Giftige Medizin
Mutagenes Pflanzengift in traditionellen Heilmitteln führt zu vielen Krebsfällen in Asien
Mediziner entdecken, auf welche Weise Pfeifenblumen (Aristolochia) die Gene schädigen können.
Pflanzen sind Hauptbestandteile der meisten traditionellen Heilmittel. Während ihre verantwortungsbewusste Verwendung in den meisten Fällen kein Problem ist, trifft das auf die Pflanzengattung Aristolochia nicht zu. Schon seit einigen Jahrzehnten ist die mutagene und kanzerogene Wirkung von Aristolochiasäuren bekannt. In Deutschland darf die Pflanze daher nicht mehr verwendet werden, außer in hochverdünnten homöopathischen Dosen (ab D11). Trotzdem steht das Kraut in Teilen Asiens – obwohl auch hier inzwischen verboten – nach wie vor hoch im Kurs. Zwei internationale Wissenschaftlerteams haben sich erneut mit der Pflanzengattung auseinandergesetzt und können nun zeigen, wie stark Aristolochiasäuren das menschliche Genom schädigen.
Die Gattung Aristolochia
Die Gattung der Pfeifenblumen (Aristolochia, Familie der Osterluzeigewächse/Aristolochiaceae) ist auf vielen Kontinenten verbreitet. Unverkennbar sind die Pflanzen an ihren schlauchförmigen Blüten. Auch in Deutschland gibt es eine der Gattung zugehörige Art, die Gemeine Osterluzei (Aristolochia clematitis), die in der Antike als traditionelles Heilmittel zur Geburtshilfe und zur Behandlung von Arthritis verwendet wurde. Aristolochia wurde in neuerer Zeit zur Gewichtsreduktion und bei Regelbeschwerden eingesetzt.
Die in vielen Vertretern der Osterluzeigewächse enthaltenen Aristolochiasäuren (Aristolochic acid, AA) sind schon seit den 80er Jahren als krebserregend bekannt und dürfen seit 1981 in Deutschland nicht mehr verkauft werden. Sie stehen im Verdacht, schwere Nierenschäden sowie Krebs der oberen Harnwege (Upper-Tract Urothelial Cancer, UTUC) zu verursachen. In den 90er Jahren kamen sie erneut in die Schlagzeilen, als in Belgien Kräutermischungen mit Aristolochia zur Gewichtsreduktion bei den Anwenderinnen schweres Nierenversagen verursachten. Auch bei der in Bulgarien seit den 50er Jahren auftretenden „Balkan-Nephropathie“, einer schweren Nierenerkrankung, entdeckten Forscher einen Zusammenhang zur Osterluzei. Sie stellten fest, dass bei der Getreideernte Samen des Ackerunkrauts mit geerntet und zu Mehl verarbeitet wurden.
Aristolochia wurde in großen Teilen Asiens erst 2003 verboten. Trotz Verbot kann es aber offenbar immer noch über das Internet bezogen werden. Vor allem in Taiwan wird die Pflanze nach wie vor hoch geschätzt. Mediziner gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung Taiwans bereits mindestens einmal aristolochiahaltige Medizin genommen hat. Taiwan hat eine sehr hohe UTUC-Krebsrate.
Mutationen am laufenden Meter
Für die neue Studie untersuchten Forscher der Universität Singapur Gewebe von neun vermutlich durch Aristolochiasäuren verursachten UTUC-Krebsfällen. Sie fanden bis zu 150 Genmutationen per Mb (Megabasenpaaren, eine Million Basenpaare), das ist eine höhere Rate als exzessives Rauchen (8 Mutationen/Mb) und hohe UV-Licht-Dosis (111 Mutationen/Mb), die bisher als Spitzenreiter bei der Mutationsrate galt, verursachen. Zudem war nicht nur ein Gen betroffen, sondern die Forscher fanden Mutationen in bis zu 1.500 Genen. Die Wissenschaftler untersuchten außerdem die Genstruktur von Zellen aus 93 Lebertumoren und fanden in elf von ihnen Aristolochia-typische Signaturen. Das legt den Verdacht nahe, dass Aristolochiasäuren auch weitere Krebsarten fördern könnten.
In einer zweiten Studie stellten Wissenschaftler der Universität Baltimore (USA) eine typische Mutationssignatur in den betroffenen Geweben von 19 Krebs-Patienten fest: Die Mutationen traten bevorzugt an speziellen Sequenzabschnitten wie CAG (Cytosin – Adenin – Guanin) oder TAG (Thymin – Adenin – Guanin) auf. Zudem beobachteten die Forscher ein gehäuftes Auftreten von Transversionen (bei 72 Prozent der beobachteten Mutationen), zumeist auf dem nicht-transkribierten Strang der DNA. Diese Mutationen liegen offenbar oft im Bereich sogenannter Spleißstellen. Hier wird die von der DNA transkribierte prä-mRNA durch das Entfernen (Spleißen) von nicht codierenden Teilen, den sogenannten Introns, zur fertigen mRNA, bestehend aus den protein-codierenden Teilen, den Exons, zusammengestellt. Die beobachteten Mutationen führten teilweise zum Ausschluss ganzer Exons.
Aufklärung ist wichtig
Die Wissenschaftler stellen fest, dass mit den Ergebnissen die Therapien für die betroffenen Patienten zwar nicht verbessert werden können, aber es besteht die Möglichkeit herauszufinden, ob der Krebs durch Aristolochia ausgelöst wurde. Dazu kann gezielt nach möglichen weiteren Aristolochia-induzierten Tumoren gesucht werden. Die Wissenschaftler beider Studien hoffen zudem, mit ihren Ergebnissen dazu beizutragen, die Aufklärung in Bezug auf diese Pflanzengattung weiter voran zu treiben.
Quellen:
- Poon, S. L. et al (2013): Genome wide mutational signatures of aristolochic acid and its application as a screening tool. In: Science Translational Medicine, 5: 197ra101, (7. August 2013), DOI: 10.1126/scitranslmed.3006086.
- Hoang, M. L. et al (2013): Mutational signature of aristolochic acid exposures as revealed by whole-exome sequencing. In: Science Translational Medicine, 5: 197ra102, (7. August 2013), DOI: 10.1126/scitranslmed.3006200.
Zum Weiterlesen:
- Wirkstoffsuche mithilfe traditioneller Medizin?
- Pflanzenforscher auf der Suche nach Krebsmedikamenten
- Krebsmedikamente aus Nadelhölzern
Titelbild: Gewöhnliche Osterluzei (Aristolochia clematitis): Eine alte europäische Heilpflanze mit ungewollten Nebenwirkungen. (Quelle: © H. Zell /wikimedia.org; CC BY-SA 3.0)