„Süße Hoffnung“ namens Albicidin

Neues Antibiotikum in Erreger der Blattbrandkrankheit entdeckt

10.02.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein Krankheitserreger des Zuckerrohrs könnte der Ausgangspunkt für ein lebensrettendes neues Antibiotikum sein. (Bildquelle: © Mengyqer / pixabay)

Ein Krankheitserreger des Zuckerrohrs könnte der Ausgangspunkt für ein lebensrettendes neues Antibiotikum sein. (Bildquelle: © Mengyqer / pixabay)

Immer mehr Bakterien sind resistent gegen alle weltweit verfügbaren Antibiotika. Händeringend sucht die Medizin daher nach neuen Wirkstoffen. Jetzt hat ein internationales Team von Wissenschaftlern ein vielversprechendes Molekül identifiziert – im Erreger der verheerenden Blattbrandkrankheit des Zuckerrohrs. Es heißt Albicidin und kann nach ersten Erkenntnissen auch multiresistente Krankheitserreger abtöten.

Einst waren Antibiotika ein Wundermittel. Heute sind sie häufig nur noch ein stumpfes Schwert. Denn immer mehr Keime sind resistent gegen eines, mehrere oder gar alle derzeit verfügbaren Klassen von Antibiotika. Allein in Europa sterben 35.000 Menschen pro Jahr aufgrund von multiresistenten Bakterien, schätzt die Europäische Gesundheitsbehörde ECDC. Händeringend wird daher nach neuen Wirkstoffen gesucht.

Ein besonders heißer Kandidat ist das Pflanzengift Albicidin. Das Molekül wird von dem Zuckerrohrschädling Xanthomonas albilineans produziert und verursacht die Blattbrandkrankheit, die sich durch weiße Linien auf den Blättern der Pflanzen zeigt. Bereits 2015 hatte die Arbeitsgruppe um Professor Roderich Süssmuth von der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit französischen Wissenschaftler:innen dieses Molekül entdeckt. Schnell wurde klar, dass Albicidin nicht nur die Chloroplasten von Zuckerrohr schädigt, sondern auch ein potentes Mittel gegen zahlreiche menschliche Krankheitserreger darstellt.

Neue Einblicke dank Kryo-Elektronenmikroskopie

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Albicidin (links) dockt an das Enzym Gyrase an (Mitte, in gelb). Dieses ist gerade dabei, die DNA eines Bakteriums (rechts) für einen Kopiervorgang aufzutrennen. Stoppt Albicidin dieses Auftrennen mitten im Prozess, stirbt das Bakterium ab.

Albicidin (links) dockt an das Enzym Gyrase an (Mitte, in gelb). Dieses ist gerade dabei, die DNA eines Bakteriums (rechts) für einen Kopiervorgang aufzutrennen. Stoppt Albicidin dieses Auftrennen mitten im Prozess, stirbt das Bakterium ab.

Bildquelle: © Alina Kurothtina

„Trotz seines bekannten antibiotischen Potenzials und seiner geringen Toxizität in vorklinischen Experimenten ist es notwendig, die Struktur und Zusammensetzung des doch recht großen Albicidin-Moleküls für seine Verwendung als Arzneimittel zu optimieren“, erklärt Roderich Süssmuth. Genau das war jedoch nicht möglich, weil unklar war, wie genau Albicidin die Bakterien abtötet. Gemeinsam mit Laborteams von Dr. Dmitry Ghilarov am John Innes Centre in Norwich (Großbritannien) und Prof. Jonathan Heddle an der Jagiellonen-Universität Krakau (Polen) hat Süssmuth sich diesem Problem angenommen.

Jetzt ist es ihnen gelungen, mit Hilfe von Kryo-Elektronenmikroskopie dem Molekül bei der Arbeit zuzuschauen. Albicidin blockiert das Enzym Gyrase, dass eine wichtige Funktion bei der bakteriellen Zellteilung hat. Um das besser zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick in die molekularen Vorgänge bei der Zellteilung.

Albicidin blockiert die Gyrase

Die DNA ist im Ruhezustand fest aufgewickelt. Fachsprachlich wird dies auch als super-coil bezeichnet. In diesem Zustand kann das Erbgut weder abgelesen noch vervielfältigt werden. Auch eine Zellteilung ist damit unmöglich. Gyrasen binden an die fest aufgewickelte DNA, „entwirren“ sie und machen sie für andere Enzyme zugänglich. Damit das funktioniert, müssen die Gyrasen die DNA-Doppelhelix kurzzeitig durchschneiden und dann die beiden Stränge möglichst schnell wieder miteinander verbinden. Genau das ist die Achilles-Ferse des Enzyms, die von Albicidin ausgenutzt wird.

Albicidin bildet eine L-Form und ein Teil des Moleküls schiebt sich zwischen die geschnittene DNA-Doppelhelix, der andere blockiert die Gyrase. Resultat: Das Enzym kann die aufgeschnittenen DNA-Enden nicht wieder miteinander verknüpfen - mit letalen Folgen für die Zelle. Der Wirkmechanismus ist vergleichbar mit einem Schraubenschlüssel, der zwischen zwei laufende Zahnräder geworfen wird und diese blockiert.

Schnelle Resistenzen unwahrscheinlich

„Es scheint, dass Albicidin aufgrund der Art der Wechselwirkung auf einen wirklich wesentlichen Teil des Enzyms abzielt und es für Bakterien dadurch schwierig wäre, dagegen eine Resistenz zu entwickeln“, sagt Roderich Süssmuth. Als nächstes muss das natürlich vorkommende Albicidin modifiziert und in seinen pharmakologischen Eigenschaften weiter verbessert werden. Erste Tests mit drei neuen Albicidin-Variationen zeigten vielversprechende Ergebnisse: Die Moleküle waren bereits in kleinsten Konzentrationen hochwirksam.

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Forschung an Antibiotikum - Hoffnung auf das Pflanzengift Albicidin | Interview mit Roderich Süßmuth (Deutschlandfunk, 28. Januar 2023)

Natürliches Pflanzengift als neues Breitband-Antibiotikum | Pressemitteilung der TU Berlin (27. Januar 2023)

Jetzt sind klinische Studien nötig, um herauszufinden, wie sicher und wirksam das Molekül bei der Behandlung von Patienten ist.

„Sind diese erfolgreich, würde Albicidin eine ganz neue Klasse von Antibiotika begründen – und könnte vielen Tausenden von Menschen jährlich das Leben retten“, sagt Süssmuth. Voraussichtlich werden jedoch noch acht bis zehn Jahre Forschung dafür nötig sein.


Quelle:
Michalczyk, E., Hommernick, K., Behroz, I. et al. Molecular mechanism of topoisomerase poisoning by the peptide antibiotic albicidin. Nat Catal 6, 52–67 (2023). https://doi.org/10.1038/s41929-022-00904-1

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Titelbild: Ein Krankheitserreger des Zuckerrohrs könnte der Ausgangspunkt für ein lebensrettendes neues Antibiotikum sein. (Bildquelle: © Mengyqer / pixabay)