Wir schlagen über die Stränge
Studie zeigt die Grenzen der planetaren Belastbarkeit auf
Es wird Zeit zum Handeln: Eine neue Studie zeigt die Grenzen der planetaren Belastbarkeit auf und wie weit die Menschheit diese bereits überschritten hat. Ein weiteres Überschreiten der planetaren Grenzen des Systems Erde könnte die Menschheit aus ihrer Komfortzone holen – die Folge wären schlechtere Klimabedingungen und steigende Armut.
Das Konzept der „Planetaren Grenzen“ beinhaltet neun wichtige Bereiche, die Aufschluss über Veränderungen im globalen System der Erde geben. Dazu gehören: Der Klimawandel, die Artenvielfalt, die Ozonschicht, die Ozeanversauerung, biogeochemische Stoffflüsse (vor allem Stickstoff und Phosphor), Landnutzungsänderungen, der Verbrauch von Frischwasser, die Abgabe von Aerosolen an die Atmosphäre (zum Beispiel durch Verfeuerung von Kohle) und die Freisetzung von neuartigen Stoffen (zum Beispiel Nanoteilchen). Die für die jeweiligen Bereiche definierten Grenzen sollen aufzeigen, wie weit die Menschheit in die Stabilität des globalen Systems eingreift, wo sie die Belastbarkeit des Systems Erde bereits überschreitet und bei welchen Aktivitäten sie sich noch im sicheren Bereich bewegt. In einer neuen Studie hat ein internationales Team von Wissenschaftlern unter Mitwirkung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung diese Grenzen, die 2009 erstmals vorgestellt wurden, jetzt neu abgeschätzt.
Das Verlassen der „Wohlfühlzone“
Große Veränderungen der Lebensbedingungen hat es auf der Erde immer wieder gegeben. Manche waren so stark, dass bis zu 96 Prozent der Lebewesen in kurzer Zeit ausstarben, weil sie sich nicht so schnell an die veränderte Umwelt anpassen konnten. Diese Ereignisse werden „Massenaussterben“ genannt.
Der Mensch ist an die Lebensbedingungen des aktuellen Zeitabschnitts der Erdgeschichte, des Holozäns, angepasst. Das Holozän begann vor 11.700 Jahren mit dem Ende der letzten Eiszeit. Das Problem: Die Eingriffe des Menschen in das planetare System bewirken möglicherweise Veränderungen, die die Lebensbedingungen deutlich aus der menschlichen „Wohlfühlzone“ des Holozäns herausbewegen könnten, mit den entsprechenden Konsequenzen wie ungünstige Klimabedingungen, Wasserknappheit und gesellschaftlichen Folgen wie Wohlstandsverlust und Konflikte um Ressourcen.
Grenzen neu definiert
Für ihre neue Studie haben die Forscher die Grenzen der neun Bereiche auf Grundlage neuer Erkenntnisse überarbeitet. Die Ergebnisse zeigen: In mittlerweile vier Bereichen sind die berechneten Grenzen bereits überschritten worden:
- beim Klimawandel (Anstieg der globalen Temperatur durch Treibhausgase),
- bei der Biodiversität (Artenverlust),
- bei den Landnutzungsänderungen (Abholzung von Wäldern und damit Einfluss auf das Klima) und
- bei den biogeochemischen Stoffflüssen (Überdüngung mit Stickstoff und Phosphor).
Besonders wichtig sind nach Ansicht der Wissenschaftler der Klimawandel und der Artenverlust, da sie Schlüsselfunktionen im globalen System innehaben. Ein Überschreiten der Grenzen allein in diesen Bereichen könnte die Lebensbedingungen auf der Erde bereits gravierend verändern.
Klima als Grundlage
Das Klimasystem ist eine Manifestation des Energieflusses auf der Erde und gibt so die Rahmenbedingungen für jegliches Leben vor. Daher sind Veränderungen beim Klima besonders gravierend. Beim Klimawandel zeigen aktuelle Werte bereits eine Zunahme von Hitzewellen, Starkregenereignissen und einen deutlichen Masseverlust der großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis. Das angestrebte Ziel der Begrenzung der Erwärmung um 2 Grad C (entspricht einer CO2-Konzentration von 450 ppm) ist laut der Wissenschaftler nicht ausreichend. Denn auch bei einer Erwärmung um 2 Grad (entspricht einem Anstieg von 450 ppm CO2) könnten auf die Menschheit noch große Risiken zukommen. Die sichere Grenze wäre hier bei einer Erwärmung von 1,5 Grad C (das entspricht einer CO2-Konzentration von 350 ppm). Aktuell enthält die Atmosphäre 397 ppm CO2, die Konzentration steigt jedes Jahr um weitere 3 ppm CO2.
Artenverlust als globale Bedrohung
Die Biosphäre umfasst sämtliche Ökosysteme und die in ihnen vorkommenden Lebensformen auf der Erde. Funktionierende Ökosysteme regulieren die Energieflüsse auf der Erde und erhöhen die Fähigkeit des planetaren Systems, seinen gegenwärtigen Zustand bei Veränderungen konstant zu halten.
Eine hohe Biodiversität und die mit ihr einhergehende genetische Vielfalt erhöhen wiederum die Fähigkeit von Ökosystemen, sich an Veränderungen anzupassen. Darum liegt im Artenverlust nach Meinung der Forscher eine der Hauptgefahren. Schwindet der genetische Pool, kommt auch die Stabilität der Ökosysteme ins Wanken, mit nicht absehbaren Ausmaßen für das globale Gleichgewicht.
Um die Grenze der Belastbarkeit beim Artenschwund zu berechnen, legten die Forscher unter anderem das sogenannte „Hintergrundaussterben“ (background extinction rate) zugrunde – die Kalkulation der natürlichen Aussterberate vor dem Eingreifen des Menschen. Sie liegt bei schätzungsweise einer ausgestorbenen Art pro Million Arten pro Jahr. Aber selbst mit einer um eine „Unsicherheitszone“ erweiterten Grenze auf 10 ausgestorbene Arten pro Million Arten pro Jahr liegt die aktuelle Aussterberate deutlich höher: Sie wird von den Forschern auf 100 bis 1000 ausgestorbenen Arten pro einer Million Arten pro Jahr geschätzt.
Alles ist mit allem verbunden
Die Forscher betrachteten in ihrer Studie nicht nur die planetaren Grenzen, sondern auch die Belastungsgrenzen von verschiedenen Regionen. Hier zeigte sich, dass auf regionaler Ebene bereits weitere Grenzen überschritten werden, die global noch nicht erreicht sind: So liegt zum Beispiel der Frischwasserverbrauch in Teilen Südeuropas und Asiens, im Westen der USA und im Mittleren Osten über den Grenzwerten. Zugleich zeigen sich auf der regionalen Ebene auch die Schwierigkeiten, die auftreten, wenn Schutzmaßnahmen ergriffen werden: Würde man die Bewässerung der Felder drosseln, um Wasser zu sparen, würden die Ernteerträge sinken. Dadurch würden wiederum mehr Flächen in Ackerland umgewandelt, was zu einer weiteren Überschreitung der Belastungsgrenzen bei den Landnutzungsänderungen führen würde. Hier zeigt sich, so die Forscher, wie eng die einzelnen Bereiche mit einander verbunden sind. Als Lösung könnte effizientes Bewässerungsmanagement helfen, in beiden Bereichen die Belastung nicht weiter zu erhöhen.
Eine Grenze ist keine Schwelle
Die Forscher betonen, dass die von ihnen berechneten Grenzen nicht mit den vielzitierten Kipp-Punkten (Tipping Points) gleichzusetzen sind. Überschreitet man einen Kipp-Punkt, kommen Mechanismen in Gang, die nicht mehr aufzuhalten sind, auch wenn die eigentliche Ursache verschwindet. Beispiele sind das Abschmelzen der Eisschilde an den Polen und das Auftauen der Permafrostböden. Eine planetare Grenze ist hingegen ein Warnsignal: Sie zeigt an, dass man die sichere Zone verlässt. Daher ist sie vor einer Schwelle oder einem Kipp-Punktes angesiedelt. So ist die Möglichkeit gegeben, rechtzeitig vor dem endgültigen Überschreiten einer Schwelle gegenzusteuern und so die Wahrscheinlichkeit des Eintretens von plötzlichen und unabschätzbaren Veränderungen zu verringern.
Nur Mut
Dass entschlossenes Handeln funktionieren kann, zeigt sich nach Meinung der Forscher in den Maßnahmen gegen das Ozonloch: Hier hat die Weltgemeinschaft nach dem Überschreiten einer regionalen Grenze (Ozonabbau über der Antarktis) kollektiv und entschlossen gehandelt und FCKW verboten. In der Folge ist der Ozonabbau in der Stratosphäre während der letzten 15 Jahre zu Erliegen gekommen und es wird erwartet, dass die Ozonkonzentration in den nächsten Jahrzehnten wieder steigen wird. Dann könnte das Ozonloch im Jahr 2050 verschwunden sein.
Quelle:
Steffen, W. et al (2015): Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. In: Science 347:6219 (online 15.01.2015), doi: 10.1126/science.1259855.
Zum Weiterlesen:
- Klimawandel mit Tradition - Die Beeinflussung des Klimas durch den Menschen setzte schon vor mindestens 3.000 Jahren ein
- Tropische Wälder als Methangaslieferanten - Bisherige Erkenntnisse auf den Kopf gestellt
- Wilde Pflanzenarten werden unser Überleben sichern - Biodiversität nutzbar machen
- Welternährung 2050: Strategisch und nachhaltig haushalten mit Wasser und Nährstoffen
Titelbild: Die Erde besteht aus vielen zusammenhängenden Kreisläufen und Prozessen, in die der Mensch zunehmend eingreift. Mit gravierenden Folgen. (Bildquelle: © Tesseract2/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0)