Hybridzüchtung und Heterosiseffekt
Gibt es ein Optimum für die Diversität von Elternpflanzen?
Diese jahrzehntealte Frage hat ein Team von deutschen Pflanzenforschern nun verneint. Umso mehr sich die Elternpflanzen genetisch unterschieden, desto höher fällt der Heterosiseffekt aus. Sie konnten aber zwei andere Effekte nachweisen, die Ertragszuwächse bei Hybriden schmälern.
Ein großer Teil der Ertragssteigerungen in den vergangenen Jahrzehnten geht auf die Hybridzüchtung und den dabei ausgelösten Heterosiseffekt zurück: Die Leistung der ersten Filialgeneration fällt höher aus als die durchschnittliche Leistung der Elterngeneration. Dieser Effekt entsteht dadurch, dass die Elternpflanzen in den entscheidenden Merkmalen reinerbig sind, sich aber voneinander in diesen Merkmalen deutlich unterscheiden. Die F1-Generation ist damit mischerbig, wodurch diese Pflanzen die Stärken beider Elternpflanzen verbinden können.
Seit den 1960er-Jahren ist dabei jedoch eine Frage unbeantwortet geblieben: Ist der Heterosiseffekt umso stärker, je genetisch diverser die Elternpflanzen sind? Oder gibt es ein Optimum der Vielfalt, oberhalb dessen der Heterosiseffekt wieder abfällt?
1 903 Winterweizenhybride analysiert
Unter Federführung der Universität Hohenheim und des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben hat ein deutsches Team von Pflanzenforschern nun eine Antwort auf diese Frage gegeben. Demnach steigt der Heterosiseffekt mit zunehmender elterlicher Diversität stetig an. Allerdings gibt es zwei Faktoren im elterlichen Genom, die den Effekt abschwächen können.
Für seine Studie hat das Team ertragsrelevante Merkmale in Winterweizenhybriden untersucht. Dabei konnten die Forscher für die Elternpflanzen auf 217 europäische Elitelinien, 96 historische Linien der letzten fünf Jahrzehnte sowie auf 69 eher exotische Linien zugreifen. Auf diese Weise entstanden 1 903 unterschiedliche Hybride, entweder aus jeweils zwei Elitelinien, aus Elitelinien mit historischen Linien oder aus Elitelinien mit exotischen Linien.
Klarer Ertragsvorteil bei Elite-Elite-Hybriden
Anhand der DNA-Analysen errechneten die Forscher die genetische Distanz der Eltern. Diese wird als Koeffizient zwischen 1 – maximale Unterschiedlichkeit des Genotyps – und 0 – maximale Verwandtschaft – ausgedrückt. Sie betrug bei exotischen und Elitelinien 0,39, bei Elitelinien 0,32 und bei historischen und Elitelinien 0,31.
Diese Verhältnisse entsprachen jedoch nicht dem Ausmaß der Heterosiseffekte in den F1-Generationen: Die Erträge der „Elite-Elite“-Kreuzungen stiegen am stärksten um 83 Kilo je Hektar, die von „Elite-Exotisch“-Kreuzungen nur um 72 Kilo je Hektar. Berücksichtigte man nur Elternpflanzen mit vergleichbarer Leistungsfähigkeit, lagen „Elite-Elite“-Kreuzungen beim Heterosiseffekt 5,1 Prozent vor „Elite-Exotisch“-Kreuzungen.
Um erklären zu können, warum eine höhere genetische Distanz nicht in allen Fällen auch zu einem größeren Heterosiseffekt führt, berücksichtigten die Pflanzenforscher drei wesentliche Einflussfaktoren: neben der genetischen Distanz der relevanten Merkmale zusätzlich Dominanz- und Epistase-Effekte. Die Dominanz beschreibt in heterozygoten Pflanzen, welches der Allele eines Gens stärker oder sogar alleinig ausgeprägt wird. Als Epistase werden Effekte bezeichnet, bei denen ein Allel die Merkmalsausprägung eines anderen Allels positiv oder negativ beeinflusst.
Negative Dominanz- und Epistase-Effekte
Detailanalysen offenbarten, dass der größere Heterosiseffekt bei „Elite-Elite“-Hybriden zu einem großen Teil auf die Summe von positiven Epistase-Effekten zurückzuführen ist. Bei „Elite-Exotisch“-Hybriden hingegen traten vor allem negative Epistase-Effekte auf. Ähnlich verhielt es sich in Sachen Dominanz der beteiligten Allele: Bei „Elite-Elite“-Hybriden schmälerten negative Dominanzeffekte deutlich seltener die Heterosis als bei „Elite-Exotisch“-Hybriden.
Durch die umfangreiche und vielfältige Auswahl an Hybriden konnten die Forscher grundsätzlich zeigen, dass der Heterosiseffekt mit zunehmender genetischer Distanz der Elternpflanzen linear ansteigt. Nur negative Dominanzeffekte wirken sich quasi als Verringerung der genetischen Distanz aus. „Mithilfe der Fortschritte in der Quantitativen Genetik gelang es uns zu belegen, dass es kein Optimum für die genetische Distanz der Eltern gibt“, erklärt Jochen Reif vom IPK.
Weitreichende Bedeutung für Hybridzüchtung
Für die Pflanzenzüchtung ist das zunächst eine gute Nachricht. Es besteht keine Gefahr, durch eine zu große genetische Distanz der Elternpflanzen das Optimum der Heterosis zu verpassen. „Zukünftig wird die Pflanzenzüchtung auf rationaler Basis Kreuzungspartner für die Züchtung neuer Hybridsorten auswählen können, selbst für einen so komplexen Organismus wie Weizen“, zeigt sich Reif überzeugt. Vorsicht sei lediglich geboten, wenn zwei Elternpflanzen an sehr unterschiedliche Umweltbedingungen angepasst sind oder die F1-Generation Umweltbedingungen antreffen wird, die stark von denen ihrer Parentalgeneration abweichen. Dann können negative Dominanz- und negative Epistase-Effekte den Heterosiseffekt deutlich schmälern.
Quelle:
Boeven, P.H.G. et al. (2020). Negative dominance and dominance-by-dominance epistatic effects reduce grain-yield heterosis in wide crosses in wheat. In: Science Advances 2020, (12. Juni 2020), doi: 10.1126/sciadv.aay4897.
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Titelbild: Am Beispiel des Winterweizens haben Pflanzenforscher untersucht, welche Faktoren den Heterosiseffekt der Hybridzüchtung beeinflussen. (Bildquelle: © iStock.com/WolfgangSchwarz)