Helfen Märkte gegen Hunger?
Die Bedeutung regionaler Märkte im Kampf gegen Hunger
Im weltweiten Kampf gegen den Hunger wird oft das Ziel vorgegeben, die Selbstversorgung von Kleinbauern mit Obst und Gemüse zu verbessern. Doch reicht das aus? Forscher warnen nun, dass die Bedeutung des regionalen Handels mit Lebensmitteln unterschätzt wird. Sein Einfluss auf die Ernährungssituation ist weitaus größer als gedacht, wie eine aktuelle Studie nahelegt.
Trotz der Erfolge im weltweiten Kampf gegen den Hunger, verhungern noch immer 24.000 Menschen Tag für Tag. Etwa 800 Millionen Menschen gelten nach wie vor als chronisch unterernährt. Hinzu kommt eine große Zahl an Menschen in Entwicklungsländern, deren täglicher Bedarf an Mineralstoffen und Vitaminen nicht ausreichend gedeckt ist. Die Folgen ihrer Mangelernährung sind verheerend und werden noch in künftigen Generationen zu spüren sein. Betroffen sind vor allem Kleinbauern in Zentralafrika und Südostasien, die sich selbst versorgen müssen. Ihnen unter die Arme zu greifen, damit sie auf ihren kleinen Feldern verschiedene Pflanzensorten für den Eigenbedarf anbauen können, gilt als vielversprechender Ansatz. Getreu dem Motto: Hilfe zur Selbsthilfe.
Agrarökonomen der Universität Göttingen hinterfragen in einer neuen Studie den Nutzen dieses Ansatzes. Zwar ist das Vertrauen ärmerer Bevölkerungsschichten in die Märkte seit dem massiven Preisanstieg vor einigen Jahren erschüttert. Das Prinzip der Marktwirtschaft für gänzlich gescheitert zu erklären, wäre im Kampf gegen den Hunger jedoch fahrlässig und zu kurz gedacht, so die Forscher. Sie plädieren dafür, die Chancen, Potenziale und Vorteile eines funktionierenden Marktes stärker in Betracht zu ziehen. Doch sind ihre Kritik und Vorschläge berechtigt?
Ernährungssituation verbessern
Dass lokalen, ebenso wie global angelegten Hilfsprogrammen in erster Linie an einer Verbesserung der individuellen Nahrungsversorgung gelegen ist, ist nachvollziehbar und keineswegs falsch. Das Ziel: den Bedarf der Menschen an lebenswichtigen Vitaminen, Mineral- und Nährstoffen und Spurenelementen decken. Da die meisten Betroffenen, hauptsächlich Kleinbauern, nicht über das nötige Geld verfügen, um sich ausreichend mit Obst, Gemüse, geschweige denn Fleisch zu versorgen, wird ihnen mit Hilfsprogrammen bei der Eigenversorgung unter die Arme gegriffen.
So wird der Anbau neuer Nutzpflanzen oder auch die Haltung von Nutzzieren möglich gemacht. Doch geht diese Gleichung immer auf? Führt Diversität in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft (Agrobiodiversität) immer zu einer signifikanten Verbesserung der Ernährungssituation?
Hilfsmaßnahmen auf dem Prüfstand
Wie effektiv bzw. förderlich diese Maßnahmen sind, ist überraschenderweise gar nicht so klar und eindeutig, wie auf den ersten Blick scheinen mag. Empirische Studien sind Mangelware. Hinterfragt wird selten. Reicht es aus, ausschließlich auf Hilfe zur Selbsthilfe zu setzen? Oder müssten nicht noch andere Hebel in Bewegung gesetzt werden?
8.000 Haushalte in vier Ländern
Für ihre Studie werteten die Agrarökonomen rund 8.000 Daten aus kleinbäuerlichen Haushalten in Indonesien, Kenia, Äthiopien und Malawi aus. Sie erfassten, u. a. wie viel verschiedene Nahrungsmittel in den kleinbäuerlichen Haushalten im Zeitraum eines Jahres (2012) konsumiert und wie viel verschiedene Arten von Nutzpflanzen dort angebaut wurden. Darüber hinaus in welcher Entfernung der nächstgelegene Mark lag und wie hoch das Haushaltseinkommen war.
Marktzugang als limitierender Faktor
Im Ergebnis zeigte sich, dass eine Diversifizierung der Produktion die Nahrungsmittelpalette tatsächlich erweiterte. Wurde die Agro-Biodiversität erhöht, sprich weitere Pflanzenarten angebaut, nahm die Bandbreite an konsumierten Nahrungsmitteln zu.
Überdeckt wurde dieser Zusammenhang jedoch durch den Einfluss der geografischen Distanz zum nächstgelegenen Markt. Sobald der kleinbäuerliche Landwirtschaftsbetrieb 10 km entfernt vom nächsten Markt lag, wurde der positive Effekt, der durch den Anbau einer weiteren Pflanzenart erzielt worden ist, zunichte gemacht. Doch wie unterschied sich die Situation der Kleinbauern genau?
Große Unterschiede zwischen Indonesien und Afrika
Erwartungsgemäß war der Einfluss einer zusätzlichen Pflanzenart auf dem Feld größer, je weniger dort zu Beginn vorzufinden waren. In Kenia und Äthiopien, wo die Kleinbauern aber bereits bis zu zehn verschiedene Pflanzenarten anbauen, war der Effekt kaum zu spüren. Ganz anders als in Indonesien. Dort baut der Großteil der Kleinbauern nur eine einzige Pflanzenart an, die dazu noch nicht einmal als Nahrung taugt: Kautschuk (Hevea brasiliensis). Dennoch standen die indonesischen Haushalte in puncto Nahrungsvielfalt am Jahresende an der Spitze. Äthiopien mit der höchsten Agro-Biodiversität hingegen auf dem letzten Platz. Wie konnte das sein?
Wie Kautschuk die Ernährung sichert
Der Unterschied ist vor allem darauf zurückzuführen, dass bei der Auswahl der Regionen weniger die Vergleichbarkeit im Vordergrund stand, als vielmehr das Aufzeigen verschiedener Realitäten. Die Welt der indonesischen Kleinbauern ist um ein vielfaches kommerzialisierter als die ihrer afrikanischen Kollegen. Sowohl in Bezug auf ihre am Markt ausgerichtete Produktion als auch auf die vorhandene Infrastruktur.
Es ist die hohe Nachfrage nach Kautschuk, die dem Großteil der Kleinbauern das Einkommen sichert, welches sie wiederum in Obst, Gemüse und andere Nahrungsmittel investieren. Sie alle profitieren davon, dass Indonesien heute zu den Top-3 Exporteuren der Welt von Naturkautschuk zählt.
Die Gefahr der Abhängigkeit
So segensreich die Marktwirtschaft für die kleinbäuerliche Gesellschaft Indonesiens ist, das Beispiel zeigt auch, wie abhängig ein Großteil der indonesischen Bevölkerung von einem einzigen Rohstoff ist. Preisschwankungen am Weltmarkt, Klimaveränderungen, die zu Ertragsschwankungen führen, ebenso wie Pflanzenkrankheiten und Schädlingsbefall, können schnell zu einer ernsten Bedrohung für ihre Lebensgrundlage und Existenzbasis werden.
Ein Beispiel ist der parasitäre Pilz Microcyclus ulei, der im Ursprungsland des Kautschuks, in Brasilien, hohe Ernteausfälle zu verantworten hat. Vielerorts verhindert er den Plantagenanbau heute sogar gänzlich. Ihm ist zuzuschreiben, dass der ehemalige Weltmarktführer im Naturkautschuk heute auf Importe u. a. aus Indonesien angewiesen ist. Was passiert, wenn der Inselstaat dasselbe Schicksal erleidet?
Kommerzialisierung im positiven Sinn
Die tragbarste Lösung für die meisten Kleinbauern der anderen Länder dürfte daher ein Mix aus einer diversifizierten und teilweise spezialisierten Produktion sein. Eine Produktion, die die Selbstversorgung sichert und gefährliche Abhängigkeiten vorbeugt, zugleich aber auch Einkommen generiert, das in Nahrungsmittel oder andere Güter investiert werden kann. Kommerzialisierung im positiven Sinn.
Dass sich der Anbau einer einzigen Pflanzenart derart auszahlen könnte wie in Indonesien, davon können die kenianischen, malawischen und äthiopischen Kleinbauern nur träumen. Ein Patenzrezept für alle Regionen dieser Welt wird es somit, das macht die Studie deutlich, nicht geben. Zu groß sind die traditionellen und kulturellen, aber auch die ökologischen, geographischen und technischen Unterschiede und Vorrausetzungen.
Märkte setzen Infrastrukturen und Rahmenbedingungen voraus
Was allen funktionierenden Märkten aber gemein ist, sind vorhandene Infrastrukturen und definierte Rahmenbedingungen. In vielen betroffenen Regionen ist jedoch weder das eine noch das andere vorzufinden. Hinzu kommt, dass in vielen Entwicklungsländern heimische Produzenten unter der hohen Importquote ihrer Heimatländer leiden. Im Preiskampf müssen sie sich oftmals der ausländischen Konkurrenz geschlagen geben. Besonders bei Nahrungsmitteln. Hier drückt der Welthandel dem regionalen Markt seinen Stempel auf, behindert seine freie Entfaltung.
Wertschöpfungsketten stärken
Die Arbeit der Forscher kann daher als Fingerzeig verstanden werden, die Stärkung lokaler Märkte als eine wichtige Maßnahme im Kampf gegen Hunger und Mangelernährung zu begreifen, dabei aber die Produktion nicht aus dem Blick zu verlieren.
Schließlich schaffen Märkte nicht nur Zugang zu Gütern, sondern auch zu neuem Wissen, Technologien und Dienstleistungen. Oftmals schaffen sie neue Arbeitsplätze, z.B. im Transportwesen. Nicht von der Hand zu weisen war letztlich der positive Zusammenhang zwischen den Einkommen aus Tätigkeiten jenseits der Landwirtschaft und der Marktnähe. Gerade weil Armut die Hauptursache für Hunger ist, kann dieser Zusammenhang nicht ignoriert werden.
In Zukunft wird es daher nicht mehr nur darum gehen können, allein die Produktion zu optimieren, sondern neben dem Handel die ganze Wertschöpfungskette zu stärken. Schließlich ist sie es, die die Produktion mit dem Handel verbindet.
Quelle: Qaim, M. et al. (2015): Production diversity and dietary diversity in smallholder farm households. In: PNAS, (10. August 2015), doi: 10.1073/pnas.1510982112
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Titelbild: Regionale Märkte tragen signifikant zur Ernährung bei und schaffen nicht selten zusätzliche Einkommensmöglichkeiten. (Bildquelle: © Heike Hering/ pixelio.de)