Duftstoff. Dieses Mal jedoch tagsüber. Durch den Unterschied der Tageszeit zieht der Lockstoff nicht den Tabakschwärmer, sondern Raubwanzen der Gattung Geocoris an. Frisch geschlüpften Larven des Tabakschwärmers sind die Nahrung der Raubwanzen.

Terpensynthase NaTPS38 bildet (E)-α-Bergamoten

Die Wissenschaftler haben die genetischen Grundlagen der (E)-α-Bergamoten-Emission nach Herbivorenbefall genau untersucht. Sie fanden heraus, dass die Pflanzen bei Insektenbefall die Terpensynthase NaTPS38 aktivieren und dieses Enzym für die Bildung von (E)-α-Bergamoten verantwortlich ist.

Bei der Analyse der evolutionären Geschichte von NaTPS38 stellten die Wissenschaftler fest, dass es das Resultat der Verdopplung einer Monoterpen-Synthase ist, die anschließend die Fähigkeit entwickelt hat, das Sesquiterpen (E)-α-Bergamoten zu bilden. Dieser evolutionäre Prozess fand vor der Auseinanderentwicklung der verschiedenen Arten von Nachtschattengewächsen statt, zu denen auch der Tabak gehört. Daher findet man das Gen auch in anderen Arten dieser Pflanzenfamilie, z. B. in Tomaten, Paprika oder Petunien.

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Der Tabakschwärmer (Manduca sexta), der die Blüten bestäuben, legen auch seine Eier auf den Blättern des wilden Tabaks ab. Nach kurzer Zeit nutzen die frisch geschlüpften Larven die Blätter als Nahrung und schädigen die Pflanze.

Der Tabakschwärmer (Manduca sexta), der die Blüten bestäuben, legen auch seine Eier auf den Blättern des wilden Tabaks ab. Nach kurzer Zeit nutzen die frisch geschlüpften Larven die Blätter als Nahrung und schädigen die Pflanze.

Bildquelle: © iStock.com/Revovision

Expressionsmuster noch nicht erforscht

Im Laufe der Evolution eines Organismus treten öfter Genduplikationen auf. Noch ist ungeklärt, wie sich beide Gene nach der Duplikation vor etwa 50 Millionen Jahren differenziert haben. Die Expressionsmuster der Gene in den unterschiedlichen Pflanzenorganen wurden in der aktuellen Studie noch nicht näher untersucht. Jedoch weiß man, dass sich diese Muster auf Grund von punktuellen Sequenz-Veränderungen relativ schnell differenzieren können. Neben einer möglichen unterschiedlichen tagezeitabhängigen Steuerung der TPS38-Gene könnten divergierende Expressionsmuster auch durch Unterschiede in der Verfügbarkeit von Substraten auftreten, welche sich wiederum durch Photosynthese bzw. daraus abgeleitete Prozesse erklären lassen. Zukünftige Arbeiten, das bestätigen die an der Studie beteiligen Forscher, sollen diese Fragen klären helfen.

Ökologische Pleiotropie in Pflanzen weit verbreitet

Die Tatsache, dass ein einzelnes Gen in Nicotiana attenuata über eine gewebespezifische Duftstoffproduktion sowohl Bestäubung als auch Verteidigung vermittelt, ist ein Beispiel für ein Phänomen, das ökologische Pleiotropie genannt wird. „Es häufen sich Hinweise, dass ökologische Pleiotropie in Pflanzen sehr häufig vorkommt. Unsere Arbeit zeigt, dass Wechselwirkungen zwischen einzelnen ökologischen Faktoren, wie beispielsweise Bestäubern und Fraßfeinden, wichtig für die Evolution von Pflanzen sind. Dennoch wissen wir bislang viel zu wenig darüber, wie sich diese Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Umwelteinflüssen auf die Anpassung von Pflanzen an ihre Umgebung auswirken“, erläutert Erstautor Shuqing Xu. Die Wissenschaftler entwickeln daher jetzt einen neuen Forschungsansatz, der diese Fragen systematisch untersuchen soll. 


Quelle:
Zhou, W. et al. (2017): Tissue-Specific Emission of (E)-α-Bergamotene Helps Resolve the Dilemma When Pollinators Are Also Herbivores. Curr Biol. (20. April 2017), doi: 10.1016/j.cub.2017.03.017.

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Titelbild: Ein Tabakschwärmer (Manduca sexta) saugt in der Nacht mit seinem Saugrüssel Nektar aus der Blüte des Kojotentabaks Nicotiana attenuata. Auf dem Saugrüssel befinden sich Sinneszellen, die auf den Blütenlockstoff (E)-α-Bergamoten ansprechen. (Bildquelle: © Danny Kessler, MPI chem. Ökol.)