Arten-Hotspots identifiziert

Mit künstlicher Intelligenz entstand ein umfassendes Weltbild der Artenvielfalt

29.11.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Feuchte tropische Bergwälder wie hier auf La Réunion sind durch eine reiche Epiphytenflora gekennzeichnet (Bildquelle: © Patrick Weigelt)

Feuchte tropische Bergwälder wie hier auf La Réunion sind durch eine reiche Epiphytenflora gekennzeichnet (Bildquelle: © Patrick Weigelt)

Forscher:innen haben das bisher genaueste Modell zur Berechnung der globalen Verteilung von Pflanzenarten entwickelt. Damit können auch die Einflüsse klimatischer und anderer Umweltfaktoren sowie verwandtschaftliche Entwicklungen modelliert werden.

Pflanzen haben eine übergeordnete Bedeutung für das Funktionieren von Ökosystemen und damit auch für den Menschen, der von den vielfältigen Ökosystem-Dienstleistungen abhängig ist. Trotzdem gibt es bis heute nur ein lückenhaftes Wissen über die globale Verteilung von Pflanzenarten und über die Einflüsse von Klima und Umwelt auf die Pflanzenvielfalt. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Arbeitsgruppe Biodiversität, Makroökologie und Biogeographie der Universität Göttingen hat jetzt unter Zuhilfenahme neuer Berechnungsmethoden die bislang detailgenauesten Karten zur Verbreitung der Arten erstellt.

Für ihre Modellierungen verwendeten die Forscher:innen die globalen Daten von über 300.000 Gefäßpflanzenarten aus 830 Regionen der Erde und setzten sie in Beziehung zu aktuellen und vergangenen Klima- und Umweltbedingungen (heutige Zeit, Pleistozän, Pliozän). Über moderne maschinelle Lernverfahren berechneten sie die globale Artenverteilung sowie ihre Verwandtschaftsgrade und konnten so auch ein genaues Bild der jeweiligen Evolutionsgeschichte zeichnen. Dazu identifizierten sie globale Hotspots der pflanzlichen Artenvielfalt.

Klima wichtigster Faktor

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Parque Nacional Sajama, Sajama (Bolivien). Nur wenige Pflanzenarten kommen in den höchsten Höhenlagen vor, wie diese Polylepis-Bäume auf dem bolivianischen Altiplano.

Parque Nacional Sajama, Sajama (Bolivien). Nur wenige Pflanzenarten kommen in den höchsten Höhenlagen vor, wie diese Polylepis-Bäume auf dem bolivianischen Altiplano.

Bildquelle: © Patrick Weigelt

Die wichtigsten Treiber der globalen Artenvielfalt waren gemäß der Berechnungen die gegenwärtigen klimatischen Faktoren. Sie waren für 34,4 bis 48,1 Prozent der Veränderungen in der Artenvielfalt verantwortlich. Günstig waren Aspekte wie hoher Energieinput über die Sonne, gute Wasserverfügbarkeit und geringe jahreszeitliche Schwankungen. Dagegen hatten stabile klimatische Verhältnisse wie in der letzten Vereisungsphase im Jungpleistozän oder in der Warmzeit im Mittleren Pliozän nur einen geringen Einfluss auf die heutige Artenvielfalt (0,8 bis 5,5 Prozent). Weitere wichtige Treiber waren eine abwechslungsreiche Umwelt mit vielen verschiedenen kleinräumigen Habitaten und einer Vielfalt an unterschiedlichen Böden (21 bis 40,9 Prozent). Größere geografische Unterschiede waren dagegen nur für 9,8 bis 23,1 Prozent der Veränderungen in der Artenvielfalt verantwortlich. Auch stellten die Forscher:innen fest, dass Isolationseffekte, die auf Inseln einer der Haupttreiber für eine größere Artenvielfalt sind, auf dem Festland nur eine geringe Bedeutung haben.

Hinsichtlich der Verwandtschaftsverhältnisse kamen die Forscher:innen zu dem Schluss, dass die Entwicklungen in der phylogenetischen Vielfalt größtenteils analog zur Artenvielfalt stattfanden. Lediglich beim Einfluss kleinräumiger Habitate konnten die Forscher:innen Abweichungen feststellen: Hier war der Einfluss auf die Artentwicklung deutlich stärker (21 bis 40,9 Prozent) als auf die phylogenetische Vielfalt (16,3 bis 27,2 Prozent). Sie vermuten, dass aufgrund der kleinräumigen Habitate eine vermehrte Artenbildung vor Ort eingesetzt haben könnte. Arten mit sehr engen Verwandtschaftsgraden haben dann sehr viele ähnliche Merkmale und tragen daher noch nicht so stark zur phylogenetischen Vielfalt bei.

Globale Hotspots

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Das Ökosystem des Amazonas-Regenwaldes ist weltweit einzigartig. Es beherbergt eine große Diversität von Tier- und Pflanzenarten und ist als CO2-Speicher unverzichtbar für den Kampf gegen den Klimawandel.

Das Ökosystem des Amazonas-Regenwaldes ist weltweit einzigartig. Es beherbergt eine große Diversität von Tier- und Pflanzenarten und ist als CO2-Speicher unverzichtbar für den Kampf gegen den Klimawandel.

Bildquelle: © DEZALB / Pixabay

Auf den mit den Daten erstellten Karten zeigte sich die höchste Artenvielfalt in den tropischen Regionen in Mittelamerika und dem südlichen Mexiko, im Bereich der Anden bis zum Amazonasbecken, in der Karibik und in Südost-Brasilien, in der Kap Region in Südafrika, auf Madagaskar und dem Malaiischen Archipel, in Indochina und im südlichen China. Besonders die Berghänge in tropischen Regionen wie den tropischen Bereichen der Anden, den ostafrikanischen Hochländern und in tropischen Bergregionen Asiens sind die globalen Hotspots der pflanzlichen Artenvielfalt. Hier bilden eine heterogene Umwelt mit vielen unterschiedlichen Habitaten und Böden sowie ein warmes und feuchtes Klima die ideale Grundlage für eine reiche Vielfalt an Pflanzenarten. Die Artbildung wurde in der Vergangenheit zusätzlich durch verschiedene Prozesse wie die Gebirgsbildung gefördert. Die Gebirgsbildung beeinflusst kontinuierlich die Bodenbildung und verändert das lokale Klima. Dadurch entstehen neue Kleinhabitate, in denen sich neue Arten entwickeln können.

Genaue Vorhersagen, besserer Schutz

Genau diese Hotspots der Pflanzenvielfalt sind aktuell besonders gefährdet, zum einen durch den Klimawandel und zum anderen durch menschliches Eingreifen wie Abholzung und Landnutzungsänderungen. Das neu entwickelte Modell mit den hoch auflösenden Karten ermöglichen eine bisher nicht erreichte Genauigkeit für die Vorhersagen bei der Entwicklung der globalen Pflanzenvielfalt, betonen die Forscher:innen. „Zu wissen, wo eine bestimmte Anzahl von Arten unter den gegenwärtigen Bedingungen zu erwarten ist, ermöglicht uns, zukünftige Entwicklungen aufgrund von Veränderungen des Klimas und der Landnutzung abzuschätzen sowie die Auswirkungen von Übernutzung und eingeschleppten invasiven Arten zu erkennen“, so Studienleiter Patrick Weigelt von der Universität Göttingen. Damit bietet das Modell die Basis für ein globales Biomonitoring sowie eine wichtige politische und naturschutzfachliche Entscheidungshilfe für entsprechende Schutzmaßnahmen und die Ausweisung von neuen Schutzgebieten zum Erreichen der Biodiversitätsziele. Sicher auch eine interessante Information für die am 7. Dezember beginnende UN-Biodiversitätskonferenz (CBD COP15) in Montreal, Kanada: Hier werden die Vertreter der Länder einen neuen globalen Rahmen für den Schutz der biologischen Vielfalt (Post-2020 Global Biodiversity Framework) verhandeln. Die Daten dieser Studie sind abrufbar unter: https://gift.uni-goettingen.de/shiny/predictions/


Quelle:
Cai, L. et al (2022): Global models and predicitions of plant diversity based on advanced machine learning techniques. In: New Phytologist, 14. November 2022. dx.doi.org/10.1111/nph.18533

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Titelbild: Feuchte tropische Bergwälder wie hier auf La Réunion sind durch eine reiche Epiphytenflora gekennzeichnet (Bildquelle: © Patrick Weigelt)