Dreimal kultiviert
Reis – einmalig in der Entstehungsgeschichte der Kulturpflanzen
Bisher ging man davon aus, dass Reis in Asien und Afrika domestiziert wurde. Aktuelle Funde deuten jedoch darauf hin, dass sich auch die Südamerikaner von Reis ernährten und diesen gezielt anbauten. Damit nimmt eine der wichtigsten Nahrungspflanzen weltweit eine Sonderstellung ein.
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist auf den täglichen Verzehr von Reis angewiesen, um zumindest 20 Prozent des täglichen Kalorienbedarfs zu decken. Während in Asien Oryza sativa L. dominiert, essen die meisten Afrikaner Oryza glaberrima Steud.
Wiege des Reises liegt im Jangtse-Delta
Was wir heute als Reis kennen, ist vor tausenden von Jahren aus der Kultivierung von Wildgras entstanden. Als Wiege des Reises gilt das Jangtse-Delta in der Nähe von Shanghai. Dort hatten Wissenschaftler in einer Ausgrabungsstätte Überreste von Reis gefunden, die sich 9.400 Jahre zurückdatieren ließen.
Da Reis eines der wichtigsten und ältesten Grundnahrungsmittel weltweit ist, geben solche Untersuchungen Auskunft darüber, wann die Menschheit begonnen hat, das Jäger- und Sammlerleben hinter sich zu lassen und Ackerbau zu betreiben. Mit dem Ackerbau begann auch die Züchtung von Nahrungspflanzen. Die gezielte Auswahl von Samen besonders resistenter oder ertragreicher Pflanzen diente dazu, die Nahrungssicherheit zu verbessern.
Überreste von kultiviertem Reis auch in Südamerika entdeckt
Das ist nun eine echte Überraschung: In einer Ausgrabungsstätte in Monte Castelo in Brasilien haben Wissenschaftler Reis nachweisen können. Offenbar wurde Reis nicht nur in Asien und Afrika domestiziert, sondern auch von Einheimischen in Südamerika. Damit hält diese Nahrungspflanze einen einmaligen Rekord: Sie wurde dreimal unabhängig voneinander auf drei verschiedenen Kontinenten kultiviert und angebaut.
Phytolithe lassen in die Vergangenheit blicken
Natürlich liegen nach so langer Zeit keine echten Reiskörner mehr in der Erde vergraben, die Aufschluss über die Essgewohnheiten der Bevölkerung vor einigen tausend Jahren geben könnten. In Ausgrabungsstätten stoßen Wissenschaftler aber immer wieder auf sogenannte Phytolithen: Das sind Bestandteile mancher Pflanzengewebe, die aus Siliziumdioxid (Quarzsand) bestehen. Phytolithe sind mikroskopisch klein und bleiben im Boden erhalten, wenn der Rest der Pflanze bereits verrottet ist. Um kultivierten Reis aufzuspüren, eignen sich besonders die Phytolithe von Gelenkzellen. Das sind besondere Zellen in der äußeren Zellschicht von Gräsern, die dafür sorgen, dass die Blätter sich einrollen bzw. einfalten können.
Wildreis und Zuchtreis besitzen geringfügig unterschiedlich aufgebaute Gelenkzellen: Während domestizierter Reis mehr als neun fischschuppenartige Strukturen aufweist, sind es beim Wildreis weniger als neun. Mit Hilfe des Kohlenstoffs in den Phytolithen lässt sich über die Radiokarbonmethode außerdem das Alter der Fundstücke bestimmen.
Größe und Anzahl der gefundenen Phytolithe nahm zu
Wissenschaftler haben nun in einem ehemals besiedelten Gebiet in Brasilien 320 dieser Pyhtolithe gefunden und analysiert. Während der Besiedlung des Gebietes, die vor etwa 9.000 Jahren begonnen haben muss und bis ins 14. Jahrhundert dauerte, nahmen Größe und Anzahl der gefundenen Phytolithe in den Schichten der Ausgrabungsstätte zu. Daraus schließen die botanischen Archäologen, dass Wildreis durch menschliches Eingreifen zu Pflanzen mit größeren Körnern domestiziert wurde.
Reisanbau sichert Ernährung auch während Überschwemmungen
Die Entdeckung war eine echte Überraschung für die botanischen Archäologen. Denn eigentlich suchten sie nach Hinweisen zur Kultivierung von Maniok und Mais. Die Fundstücke legen nahe, dass die Bewohner von Monte Castelo Reis und Mais sogar gleichzeitig kultivierten. Den Grund für den Reisanbau vermuten die Wissenschaftler in verstärkten Regenfällen, die die Region vor 6.000 bis 4.000 Jahren regelmäßig überschwemmt haben. Während Staunässe für die meisten Nahrungspflanzen tödlich endet, gedeiht Reis unter diesen Klimaverhältnissen prächtig. Mit der Kultivierung von Reis konnten die Bewohner von Monte Castelo also auch während Überschwemmungen ihre Nahrungsgrundlage sichern.
Widerstandsfähigkeit moderner Reisarten verbessern
Erst als Europäer das Land besiedelten und die einheimische Bevölkerung dezimierte, geriet der traditionelle Reisanbau nach und nach in Vergessenheit. Dennoch könnten wir auch heute noch von den Fundstücken profitieren. Eine Möglichkeit wäre, diejenigen Eigenschaften der Wildreispopulationen aus dem Amazonasgebiet zu identifizieren, die von den Ureinwohnern bei der Domestikation selektiert wurden. Mit diesen Eigenschaften lassen sich möglicherweise auch moderne Reisarten bezüglich ihrer Widerstandfähigkeit noch verbessern.
Quelle:
Hilbert, L. et al. (2017): Evidence for mid-Holocene rice domestication in the Americas. In: Nature Ecology & Evolution, (online 09. Oktober 2017), doi: 10.1038/s41559-017-0322-4.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Reis – die Wiege der menschlichen Zivilisation - Kultivierungsgeschichte nach wie vor strittig
- Ursprung des kultivierten Reis`: Variationen im Reisgenom schaffen Klarheit
- Wie wir den Reis gleich zweimal zähmten
- Die neuen Wilden - Wie Reis domestiziert wurde und wieder verwilderte
Titelbild: Archäologische Funde in Brasilien legen nahe, dass Reis nicht nur in Asien und Afrika, sondern auch von Einheimischen in Südamerika domestiziert wurde. (Bildquelle: © pixabay; CC0)