Doppelt hält besser

Wie die Evolution von Genduplikaten die phänotypische Diversität prägt

22.04.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Eine Mutation des Gens CLV3 sorgt für große Früchte bei Tomaten – doch dieser Effekt wird begrenzt durch ein kompensatorisch wirkendes paraloges Gen, das auf eine Genduplikation zurückgeht. (Bildquelle: © iStock.com / Fonrimso)

Eine Mutation des Gens CLV3 sorgt für große Früchte bei Tomaten – doch dieser Effekt wird begrenzt durch ein kompensatorisch wirkendes paraloges Gen, das auf eine Genduplikation zurückgeht. (Bildquelle: © iStock.com / Fonrimso)

Bei duplizierten Genen haben Mutationen in einer Kopie kaum Auswirkungen auf die Pflanze: das intakte Gen kompensiert mögliche Funktionsausfälle oder verhindert die Ausprägung neuer Eigenschaften. Züchterische Eingriffe an solchen Genen erfordern aber dennoch ein klares Verständnis von den komplexen Zusammenhängen.

Genduplikate sind in pflanzlichen Genomen allgegenwärtig. Ihre Ursprünge können in der Verdoppelung ganzer Genome oder auch nur einzelner DNA-Abschnitte liegen. In jedem Fall sind diese sogenannten paralogen Gene zunächst vollkommen redundant. Das ermöglicht den Pflanzen, genetische Variationen unter „sanfter Selektion“ zu entwickeln, da von der jeweiligen Mutation ja nur eine der Genkopien betroffen ist und die andere den „gewohnten Dienst“ verrichtet. Für die Pflanzenzüchtung kann das interessante Optionen eröffnen, aber auch besondere Herausforderungen bedeuten. Pflanzenforscher haben daher an einem Beispiel die Zusammenhänge einer Genverdoppelung genauer untersucht.

Unterschiedliche Evolution von Genduplikaten

Ein Genduplikat kann das Original-Gen ersetzen, wenn dieses durch eine Mutation seine Funktion verliert. Oder beide Kopien könnten sich auf jeweils unterschiedliche Funktionen spezialisieren, wenn dem Gen zuvor mehrere Aufgaben zukamen. Das Duplikat kann sich aber auch zu einem neuen Gen mit gänzlich neuer Funktion weiterentwickeln.

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Eine Tabakpflanze mit einer Mutation im Gen CLV3 erzeugt größere und zahlreichere Stängel, Zweige und Blüten. Doch dieselbe Mutation hat bei evolutionär verwandten Pflanzen unterschiedliche Auswirkungen.

Eine Tabakpflanze mit einer Mutation im Gen CLV3 erzeugt größere und zahlreichere Stängel, Zweige und Blüten. Doch dieselbe Mutation hat bei evolutionär verwandten Pflanzen unterschiedliche Auswirkungen.

Bildquelle: © Choon-Tak Kwon/Lippman lab/CSHL, 2022

Doch es geht noch komplizierter: Das Duplikat könnte durch Mutation oder erhöhte Transkriptionsrate eine beeinträchtigte Aktivität des Originals ausgleichen. Genau diese Situation stand im Fokus der Studie zum Gen CLV3. Das Gen kodiert für kleine Signalpeptide und ist – anders als andere Gene der CLE-Familie – artübergreifend konserviert. Mutationen des Gens führen bei vielen Arten zu einem vergrößerten Meristem und in der Folge zur Verbänderung, insbesondere der Blüten.

Für eng verwandte Mitglieder der Familie der Nachtschattengewächse hat das Forschungsteam analysiert, wie sich das Gen CLV3 und seine Paraloge jeweils entwickelt und dadurch unterschiedliche Phänotypen herausgebildet haben. Zuvor war bereits bekannt, dass beispielsweise bei der Ackerschmalwand andere Mitglieder der CLE-Genfamilie eine Beeinträchtigung von CLV3 teilweise „passiv“ kompensieren. Tomate und Mais hingegen kompensieren den Funktionsverlust durch eng verwandte Paraloge – jedoch infolge unterschiedlicher Entwicklungen. SlCLE9, das paraloge Gen in der Tomate, hat seinen evolutionären Ursprung unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Diversifizierung der Nachtschattengewächse. Es war daher für die Studie von besonderem Interesse.

SlCLE9-Orthologe kompensieren CLE-Mutationen

Analysen der Genome von 29 Nachtschattengewächsarten ergaben überraschenderweise, dass mehrere von ihnen ihre zu SlCLE9 orthologen Gene teilweise oder vollständig verloren hatten – darunter Kartoffel und Aubergine. Für diese Arten vermuteten die Forscherinnen und Forscher eine passive Kompensation durch homologe CLE-Gene, ohne dass diese dazu eine erhöhte Aktivität entwickeln mussten. Am Beispiel von Nicotiana benthamiana überprüfte das Team in mehreren Mutationsexperimenten erfolgreich seine Hypothese, dass ohne SlCLE9-Orthologe in Nachtschattengewächsen keine aktive Kompensation erfolgt.

Was aber ist mit Arten, die ihre SlCLE9-Orthologe bewahrt haben? Wie wirken sich Veränderungen der Allele zwischen den Linien einer Art auf die Kompensation aus? Während die genetische Sequenz der Prä-Pro-Peptide der SlCLV3- und der SlCLE9-Orthologe sehr variabel ist, ist die Abfolge der zwölf Aminosäuren des aktiven Peptids weitgehend konserviert. Die mutmaßliche cis-regulatorische Region erwies sich für beide Gene wiederum als sehr variabel. Untersuchungen unterschiedlicher Nachtschattengewächse bestätigten den Einfluss cis-regulatorischer Elemente: Sowohl bei Tomaten als auch bei Petunien war die Aktivität von CLE9 deutlich hochreguliert, wenn die Forscherinnen und Forscher CLV3 gentechnisch ausgeschaltet hatten.

Kompensationsstärke hängt an einzelner Aminosäure

Allerdings war die kompensatorische Aktivität bei Petunien deutlich stärker als bei Tomaten. Deshalb blickte das Forschungsteam noch einmal genau auf die codierenden Sequenzen dieser Peptide in beiden Arten. Deren Abfolge ist maßgeblich für eine erfolgreiche Faltung von Liganden und die Bindung von Rezeptoren.

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Auch zahlreiche andere Nachtschattengewächsarten, darunter die Kartoffel, wurden in der Studie untersucht.

Auch zahlreiche andere Nachtschattengewächsarten, darunter die Kartoffel, wurden in der Studie untersucht.

Bildquelle: © Alexey Hulsov / Pixabay

Bei der Tomate befindet sich an einer Position Serin statt Glycin wie bei den meisten anderen Nachtschattengewächsen. Dieses konservierte Glycin in den SlCLE9-Orthologen sorgt für eine effektive Ligandenbindung und eine stärkere Kompensation, wie in der Studie durch Mutationsexperimente an Physalis gezeigt werden konnte. Weitere Versuche deuteten darauf hin, dass das Serin im CLE9-Peptid der Tomate die Bindungsaffinität zu CLV1 verringert und dadurch der Kompensationseffekt abgeschwächt ist.

Die genetische Variation der SlCLE9-Orthologe hinsichtlich Sequenz und cis-Regulation erklärt demnach die qualitativ wie quantitativ unterschiedliche Kompensation von CLV3 in Nachtschattengewächsen und die dementsprechenden Phänotypen. Dabei kann schon eine einzelne verändert Aminosäure entscheidend sein, wie in der Studie noch einmal am Beispiel der Tabakarten N. benthamiana und N. obtusifolia deutlich wurde: Erstere hat ihre Kompensationsfähigkeit komplett verloren; letztere verfügt über eine starke Kompensation, weil sie das Glycin im SlCLE9-Ortholog konserviert hat.

Potenzial und Herausforderung für die Züchtung

Die Pflanzenzüchtung könnte sich dieses breite Spektrum der Kompensationsstärke zunutze machen. So beeinflusst der kompensatorische Effekt von SlCLE9 auch die Fruchtgröße der Tomate, die unter anderem von CLV3 abhängt. Doch bei anderen Nachtschattengewächse lassen sich nicht durch Mutationen von CLV3 größere Früchte erzeugen, sofern diese über potente SlCLE9-Homologe verfügen. Wo duplizierte Gene vorliegen, müssen die komplexen Beziehungen der Paraloge erst verstanden werden, um über eine gezielte Genveränderung auch den gewünschten Phänotyp erzeugen zu können.


Quelle:
Kwon, C.-T. et al. (2022): Dynamic evolution of small signalling peptide compensation in plant stem cell control. In: Nature Plants, (28. März 2022), doi: 10.1038/s41477-022-01118-w.

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Titelbild: Eine Mutation des Gens CLV3 sorgt für große Früchte bei Tomaten – doch dieser Effekt wird begrenzt durch ein kompensatorisch wirkendes paraloges Gen, das auf eine Genduplikation zurückgeht. (Bildquelle: © iStock.com / Fonrimso)