Domestikationsgeschichte von Mais revidiert

Neue Erkenntnisse durch genetische und archäologische Analysen

14.01.2019 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Maissorten aus der Nähe von Cusco und Machu Picchu in Peru. (Bildquelle: © Fabio de Oliveira Freitas)

Maissorten aus der Nähe von Cusco und Machu Picchu in Peru. (Bildquelle: © Fabio de Oliveira Freitas)

Teosinte – der wilde Vorfahre von Mais in Mittelamerika – hat wenig Ähnlichkeit mit unserer heutigen Kulturpflanze: Seine Kolben sind winzig klein und enthalten nur wenige Kerne. Im Laufe der Zeit entwickelten die Nachkommen der Wildpflanze jedoch größere Kolben sowie zartere und viel mehr Kerne. Die Pflanze stieg zum wichtigsten Grundnahrungsmittel der indianischen Hochkulturen auf. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Endphasen seiner Domestikation unabhängig voneinander an verschiedenen Orten stattfanden. Sie beleuchtet damit die Geschichte eine der wichtigsten Kulturpflanzen der Welt neu.

Genetiker und Archäologen vermuten seit Jahren, dass die Umwandlung von Teosinte in Mais im tropischen Tiefland des heutigen Südmexiko vor etwa 9.000 Jahren begann. Der Grund dafür: Teosinte-Varianten, die heute in dieser Region wild wachsen, sind dem Mais genetisch ähnlicher als Teosinte-Pflanzen an anderen Orten in Mittel- und Südamerika.

Wurden erst vollständig domestizierte Pflanze aus Mexiko verbreitet?

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Natürliche Vielfalt: Mais gibt es heute in vielfältigen Variationen.

Natürliche Vielfalt: Mais gibt es heute in vielfältigen Variationen.

Bildquelle: © Natália Carolina de Almeida Silva

Im südwestlichen Amazonasgebiet und an der Küste Perus deuten Funde von Pollen und anderer widerstandsfähiger Pflanzenreste in alten Sedimenten auf eine komplexere Vorgeschichte des Domestikation dieser Pflanze vor etwa 6.500 Jahren hin. „Vor der Durchführung unserer Studie sah es so aus, als gäbe es in Mexiko nur ein einziges Domestizierungsereignis, und die Menschen verbreiteten die domestizierten Pflanzen dann weiter nach Süden“, so Studienleiter Logan Kistler.

Rätselhafter Mais-Prototyp entdeckt

Aber weit gefehlt. Vor einigen Jahren, als Genetiker die DNA von 5.000 Jahre altem Mais in Mexiko sequenzierten, wurde die Geschichte komplizierter. Die Ergebnisse zeigten, dass das, was sie gefunden hatten, ein Prototyp war. Die Pflanze enthielt eine Mischung aus Teosinte-Genen und Genen der domestizierten Pflanze. Diese Pflanze besaß auch noch zähe Kernhüllen um die Maiskörner, die eine Nutzung als komfortable Nahrungspflanze sehr einschränkte.

Das Paradoxe daran: „Es gab einen kontinuierlichen Maisanbau im südwestlichen Amazonasgebiet bereits vor 6.500 Jahren bis hin zur europäischen Kolonisation“, so Kistler. „Wie konnte es diesen florierenden, voll domestizierten Maiskomplex im Südwesten des Amazonas geben, und in der Nähe des Domestizierungszentrums in Mexiko war der Domestizierungsprozess noch im Gange?“

Genetischer Vergleich löst Rätsel

Um dieses Rätsel zu lösen, rekonstruierte Kistlers Team die Evolutionsgeschichte der Pflanze durch einen genetischen Vergleich von mehr als 100 modernen Maissorten aus ganz Amerika, darunter 40 neu sequenzierte Sorten. Darunter waren auch viele Proben aus dem östlichen Tiefland Südamerikas, die in früheren Studien unterrepräsentiert waren.

Viele dieser Sorten wurden in den letzten 60 Jahren in Zusammenarbeit mit einheimischen und traditionellen Bauern gesammelt und werden in der Genbank bei Embrapa, der landwirtschaftlichen Organisation der brasilianischen Regierung, aufbewahrt.

Domestikation von Mais fand mehrfach an mehreren Orten statt

Das Team bestimmte die genetischen Beziehungen dieser Pflanzen und entdeckte dabei gleich mehrere Entwicklungslinien. „Mit anderen Worten“, so Kistler, „die Endphase der Domestikation von Mais ist mehr als einmal an mehr als einem Ort erfolgt.“

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Logan Kistler im Labor: Mit Hilfe von DNA-Sequenzanalysen lässt sich die Domestikation von Mais zurückverfolgen.

Logan Kistler im Labor: Mit Hilfe von DNA-Sequenzanalysen lässt sich die Domestikation von Mais zurückverfolgen.

Bildquelle: © Shahidul Alam, Drik Picture Library

Zuerst warfen die Ergebnisse viele ungelöste Fragen auf. Aber als das Wissenschaftlerteam begann, die Geschichte Südamerikas mit ihren neuen Ergebnissen in Verbindung zu bringen, entstand ein sinniges Bild der Verbreitung von Mais auf dem Kontinent:

„Demnach könnte ein Proto-Mais während der Domestikation in Südamerika mindestens zweimal entstanden sein“, so Kistler. Vor 6.500 Jahren war die erst teilweise domestizierte Pflanze in einer Region des südwestlichen Amazonas angekommen. Dort lebten die Menschen auch vom Anbau von Reis, Maniok und anderen Kulturen. Dieser Mais wurde Bestandteil der lokalen Landwirtschaft und entwickelte sich unter menschlichem Einfluss weiter, bis er Tausende von Jahren später vollständig domestiziert war. Von dort aus gelangte er schließlich nach Osten, als Teil einer allgemeinen Expansion dieser Menschen und Intensivierung der Landwirtschaft. Archäologische Funde bestätigen diese Annahme.

Weitere Verbreitung des Mais vor 4.000 Jahren

Vor rund 4.000 Jahren, so Kistler, habe sich der Mais im südamerikanischen Tiefland weit verbreitet. Genetische und weitere archäologische Beweise deuten darauf hin, dass sich der Maisanbau vor etwa 1.000 Jahren ein zweites Mal nach Osten ausgedehnt hat, von den Ausläufern der Anden bis zum Atlantik.

Mensch und Mais verbindet somit eine lange gemeinsame Geschichte. Das ist nicht nur historisch bedeutsam, sondern auch für die Gegenwart interessant. Logan Kistler dazu: „Aus der gemeinsamen Evolution von Mensch und Pflanze können die heutigen Menschen wertvolle Erkenntnisse ziehen, wie sich der Mais in sich verändernden Umweltverhältnissen optimal für den Menschen nutzbar machen lässt.“


Quelle:
Kistler, L. et al. (2018): Multiproxy evidence highlights a complex evolutionary legacy of maize in South America. In: Science, 2018: 362(6420):1309-1313, (14. Dezember 2018), doi: 10.1126/science.aav0207.

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Titelbild: Maissorten aus der Nähe von Cusco und Machu Picchu in Peru. (Bildquelle: © Fabio de Oliveira Freitas)