Vielfalt wird sichtbar
Pangenome von Weizen und Gerste ebnen den Weg für die nächste Generation neuer Sorten
Vor einigen Jahren wurden die Referenz-Genome von Weichweizen und Gerste sequenziert. Doch sie sind jeweils nur eine „Momentaufnahme“ von einem Individuum und verschweigen, wie viel genetische Varianz innerhalb einer Art steckt. Die jetzt vorgestellten Pangenome füllen diese Lücke. Für Züchter sind sie ein wertvolles Hilfsmittel für die Züchtung neuer Sorten mit mehr Ertrag und besserer Krankheitsresistenz.
Ob eine Pflanze gut mit Trockenheit klarkommt, sich gegen Krankheiten zu wehren weiß oder wie viel Ertrag sie liefert – all diese Informationen sind im genetischen Code verschlüsselt. Das erste Genom von Weichweizen wurde im Jahr 2018 vorgestellt. Das von Gerste sogar bereits im Jahr 2012. Es waren wichtige Meilensteine in der Pflanzenforschung, denn der genetische Code hilft Forschern und Züchtern dabei, präzise neue Sorten zu züchten, die so dringend gebraucht werden. Denn allein in den nächsten dreißig Jahren muss der Ertrag von Weizen um mehr als 50 Prozent steigen, damit die wachsende Weltbevölkerung weiterhin mit Nahrung versorgt werden kann.
Die Krux ist: Pflanzen innerhalb einer Art unterscheiden sich ganz beträchtlich in ihren Eigenschaften und damit in ihrer DNA. Mit einem einzigen Referenzgenom lässt sich diese Vielfalt nicht darstellen. Was man stattdessen braucht, sind zahlreiche Genomdaten unterschiedlicher Individuen, aus denen sich das sogenannte Pangenom konstruieren lässt: die Summe aller Gene und Genvarianten innerhalb einer Art. Jetzt haben zwei große internationale Konsortien erste wichtige Erfolge auf dem Weg zu den vollständigen Pangenomen von Weichweizen und Gerste veröffentlicht.
Pangenom soll Vielfalt abbilden
Ein Pangenom soll möglichst die gesamte genetischen Diversität innerhalb einer Art abbilden. Kriterien bei der Auswahl der Pflanzen für die Sequenzierung waren deshalb unter anderem möglichst große Unterschiede bei der geographischen Herkunft und bei ihren biologischen Merkmalen wie Winter- oder Sommertyp, Nackt- oder Bedecktsamigkeit, zwei- oder mehrzeilige Ährenformen.
Insgesamt 15 nach diesen Kriterien ausgewählte Weichweizenlinien hat dann das 10+ Wheat Genomes Project unter der Leitung von Professor Curtis Pozniak von der kanadischen Universität Sasketchewan sequenziert. Die Forschenden haben bei ihren Analysen unter anderem auch den genauen Ort des Gens identifiziert, das einige Weizensorten resistent gegen die Orangerote Weizengallmücke macht.
Parallel hat das Barley Pan Genome Sequencing Consortium unter Leitung von Professor Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben begonnen, das Pangenom von Gerste zu bestimmen. Dazu analysierte das Team bisher 20 Linien, die aus einem zuvor gut charakterisierten Pool von 22.000 Linien ausgewählt wurden. Die Genome dieser Pflanzen bilden bereits große Teile des Gersten-Pangenoms ab.
Inversionen können Rekombination verhindern
Besonders verblüffend waren für die Gerstenforscher die Unterschiede in der Struktur der Chromosomen, also der Reihenfolge, in der die Gene angeordnet sind. Solche Unterschiede treten auf, wenn Doppelstrangbrüche in der DNA entstehen, die von den Reparaturenzymen falsch wieder verknüpft werden. Wird ein Stück DNA „verkehrtherum“ wieder eingebaut, sprechen Wissenschaftler von einer Inversion.
Zwei besonders große Inversionen haben die Forschenden genauer untersucht. Eine ist 141 Megabasenpaare lang und befindet sich auf dem langen Arm von Chromosom 7. Sie wurde höchstwahrscheinlich in den 1960er Jahren durch Mutationszüchtung erzeugt und hat sich unbemerkt bis in heutige Sorten ausgebreitet. Die andere liegt auf Chromosom 2H und ist vermutlich natürlichen Ursprungs. Sie half der Gerste dabei, nördliche Breitengerade zu besiedeln.
„Die Beschreibung solcher Inversionen in Gerste ist neu“, sagt Nils Stein. „Sie können eine entscheidende Rolle im züchterischen Prozess spielen, weil sie Rekombination verhindern.“ Mit dem Wissen aus dem Pangenom erhalten Züchter jetzt eine Erklärung dafür, warum es ihnen bisher nicht gelungen ist, bei bestimmten Kreuzungen zwei gewünschte Merkmale von unterschiedlichen Pflanzen in deren Nachkommen zu kombinieren. Außerdem kann das Pangenom dabei helfen, zukünftig bessere Elternpflanzen für Kreuzungen auszuwählen.
Wildsorten müssen ebenso ins Pangenom
„Wir haben eine neue Datengrundlage geschaffen und einen neuen Schatz an Informationen für die Züchtung erschlossen“, sagt Nils Stein. So könnten nunmehr neue molekulare Marker genutzt werden, um strukturelle Genomunterschiede bei der Gerstenzüchtung gezielt zu berücksichtigen.
In einem nächsten Schritt wollen die Forscher zusätzlich Wildgerste, den direkten Vorfahren der heutigen Kulturgerste, genauer in den Blick nehmen. „Wildgerste fehlt uns noch als wichtiger Genpool“, erklärt Dr. Martin Mascher, der die unabhängige Arbeitsgruppe Domestikationsgenomik am IPK leitet und an der Pangenomforschung beteiligt war. Denn während der Domestikation von Wildgerste sind höchstwahrscheinlich zahlreiche nützliche Gene verloren gegangen. „Ich bin ganz sicher, dass wir Diversität entdecken, die für die zukünftige Gerstenzüchtung und -forschung von erheblichem Wert sein kann“, sagt Mascher.
Um die gesamte Vielfalt zu erfassen, so schätzen Forschende, müssten nicht alle 22.000 Gerstenlinien der Genbank in Gatersleben sequenziert werden. Vermutlich würden bereits 50 bis 100 nach den richtigen Kriterien ausgewählte Linien in Kombination mit einer cleveren Bioinformatik den weltweiten Gerstengenpool ausreichend charakterisieren.
Quellen:
- Jayakodi, M. et al. (2020): The barley pan-genome reveals the hidden legacy of mutation breeding. In: Nature, (25. November 2020), doi: 10.1038/s41586-020-2947-8.
- Walkowiak, S. et al. (2020): Multiple Wheat Genomes Reveal Global Variation in Modern Breeding. In: Nature, (25. November 2020), doi: 10.1038/s41586-020-2961-x.
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Titelbild: Große genetische Vielfalt: Es existieren mehr als 560 000 unterschiedliche Brotweizensorten. (Bildquelle: © Rebecca Leber, UZH)