Weniger ist mehr?

Obwohl weniger Pflanzenschutzmittel auf die Felder kommen, werden mehr Insekten gefährdet

04.05.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Giftigkeit der angewendeten Insektizide hat sich für wirbellose Tiere wie Insekten zwischen 2005 und 2015 mehr als verdoppelt. (Bildquelle: © Myriams-Fotos / Pixabay)

Die Giftigkeit der angewendeten Insektizide hat sich für wirbellose Tiere wie Insekten zwischen 2005 und 2015 mehr als verdoppelt. (Bildquelle: © Myriams-Fotos / Pixabay)

Eine Studie der Universität Koblenz-Landau hat ergeben, dass die Mengen der eingesetzten Pflanzenschutzmittel durchschnittlich sinken, aber gleichzeitig die heute verwendeten Präparate mehr wirbellose Tiere wie Insekten gefährden. Zwar stammen die Daten aus den USA, die Ergebnisse lassen sich den Autor:innen zufolge aber auch auf andere Regionen der Welt übertragen.

1962 erschien das Buch „Silent Spring“, der stumme Frühling, von Rachel Carsons. Es rüttelte die Welt auf und verdeutlichte die unbeabsichtigten Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf wild lebende Tiere. Chemische Pflanzenschutzmittel stehen seither in der Kritik und das Gebot der Stunde heißt: Reduktion. Doch sind allein reduzierte Mengen Pflanzenschutzmittel schon gut für die Umwelt?

Um das zu überprüfen, haben die Wissenschaftler:innen der Uni Koblenz-Landau die sogenannte „ausgebrachte Toxizität“ von 381 Pflanzenschutzmitteln ermittelt. Dafür haben Sie über den Zeitraum von 25 Jahren die Art, Menge und Toxizität der Pflanzenschutzmittel in Beziehung gesetzt. Damit haben sie die Toxizität der Mittel für acht verschiedene Gruppen von Lebewesen über den Zeitverlauf dargestellt.

Die in der renommierten Fachzeitschrift „Science“ veröffentlichte Studie nutzte Daten aus den Vereinigten Staaten. Daher konnten auch Effekte von genetisch veränderten Nutzpflanzen (gv-Pflanzen) erkannt werden.

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Der Pflanzenschutzmitteleinsatz in der Landwirtschaft belastet zunehmend Krebstiere und Insekten in Gewässern.

Der Pflanzenschutzmitteleinsatz in der Landwirtschaft belastet zunehmend Krebstiere und Insekten in Gewässern.

Bildquelle: © Renja Bereswill / Universität Koblenz-Landau

Einerseits: Der Verbrauch geht zurück

Sie stellten fest, dass die Gesamtmenge der angewendeten Insektizide in den USA zwischen 1992 und 2016 um ca. 40 Prozent sank. Für Säugetiere, Vögel und Fische gab es positive Nachrichten: Sie profitieren, da für sie besonders schädliche Insektizidklassen wie Organophosphate und Carbamate durch weniger problematische Insektizide ersetzt wurden.

Andererseits: Nichtziel-Insekten stärker betroffen

Das Bild für wirbellose Tiere wie Insekten und andere Nützlinge hat sich über die Jahre verschlechtert: Die „ausgebrachte Toxizität“ der Insektizide stieg mehr als um den Faktor 2 zwischen 2005 und 2015. Dieser Anstieg wurde der Studie zufolge durch häufig eingesetzte, hochwirksame und hochgiftige Insektizide verursacht. Wirbellosen in Gewässern wie Krebstiere werden dabei bereits geringe Konzentrationen hoch wirksamer Pyrethroide zum Verhängnis. Wohingegen Bestäubern Neonicotinoide zu schaffen machen, deren Anwendung in den USA stark gestiegen ist. Aufgrund ihrer negativen Auswirkungen auf Bienen sind einige Neonicotinoide in Deutschland und der EU bereits verboten.

Diese Ergebnisse spiegeln ein Dilemma wider: Hatte die Umstellung auf andere Insektizidklassen für Wirbeltiere einen Vorteil, so ging dieser auf Kosten von Wirbellosen.

Gentechnisch veränderte Pflanzen machen offenbar keinen Unterschied

Auch der Pflanzenschutz bei genetisch veränderten Kulturpflanzen folgte diesem Trend. Gentechnisch veränderte (gv) Maispflanzen wurden zwar mit geringeren Insektizidmengen behandelt, doch auch hier nahm die „ausgebrachte Toxizität“ für wirbellose Wassertiere und bestäubende Insekten deutlich zu.

Und noch eine nachdenklich machende Nachricht: Bei herbizidtoleranten gv-Sojasorten stiegen die eingesetzten Herbizidmengen über die Jahre. Die Folge: Weniger pflanzliche Artenvielfalt auf den Feldern mit nur einem eingeschränkten Nahrungsangebot für bestäubende Insekten.

Studie kratzt an Dogma

Damit scheinen die Daten die generelle Annahme zu wiederlegen, dass alleine eine Reduzierung der Pflanzenschutzmittelmengen zu Umweltentlastungen führt. Erstautor Ralf Schulz fasst zusammen: „Unsere Ergebnisse stellen die Aussage einer über die Zeit sinkenden Auswirkung von Pestiziden auf die Umwelt für konventionelle und genetisch veränderte Kulturen in Frage und belegen den Bedarf für eine globale Reduktion der ausgebrachten Toxizität von Pestiziden.“


Quelle:
Schulz, R. et al. (2021): Applied pesticide toxicity shifts towards plants and invertebrates, even in GM crops. In: Science, Vol. 372, Issue 6537, pp. 81-84, (2. April 2021), doi: 10.1126/science.abe1148.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Die Giftigkeit der angewendeten Insektizide hat sich für wirbellose Tiere wie Insekten zwischen 2005 und 2015 mehr als verdoppelt. (Bildquelle: © Myriams-Fotos / Pixabay)