Gibberelline sind eine große Gruppe pflanzlicher Hormone, die nahezu alle Entwicklungsprozesse von Pflanzen beeinflussen. Sie gehören zu den Diterpenoiden und zeichnen sich durch eine ähnliche Grundstruktur aus, die aus vier Isopreneinheiten aufgebaut ist. Der Name geht zurück auf den Pilz Gibberella fujikuroi (heute Fusarium fujikuroi), der in Japan lange Zeit Reisfelder befiel. Befallene Pflanzen zeigten ein extrem gestrecktes, schwächliches Wachstum und brachten keine Ernte hervor – ein Krankheitsbild, das als „Bakanae-Krankheit“ („foolish seedling disease“) bekannt wurde. In den 1930er-Jahren konnte man aus dem Pilz den Wirkstoff isolieren, der für diese Symptome verantwortlich ist: das Gibberellin. Später zeigte sich, dass Pflanzen selbst ähnliche Verbindungen herstellen und damit ihre Entwicklung steuern.

Bis heute sind über 130 Gibberelline (abgekürzt GA) identifiziert worden, doch nur ein Teil davon ist biologisch aktiv. Zu den wichtigsten gehören GA1, GA3 (auch als Gibberellinsäure bekannt), GA4 und GA7. Andere Gibberelline wirken als Vorstufen oder inaktivierte Speicherformen. Die Biosynthese findet in den Plastiden, dem endoplasmatischen Retikulum und im Cytosol statt und umfasst mehrere enzymatisch katalysierte Schritte, an denen unter anderem die Gene GA20ox (Gibberellin-20-Oxidase) und GA3ox beteiligt sind. Diese Enzyme wandeln Vorstufen in die biologisch aktiven Gibberelline um.

Die Wirkung der Gibberelline basiert auf einem fein abgestimmten Signalweg. Treffen sie in einer Pflanzenzelle auf den Rezeptor GID1, bilden Hormon und Rezeptor einen Komplex, der die Abbau-Maschinerie für sogenannte DELLA-Proteine aktiviert. DELLA-Proteine wirken als Wachstumsbremse: Sie blockieren die Aktivität von Transkriptionsfaktoren, die für Zellstreckung und Teilung nötig sind. Werden DELLA-Proteine abgebaut, setzt das Wachstum ein. Gibberelline wirken daher wie ein „Schlüssel“, der die Wachstumsbremse löst.

In der Pflanze übernehmen Gibberelline eine Vielzahl an Funktionen. Sie fördern vor allem die Streckung von Stängeln und Internodien, sorgen aber auch dafür, dass Samen nach einer Ruhephase keimen können, indem sie den Abbau von Reservestoffen in Gang setzen. In Knollen- und Zwiebelpflanzen heben sie die Dormanz auf und treiben das Wachstum an. Sie steuern zudem die Übergänge zwischen verschiedenen Entwicklungsphasen, etwa vom vegetativen zum generativen Stadium, und beeinflussen die Blütenbildung, den Fruchtansatz sowie in manchen Arten die Entwicklung parthenokarper Früchte (Früchte ohne Befruchtung, wie bei kernlosen Weintrauben).

Ihre Bedeutung für die Landwirtschaft ist enorm. In den 1960er-Jahren entdeckte man, dass Mutationen in Genen der Gibberellin-Biosynthese oder -Signalübertragung zu Zwergwuchs führen. Diese Pflanzen waren kürzer, robuster und weniger anfällig fürs Umknicken, was bei der Getreideernte große Vorteile brachte. Vor allem in Weizen und Reis wurden solche Zwerg- und Halbdwergsorten eingeführt. Sie konnten höhere Düngermengen aufnehmen, ohne unter dem Gewicht der Körner einzuknicken, und führten so zu massiv gesteigerten Erträgen. Diese Innovation gilt als Kernstück der „Grünen Revolution“, die in vielen Ländern Hungerkrisen abwendete.

Heute nutzen Forschende das Wissen um Gibberelline gezielt, um Pflanzenarchitekturen zu gestalten. In Tomaten etwa führt das Ausschalten des Gens SlGA20ox1 dazu, dass weniger Gibberelline gebildet werden und die Pflanzen deutlich kleiner bleiben – ein Vorteil für Vertical Farming, wo kompakte Formen bevorzugt sind. Auch in Obstkulturen wie Apfel oder Birne werden Gibberelline reguliert eingesetzt, etwa um die Fruchtgröße zu beeinflussen oder die Blütenbildung zu steuern.

Damit sind Gibberelline ein Paradebeispiel dafür, wie ein pflanzliches Hormon, das zunächst durch eine Krankheit entdeckt wurde, zu einem der wichtigsten Steuerungsinstrumente in der modernen Pflanzenbiologie und Landwirtschaft geworden ist. Sie stehen für die enge Verbindung von Grundlagenforschung, angewandter Züchtung und biotechnologischen Innovationen, die das Ziel haben, Pflanzen präzise an menschliche Bedürfnisse und neue Anbausysteme anzupassen.

 

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