Hot Spot für Zwerge entdeckt
Gleiches Gen bei Sorten der Grünen Revolution und Arabidopsis mutiert
Pflanzen mit einem veränderten Hormonstoffwechsel wurden zu einem Meilenstein der Grünen Revolution in der Mitte des letzten Jahrhunderts. Die gezielte Mutation von Genen, die das Wachstumshormon Gibberellin veränderten, führte zu kurzstrohigen Getreidesorten. Diese waren ertragreicher und gleichzeitig standfester, als ihre langstrohigen Geschwister. Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass sich die Natur desselben Mechanismus wie die Pflanzenzüchtung bedient.
Dass natürliche Veränderungen im Erbgut (Genom) von Wildpflanzen wertvolle Hinweise für die Pflanzenzüchtung liefern, ist bekannt. In der Wissenschaftssprache wird dieser Erkenntnistransfer als Nutzung der natürlichen Diversität beschrieben. Seit einigen Jahren kann die in der Natur vorkommende Vielfalt punktgenau auf einzelne Gene zurückverfolgt werden. Ein aktuelles Beispiel hierfür liefern Wissenschaftler des Max Planck Instituts (MPI) für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. An der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), dem Unkraut das zum Top-Modell der Forscher avancierte, konnten sie zeigen, dass sowohl in der Evolution wie auch in der Pflanzenzüchtung gleiche Stellschrauben verändert wurden.
Mitte der 1940er Jahre importierte Mexiko fast die Hälfte seines Weizenbedarfs – ein untragbarer Zustand. In Zusammenarbeit mit der Rockefeller Foundation etablierte die mexikanische Regierung ein Programm, in dem innerhalb von 10 Jahren ertragreiche Halbzwergweizensorten entwickelt wurden, welche die Selbstversorgung Mexikos ermöglichten. Als in den 1950er und -60er Jahren auch in Asien und Afrika verstärkt Nahrungsmittelknappheiten auftraten, wurde das Programm auch auf diesen Kontinenten etabliert und unter dem Schlagwort „Grüne Revolution“ bekannt.
Halbzwergensorten von Getreide wie Reis konnten dabei gleich mehrfach zu beträchtlichen Ertragssteigerungen beitragen: Die kurzen Stängel knicken unter der Last der Ähren oder Rispen nicht so schnell ein wie konventionelle Sorten. Außerdem sind sie früher reif und unempfindlicher gegenüber Lichteinwirkung. Zusätzlich konnten Resistenzen gegen Schädlinge und Krankheiten eingekreuzt werden.
Gestörter Gibberellin-Stoffwechsel
Viele Reis- und Gerstensorten verdanken ihre kürzere Statur einem Mangel an Gibberellin. Dieses Pflanzenhormon fördert neben dem Längenwachstum auch die Samenkeimung und die Entwicklung der Blüten. Im Zuge der Grünen Revolution hatten Wissenschaftler bei der Entwicklung der halbhohen Reis- und Gerstensorten den letzten Schritt der Gibberellin-Biosynthese blockiert. Das betroffene Gen trägt den kryptischen Namen GA20ox1.
Genetische Lösungen für einen Phänotyp
Auch in der Natur gibt es halbhohe Pflanzen. Maarten Koornneef und seine Kollegen vom MPI in Köln untersuchten, welche genetischen Veränderungen halbhohen natürlich entstandenen Arabidopsis-Pflanzen zu Grunde liegen. „Wir wollten wissen, ob bei der natürlichen Selektion im Freiland und der artifiziellen Selektion in der Pflanzenzüchtung für den gleichen Phänotyp die gleichen genetischen Lösungen gefunden werden“, erklärt Koornneef.
Mit Hilfe ihrer ausländischen Kollegen haben die Forscher aus Köln an 23 Standorten in Europa, Asien und Japan 97 Arabidopsis-Pflanzen mit halber Wuchshöhe gefunden. Dieses Phänomen tritt nur bei etwa ein bis fünf Prozent der Arabidopsis-Pflanzen auf, schreiben die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Publikation. Durch Kreuzungsexperimente zeigte sich, dass die kurzen Stängel bei den meisten der gesammelten Pflanzen auf einer Veränderung im GA20ox1-Gen basieren.
Bei Arabidopsis nur Wuchshöhe beeinträchtigt
Obwohl Gibberellin an zahlreichen Funktionen im pflanzlichen Organismus beteiligt ist, beeinträchtigen Mutationen im GA20ox1-Gen bei Arabidopsis lediglich die Wuchshöhe. Negative Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Pflanze sind bisher nicht bekannt. „Der Grund dafür ist“, so Koornneef, „dass Arabidopsis noch weitere Gene für die Gibberellin-Biosynthese besitzt. Diese Gene springen ein, wenn GA20ox1 ausfällt. Sie können offensichtlich alle Auswirkungen des Verlustes kompensieren, nur die Halbierung der Wuchshöhe nicht.“
Sechs genetische Varianten
Doch ist es immer ein und derselbe Mechanismus, mit dem Arabidopsis ihre Wuchshöhe halbiert? Um das herauszufinden, untersuchten die Wissenschaftler die genetischen Veränderungen in den halbhohen Pflanzen. Koornneef und seine Kollegen konnten sechs verschiedene genetische Lösungen für die halbierte Wuchshöhe identifizieren. Dazu gehören Mutationen, die das Pflanzenhormon nicht mehr in der korrekten Größe entstehen lassen, Mutationen die einzelne, besonders wichtige Aminosäuren gegen unbrauchbare austauschen sowie Mutationen, die das ordnungsgemäße Zurechtschneiden der Botenribonukleinsäure (mRNA) vor der Proteinbiosynthese verhindern. Die Wissenschaftler haben zudem Mutationen gefunden, die das Leseraster des GA20ox1-Gens ändern, die Teile des Gens entfernen und die die Gen-Sequenz durch den Einbau einer fremden DNA – eines sogenannten Transposons – verlängern.
Hot Spot im Genom
„Die Arabidopsis-Pflanzen mit halber Wuchshöhe hatten immer einen anderen genetischen Hintergrund“, erklärt der Genetiker. „Und zwar den, den auch die anderen Arabidopsis-Pflanzen am Fundort hatten. Das bedeutet, dass sich die an einem Standort aufgetretene Mutation nicht weiter ausbreitet.“ Die halbe Wuchshöhe muss also an jedem Standort neu entstanden sein. Die Wissenschaftler bezeichnen das GA20ox1 Gen als einen „Hot Spot“ im Genom der Pflanzen. Diese werden immer wieder mutiert, wenn ein gewisser Phänotyp auftritt.
Im Zuge der Grünen Revolution war genau dieses mutierte Gen über die Auswahl von Getreide-Pflanzen mit halbhohem Wuchs selektiert worden, welches in der Natur offenbar denselben Phänotyp hervorruft. Die Forscher sind sich sicher, dass die natürlichen Varianten von Arabidopsis eine wichtige Grundlage sind, wenn es darum geht, für die Pflanzenzucht nützliche Gene aufzuspüren.
Quelle:
Barboza, L. et al. (2013): Arabidopsis semidwarfs evolved from independent mutations in GA20ox1, ortholog to green revolution dwarf alleles in rice and barley. In: PNAS, vol. 110 no. 39 15818-15823, (24. September 2013), doi: 10.1073/pnas.1314979110.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Grüne Revolution verpufft durch Klimawandel
- Phytohormone: Die Signalgeber des Pflanzenreichs
- Zwergenwuchs durch Genmutation
- Forstwirtschaft: Das Potential kleiner Bäume
Titelbild: Im Zuge der Grünen Revolution wurden ertragreiche Halbzwergsorten entwickelt. Es gibt jedoch auch halbhohe natürlich entstandene Arabidopsis-Pflanzen. (Quelle: © GABI)