Das zweite Gedächtnis
Epigenetischer Code für Stressabwehr ist vererbbar
Pflanzenforscher haben bei der Ackerschmalwand das Gen MSH1 mittels RNA-Interferenz zeitweise ausgeschaltet und dadurch Pflanzen erzeugt, die gegenüber Umweltstress widerstandsfähiger sind. Der durch den Eingriff modifizierte epigenetische Code wurde über Generationen vererbt. Auch Kreuzungen dieser Pflanzen mit dem Wildtyp führten zu Nachkommen, die einen deutlichen Fitnessvorteil zeigten.
Die DNA-Sequenz bestimmt alleine die Eigenschaften eines Organismus. Was lange als Dogma galt, wurde längst um einen wichtigen Aspekt erweitert: Neben dem genetischen existiert noch der epigenetische Code. Dieser bestimmt, welche Gene im Genom längerfristig an- und abgeschaltet werden.
Der epigenetische Code beruht unter anderem auf Methylierungen der Basen des DNA-Stranges, die die Genaktivitäten beeinflussen. Diese Modifikationen werden u. a. durch bestimmte Umweltbedingungen wie Trockenheit oder Hitze induziert. So funktioniert der Code wie ein „Kurzzeit-Gedächtnis“ für den Organismus, da die Pflanzen sich fortan schneller an wiederkehrende Stresssituationen anpassen können.
Diese Basen-Modifikationen sind reversibel. Aber mittlerweile weiß man, dass epigenetische Veränderungen teilweise auch an die Folgegenerationen vererbt werden können. Ein internationales Team von Pflanzenforschern hat nun einen solchen Mechanismus näher entschlüsselt. Er ist mitverantwortlich für die Steuerung von Stressantworten und der circadianen Rhythmik von Pflanzen.
Methylierungen an Cytosinen
Die Weitergabe von epigenetischen Informationen an die Nachkommen ist in manchen Fällen durchaus sinnvoll – denn jene Umweltfaktoren, denen die pflanzlichen Eltern ausgesetzt waren, können auch die Nachkommen betreffen. So ist bekannt, dass Methylierungsmuster der Nukleinbase Cytosin auch nach der Meiose zumindest teilweise erhalten bleiben und dann auch im Keimling noch vorhanden sind.
In der nun vorliegenden Studie haben sich die beteiligten Wissenschaftler mit dem pflanzenspezifischen Protein MSH1 (MUTS HOMOLOG 1) bei der Ackerschmalwand beschäftigt. Schaltet man mittels RNA-Interferenz (RNAi) das Transkript des zugehörigen Gens aus, resultiert ein Phänotyp, der hinsichtlich Entwicklung und Stressantwort hoch variabel ist. Typische Merkmale sind eine verringerte Wachstumsrate, ein veränderter Chlorophyllgehalt, spätere Blüh- und Reifezeitpunkte und eine verstärkte Stressantwort.
373 erbliche Änderungen des Methylierungsmusters
Nachdem die Forscher das RNAi-Transgen wieder entfernt haben und MSH1 wieder normal transkribiert wurde, behielten etwa ein Fünftel der Pflanzen den veränderten Phänotyp. Er wurde bei Selbstkreuzung sogar über mehrere Generationen vererbt.
Es zeigte sich, dass Pflanzen mit dem vererbbaren Phänotyp sich in 373 Methylierungsstellen von den anderen Pflanzen unterschieden. An deren Programmierung wirken der Studie zufolge das Gen HISTONE DEACETYLASE 6 sowie die Methyltransferase MET1 mit. Die Methylierungsstellen betreffen regulatorische Pfade der circadianen Rhythmik, der Auxin-Antwort, der Phytohormonsignale und des RNA-Spliceosom-Prozesses. Der generelle Grad der Methylierung unterschied sich aber weder signifikant gegenüber dem Wildtyp noch gegenüber den Pflanzen ohne Gedächtniseffekt nach der RNAi-Intervention.
Um die „Gedächtnis“-spezifischen Methylierungsmuster der Cytosine zu identifizieren und von zufälliger Variation unterscheiden zu können, haben die Forscher einen erst unlängst als „Methyl-IT“ publizierten Künstlichen-Intelligenz (KI)-Ansatz verwendet. So konnten sie jene Veränderungen bestimmen, die bei den „Gedächtnislinien“ weit häufiger auftraten als in Wildtyplinien und Linien ohne Gedächtniseffekt. Zudem zeigte sich, dass die identifizierten Veränderungen über die untersuchten fünf Generationen weitaus stabiler waren, als dies für die gleiche Anzahl zufällig ausgewählter sonstiger Methylierungsstellen der Fall war.
Die Autoren sehen die Methyl-IT-Methode daher als wichtiges Werkzeug für Studien des pflanzlichen Methyloms, da sich so Musterveränderungen infolge von Umweltfaktoren mit sehr hoher Auflösung analysieren lassen. Das zeigt sich auch daran, dass rund zwei Drittel der beteiligten Methylierungen außerhalb bislang für eine Methylierung bekannter Genkörperstellen lagen, also jenem Bereich der Gene, die in mRNA transkribiert werden.
Auffällig ist zudem, dass viele der am „Gedächtnis“ beteiligten Methylierungen in relativer Nähe zu Transposons liegen. Das untermauert andere Studien, die nahelegen, dass die Positionen von Transposons im Genom sich evolutionär so entwickelt haben, dass sie Einfluss auf die Genregulation und die Plastizität des Phänotyps haben.
Potenzial für die Pflanzenzüchtung
Unter dem Strich führte die Störung des MSH1-Gens durch RNA-Interferenz zu epigenetischen Effekten, die über mehrere Generationen das Pflanzenwachstum und die Reaktionen auf Umwelteinflüsse beeinflussten, resümieren die Beteiligten. Bemerkenswert für die Pflanzenzüchtung sei dabei, dass die Kreuzungen von „Gedächtnislinien“ mit dem Wildtyp zu besonders wachstumsstarken und widerstandsfähigen Nachkommen führen. Für die Pflanzenzüchtung wäre das ein neuer Ansatz, Pflanzensorten schneller an klimatische Veränderungen anzupassen.
Epigenetik als Chance für die Pflanzenforschung steht aktuell auch im Fokus einer neuen Fördermaßnahme des Bundesforschungsministeriums. Forschungseinrichtungen und Unternehmen können sich noch bis zum 15. September 2020 mit Projekten bewerben. Alle Informationen dazu gibt es auf der Website des BMBF: www.bmbf.de/foerderungen/bekanntmachung-2936.html.
Quelle:
Yang, X. et al. (2020). Segregation of an MSH1 RNAi transgene produces heritable non-genetic memory in association with methylome reprogramming. In: Nature Communications 11, 2214, (5. Mai 2020), doi: 10.1038/s41467-020-16036-8.
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Titelbild: Als Versuchspflanze diente der beliebte Modellorganismus Arabidopsis thaliana, auch Ackerschmalwand genannt. (Bildquelle: © iStock.com/dra_schwartz)