Interview mit Martin Mascher

Über Pangenome, Alpha-Fold und Delfin-Hafer

03.04.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Hafer kommt genau wie Weizen oder Gerste aus dem fruchtbaren Halbmond, wurde aber erst viel später domestiziert. (Bildquelle: © Couleur / Pixabay)

Hafer kommt genau wie Weizen oder Gerste aus dem fruchtbaren Halbmond, wurde aber erst viel später domestiziert. (Bildquelle: © Couleur / Pixabay)

Martin Mascher arbeitet am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, kurz IPK Gatersleben. Er beschäftigt sich dort mit der Erfassung und Charakterisierung der genetischen Diversität der Kulturgetreidearten Gerste, Weizen, Roggen und Hafer. Im Interview erzählt er uns, welche Durchbrüche es zuletzt bei diesem Thema gab und was er sich für die kommenden fünf Jahre vorgenommen hat.

Pflanzenforschung.de: Herr Mascher, Ihr Forschungsgebiet ist die Domestikationsgenomik. Was genau bedeutet das eigentlich?

Dr. Martin Mascher: In meiner Arbeitsgruppe untersuchen wir, wie die Domestikation das Erbgut von Kulturpflanzen verändert hat. Dafür sequenzieren wir bis zu mehrere tausend Genome einer Art. Mit vergleichenden Analysen wollen wir Muster darin entdecken, die zum Beispiel Folge der Selektion durch Bauern oder Züchter sind.

Pflanzenforschung.de: 2022 haben Sie gemeinsam mit schwedischen Wissenschaftlern das erste Referenzgenom des Hafers veröffentlicht. Wie unterscheidet sich das Hafergenom von dem anderer Kulturgetreidearten?

Dr. Martin Mascher: Das Hafergenom ist polyploid und besteht aus drei Subgenomen, ähnlich wie beim Weizen. Allerdings ist die Polyploidie beim Hafer wesentlich älter. Die drei Subgenome sind bereits mindestens eine Million Jahre zusammen. Der Weizen hingegen wurde erst nach der Domestikation hexaploid, also vielleicht vor 10.000 Jahren. Das macht sich unter anderem darin bemerkbar, dass das Hafergenom ein Mosaik ist. Es gab im Laufe der Zeit sehr viele Austausche von genetischem Material zwischen den Hafer-Subgenomen, auch Rearrangements genannt. Beim Weizen hingegen sind die Subgenome noch streng getrennt.

Pflanzenforschung.de: Inzwischen koordinieren Sie auch ein internationales Konsortium, was sich mit der Entschlüsselung des Hafer-Pangenoms beschäftigt: Ziel ist es, 29 verschiedene Hafersorten zu sequenzieren. Wozu ist das gut?

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Dr. Martin Mascher - seine Arbeitsgruppe Domestikationsgenomik am IPK Gatersleben erforscht die Prozesse der Domestikation und die genetische Diversität bei Kulturpflanzen und ihren verwandten Wildformen. 

Dr. Martin Mascher - seine Arbeitsgruppe Domestikationsgenomik am IPK Gatersleben erforscht die Prozesse der Domestikation und die genetische Diversität bei Kulturpflanzen und ihren verwandten Wildformen. 

Bildquelle: © IPK Gatersleben

Dr. Martin Mascher: Wenn man nur ein Referenzgenom hat, ist man bei der Analyse anderer Linien sehr limitiert. Mit dem Short-Read-Sequencing können nur kurze DNA-Sequenzen, wir sprechen hier von etwa 100 bis 200 Basenpaaren, abgelesen und anhand des Referenzgenoms angeordnet werden. Was man mit Hilfe dieser Technik aber nicht sehen kann, sind die strukturellen Variationen, also wenn in einer Linie Gene fehlen, mehrmals vorhanden sind oder in verkehrter Reihenfolge bzw. Orientierung vorliegen. Auch wenn eine Sorte Gene hat, die im Referenzgenom gar nicht vorkommen, hat man keine Chance, das zu sehen. Solche Presence-Absence-Variationen spielen aber besonders häufig eine Rolle bei Resistenzen, sind also züchterisch von besonderem Interesse.

Pflanzenforschung.de: Hier kommen also die Pangenome ins Spiel?

Dr. Martin Mascher: Richtig. Wenn ich viele verschiedene Genome komplett vorliegen habe, kann ich die genetische Diversität der Pflanze viel besser erfassen. Wir profitieren da natürlich von technischen Weiterentwicklungen, weil es inzwischen möglich geworden ist, bis zu 20.000 Basenpaare auf einmal abzulesen. Algorithmen setzten dann aus diesen Long-Reads das komplette Genom zusammen. Vor fünf Jahren wäre das noch nicht gegangen.

Pflanzenforschung.de: Wie haben Sie die Arten ausgewählt, die für das Pangenom sequenziert werden?

Dr. Martin Mascher: Unsere Genbank in Gatersleben enthält über 4700 Haferlinien. Wir wollten einerseits möglichst agronomisch wichtige Sorten sequenzieren. Andererseits haben wir auch einen tetraploiden Vorfahren des Hafers und einen nahen Verwandten des diploiden Vorfahrens mit in das Projekt aufgenommen. Denn natürlich spielt der Wildhafer auch eine wichtige Rolle in der Züchtung.

Pflanzenforschung.de: Haben Sie da ein Beispiel für mich?

Dr. Martin Mascher: Die Elite-Sorte Delfin ist besonders resistent gegen Mehltau und dieser Resistenzlokus kommt aus Wildhafer. Hafersorten, die diese Resistenz tragen, machten 2020 aber nur 10 % der Vermehrungsfläche in Deutschland aus. Und das hat einen Grund: Wir kennen bisher weder die genetischen Grundlagen noch die Mechanismen dieser Resistenz. Das Pangenom könnte uns dabei helfen, die zugrundeliegenden Gene zu identifizieren und sie in weitere Sorten einzubringen.

Pflanzenforschung.de: Bei Gerste waren Sie und Ihr Team auch an der genomischen Analysen 6000 Jahre alter Samenfunde beteiligt. Gibt es ähnliche alte Funde auch bei Hafer?

Dr. Martin Mascher: Bei Gerste hatten wir Glück, dass Körner in der judäischen Wüste gefunden worden sind, die dank des trockenen Klimas sehr gut erhalten waren. Wir konnten also noch intakte DNA daraus extrahieren. Aber so alte Haferkörner werden wir nicht finden, weil Hafer noch gar nicht so lange als Nutzpflanze angebaut wird. Im Gegenteil: Aus archäologischen Funden wissen wir, dass Hafer in der Jungsteinzeit gar keine Rolle spielte.

Pflanzenforschung.de: Wann wurde der Hafer domestiziert?

Dr. Martin Mascher: Das ist bisher noch nicht ganz klar. Vermutlich kam er als Unkraut mit Gerste und Weizen aus dem fruchtbaren Halbmond nach Mitteleuropa, ähnlich wie der Roggen. Harte Fakten für diese Theorie fehlen bisher aber noch.

Pflanzenforschung.de: Wie könnte man Hafer agronomisch noch verbessern?

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Aus Weizen entstehen Brot und Nudeln, mit Gerste wird Bier gebraut. Hafer hingegen kommt meist als ursprüngliches Korn auf den Teller – und zunehmend auch als Hafermilch in den Becher.

Aus Weizen entstehen Brot und Nudeln, mit Gerste wird Bier gebraut. Hafer hingegen kommt meist als ursprüngliches Korn auf den Teller – und zunehmend auch als Hafermilch in den Becher.

Bildquelle: © shixugang / Pixabay

Dr. Martin Mascher: Zum einen sind da natürlich die Anpassungen, die wir zurzeit bei allen Getreidesorten brauchen. Die Pflanzen sollen gegen Krankheitserreger, Klimaextreme und Nährstoffmangel gewappnet sein. Zum anderen gibt es bei Hafer noch eine spezielle Züchtungsanforderung und die hängt mit einem relativ neuen Lebensmittel zusammen: der Hafermilch. Die Hafermilcherzeuger merken, dass verschiedene Sorten unterschiedliche Milch hervorbringen, und sie sehen natürlich schwankende Öl- und Eiweißprofile. Nur wissen die Züchter:innen nicht, wie das alles zusammenhängt und auf was man selektieren sollte.

Pflanzenforschung.de: Das Genom ist die eine Sache, doch was genau aus den Genen wird, erfährt man erst aus dem Proteom. Forschen Sie auch daran?

Dr. Martin Mascher: Wir annotieren alle Gene in unserem Genom. Dann kennen wir auch die Peptid-Sequenz der Proteine. Was dann noch fehlt ist die korrekte Faltung und Proteininteraktionen der verschiedenen Proteine. Und hier kommt Alpha-Fold ins Spiel …

Pflanzenforschung.de: … die künstliche Intelligenz, die anhand von Sequenzinformationen die Proteinstrukturen vorhersagen kann?

Dr. Martin Mascher: Genau, darüber spricht gerade jeder, ein mächtiges Tool. Auch wir wollen Alpha-Fold benutzen, um die Proteindiversität in unserer Genbank vorherzusagen. Anfangen werden wir mit Gerste, denn da haben wir mehr Sequenzressourcen und auch mehr Gruppen am IPK arbeiten an Gerste. Wenn wir das aber einmal etabliert haben, werden wir es auch auf andere Kulturarten wie Weizen oder Hafer ausweiten.

Pflanzenforschung.de: Was sind Ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre?

Dr. Martin Mascher: Mein Herz hängt an der Gerste, denn das ist die erste Kulturpflanze, an der ich arbeiten durfte. Was uns auch interessiert ist der Roggen. Der hat ein heterozygotes Genom, was die Genomanalyse deutlich schwieriger macht. Aber mit Longreads sollte es möglich sein, auch dieses Genom zu analysieren und dann hätten wir Pangenome für alle wichtigen Getreidearten in Deutschland.  Ich hoffe, dass wir das in den nächsten 5 Jahren hinbekommen.

Herr Mascher, ich danke Ihnen für das Gespräch! Viel Erfolg für Ihre Vorhaben.