Jäger des noch nicht verlorenen Schatzes
Wo gibt es noch die wilden Verwandten unserer Nutzpflanzen?
ForscherInnen sind global auf der Suche nach Regionen mit einer großen Vielfalt an Wildpflanzen, die mit unseren Nutzpflanzen verwandt sind. Sie wären eine wertvolle genetische Ressource für die Pflanzenzüchtung. Um sie zu finden, verknüpft eine Studie aktuelle Daten mit denen aus dem 19. und 20. Jahrhundert.
Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Dürren, Überschwemmungen und ausgelaugte Böden könnten in naher Zukunft für massive Ernteausfälle sorgen. Neben Strategien, um den Klimawandel effektiv zu bekämpfen, sind wilde Verwandte unserer Nutzpflanzen (Crop Wild Relatives, CWR) die große Hoffnung. Ihre genetischen Ressourcen könnten die Kulturformen fit für die Zukunft machen. In einer Metastudie haben sich Forscher jetzt mit den Ursprungsregionen alter Landrassen und der aktuellen Verbreitung dieser CWR befasst.
Wertvoller Schatz kurz vor dem Untergang
Wenn es um genetische Ressourcen geht, unterscheidet man die wilden Verwandten unserer Nutzpflanzen und die sogenannten „Landrassen“, also von Landwirten über Jahrtausende hinweg durch traditionelle Züchtung selektierte Sorten. Denn auch diese Landrassen besitzen trotz menschlichen Eingreifens noch viele ursprüngliche Eigenschaften. Daher sind auch sie interessant für zukünftige Züchtungen.
Aber einen deutlich reicheren Genpool haben die wilden Verwandten, der den modernen Sorten durch intensive Züchtung längst abhandengekommen ist. Mit einem Teil dieser Wildgene ließen sich wahrscheinlich Krankheits- und Schädlingsresistenzen, Nährstoffgehalte und Erträge unserer Kulturpflanzen verbessern. Und sie könnten robuster gegenüber Umweltveränderungen durch den Klimawandel werden. Aber diese wilden Verwandten sind durch moderne Landwirtschaft, Überweidung oder Rodung zunehmend in ihrem Bestand bedroht. Es besteht die Gefahr, dass diese wertvollen genetischen Informationen für immer verloren gehen.
Vier Modelle
Die meisten wilden Verwandten werden auch heute noch hauptsächlich in den Regionen vermutet, in denen sie einst der Ausgangspunkt bei der Domestikation unserer heutigen Kulturpflanzen waren. Daher wollten die Forscher ermitteln, ob die aktuell bekannten Verbreitungsschwerpunkte der CWR mit den vermuteten Ursprungsregionen der Landrassen übereinstimmen. Dazu nutzten sie vier verschiedene Modelle, die sich mit der Bestimmung dieser Ursprungsregionen auseinander setzen:
1) Das Modell von Wawilow (1926), der global acht regionale Herkunftsschwerpunkte identifizieren konnte, in denen viele Nutzpflanzen ihren Ursprung haben: Hauptsächlich in Asien, Süd- und Mittelamerika, im Mittelmeerraum und in Afrika. Er bezog seine Daten aus Literaturrecherchen, archäologischen Funden und eigenen Forschungen.
2) Das Modell von Schukowski (1965), der zwölf „Megazentren“ bestimmte. Diese basierten auf der Arbeit von Wawilow, trennten aber Zentren des Ursprungs von Nutzpflanzen von den Zentren mit hoher Vielfalt an CWR.
3) Das Modell von Harlan (1971), das drei Zentren identifizierte (Naher Osten, Mittelamerika, Nord-China). Basierend auf den Arbeiten von Wawilow und Schukowski nutzte er zusätzlich neue archäologische und genetische Daten.
4) Das Modell von Purugganan und Fuller (2009), das 24 Regionen in 13 Zentren zusammenfasste, ähnlich des verbesserten Modells von Zeven und Schukowski (1975). Sie nutzten aktuelle archäologische Daten.
Ergänzende Daten
Mit jedem dieser vier Modelle führten die Forscher einen Abgleich mit den aktuellen Daten zu Vorkommen und Verbreitung von CWR durch. Dazu verwendeten sie die Daten von 1.425 CWR, die in Verwandtschaft zu 167 Nutzpflanzenarten stehen sowie 334.527 bekannten Verbreitungsschwerpunkten. Daraus modellierten sie sogenannte „High CWR Diversity Hotspots“ und verglichen sie mit den jeweiligen Regionen der vier anderen Modelle.
Diese Berechnungen zeigten einen gewissen Überlappungsbereich der vier Modelle mit den aktuellen Verbreitungsdaten, allerdings unterschiedlich stark:
- Die Berechnungen von Harlan stimmten am wenigsten mit den CWR-Hotspots überein.
- Das Modell von Zeven und Schukowski deckt sich zwar zum Teil mit den Hotspots, weist aber sehr große Bereiche der Landoberfläche als Megazentren aus und ist damit eher ungenau.
- Die Daten des Modells von Purugganan und Fuller haben die größte Übereinstimmung mit den Hotspots im mediterranen und europäischen Bereich, aber zwölf zum Teil sehr eng gefasste Regionen zeigten gar keine Übereinstimmung. Sechs dieser Regionen enthielten zudem weniger als 20 Arten.
- Das Modell von Wawilow zeigte dagegen in den meisten Regionen eine gute Übereinstimmung mit den CWR-Hotspots. Aber auch hier fehlten wichtige Regionen im Osten und Westen der USA, in West-Afrika, Süd-Ost-Brasilien und Nord-Australien, die von den Forschern als Hotspots berechnet wurden.
Grundlage für die Ausweisung von Schutzgebieten
Diese fehlenden Regionen im Modell von Wawilow können mit den heute vorhandenen Daten ergänzt werden, betonen die Forscher. Sie empfehlen deshalb, dieses Modell als Grundlage für die zukünftige Einrichtung von Schutzgebieten und andere Schutzbestrebungen zu verwenden. Damit ließen sich die wilden Verwandten und alten Landrassen zielgenauer schützen. So könne ein wichtiger Beitrag für die zukünftige globale Ernährungssicherheit geleistet werden.
Quelle:
Maxted, N. und Vincent, H. (2021): Review of congruence between global crop wild relative hotspots and centres of crop origin/diversity. In: Genetic Resources and Crop Evolution 68, (1. Februar 2021), doi: 10.1007/s10722-021-01114-7.
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Titelbild: Im „fruchtbaren Halbmond“ kommen wilde Verwandte verschiedener Getreide auch heute noch vor. (Bildquelle: © Leehu Zysberg / Pixabay)