Durch gezielte Prävention Adipositas vermeiden

17.12.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Prof. Dr. Hans Hauner (Quelle: © Hauner)

Prof. Dr. Hans Hauner (Quelle: © Hauner)

Prof. Dr. Hans Hauner leitet in Personalunion den Lehrstuhl für Ernährungsmedizin am Wissenschaftszentrum Weihenstephan (WZW) und das Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin (EKFZ) am Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität in München. Mit der Redaktion von Pflanzenforschung.de sprach er über die chronische Krankheit Adipositas 

Pflanzenforschung.de: In den letzten 30 Jahren hat die Anzahl adipöser Menschen global stark zugenommen. Gibt es dafür gemeinsame Gründe? Oder müssen Industrie- und Schwellenländer getrennt betrachtet werden?

Prof. Dr. Hauner: Die Zunahme der Adipositas in allen Teilen der Welt ist hauptsächlich Folge des „modernen“ Lebensstils mit chronischer Überernährung und Bewegungsmangel. Leider wird diese von den westlichen Industrieländern ausgehende Lebensweise in vielen wirtschaftlich aufstrebenden Ländern wie z.B. China, Indien, Brasilien und anderen allzu bereitwillig übernommen, was dann zwangsläufig zum gleichen Ergebnis führt. In diesen Schwellenländern entscheiden die wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb von Familien über den Lebensstil. Nur wirtschaftlich wohlhabende Bevölkerungskreise können sich die attraktive westliche Lebensweise leisten und entwickeln rasch die damit verbundenen Gesundheitsprobleme, während wirtschaftlich Schwächere sich Überernährung und modernes Fastfood kaum leisten können. In den Industrieländern ist es umgekehrt: Hier sind es vor allem die weniger gebildeten und weniger wohlhabenden Schichten, die sich ungesund und überkalorisch ernähren und damit von Adipositas bedroht sind.

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Die Zunahme der Adipositas ist vor allem Folge des „modernen“ Lebensstils mit chronischer Überernährung und Bewegungsmangel.

Die Zunahme der Adipositas ist vor allem Folge des „modernen“ Lebensstils mit chronischer Überernährung und Bewegungsmangel.

Bildquelle: © Andre / Fotolia.com

Pflanzenforschung.de: Inwiefern spielen genetische Komponenten bei Adipositas eine Rolle?

Prof. Dr. Hauner: Zahlreiche Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien der letzten Jahrzehnte legen nahe, dass genetische Einflüsse das Adipositasrisiko prägen. Die bisher durchgeführten genomweiten Analysen konnten aber – von seltenen Genvarianten abgesehen – wenig beitragen, um die genetischen Grundlagen der Adipositas aufzuklären. Es ist weiterhin ein Rätsel, welche Gene für Adipositas (mit)verantwortlich sind. Sicher ist höchstens, dass die Genetik sehr komplex ist.

Pflanzenforschung.de: Kann durch gesunde Ernährung einer Adipositas vorgebeugt werden? Wie sieht eine solche Ernährung aus?

Prof. Dr. Hauner: Prävention ist sicher die beste und kostengünstigste Strategie zur Bekämpfung der Adipositas. Eine präventive Ernährung beinhaltet Lebensmittel/Speisen mit niedriger Energiedichte also vorzugsweise Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, aber durchaus auch fettärmere, proteinreiche Milchprodukte und Fleischwaren. Auf zuckergesüßte Getränke, die vor allem bei jungen Menschen einen großen Teil der Energiezufuhr ausmachen, sollte besser weitgehend verzichtet werden. Wichtig sind aber auch feste Mahlzeiten sowie der Verzicht auf Imbisse zwischendurch, die ständig und überall verführerisch angeboten werden. Zu überlegen ist auch auf Mahlzeiten teilweise oder ganz zu verzichten, da sie meist nicht wirklich benötigt werden. Eine gewisse kognitive Kontrolle der eigenen Ernährung ist also sinnvoll und im Grunde unverzichtbar. Da Essen aber auch viele positive Seiten hat, muss jeder für sich sein eigenes Schema finden und einhalten. Denn ohne gewisse Selbstdisziplin lässt sich Adipositas in einer Wohlstandsgesellschaft kaum vermeiden. Übrigens, auch Bewegung sollte keinesfalls vernachlässigt werden: gleichwohl haben sich die Menschen noch nie so wenig körperlich angestrengt wie heute.

Pflanzenforschung.de: Welche Erkenntnisse zur Entstehung / Therapie von Adipositas haben Sie in den letzten Jahren gewonnen? Gibt es evtl. neue Erkenntnisse?

Prof. Dr. Hauner: Maximale Freiheit, Genießen und Bequemlichkeit sind heute die zentrale Maxime für viele Menschen geworden. Dies wird natürlich durch Werbung und Industrie massiv gefördert. Es muss aber jedem Menschen klar sein, dass sein eigenes Verhalten hauptsächlich für sein Gewicht verantwortlich ist. Klar ist aber auch, dass Erziehung und Bildung eine wichtige Rolle beim Verhalten spielen. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen mit ständigen Nahrungsangeboten und zweifelhaften bzw. irreführenden Werbebotschaften spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Obwohl die meisten Menschen Gesundheit als oberstes Gut betrachten, tun sie herzlich wenig dafür. Neu ist aber auch, dass jedes Individuum sein eigenes Konzept finden muss und verschiedene Wege zu einer erfolgreichen Gewichtskontrolle führen können.

Pflanzenforschung.de: Warum ist es für adipöse Menschen so schwierig abzunehmen?

Prof. Dr. Hauner: Unser Körper wehrt sich gegen eine Verringerung der Energiezufuhr und verfügt über potente Mechanismen um einer solchen Beschränkung entgegenzuwirken: Von einer Drosselung des Energieverbrauchs bis zu einer gesteigerten Nahrungssuche. Diese Reflexe wurden vermutlich in der langen Vorgeschichte des Menschen erworben, als diese Spezies ständig von Hungersnot bedroht war und nur mit solchen Anpassungsmechanismen überhaupt überleben konnte.

Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!