Jetzt oder nie!
Nur sofortiges globales Handeln kann die ökologische Krise noch stoppen
Die ökologische Krise und mit ihr das Artensterben auf unserem Planeten nimmt noch nie gekannte Ausmaße an. Laut einem internationalen Forscherteam kann sie nur noch mit einer sofortigen und umfassenden globalen Reform gestoppt werden.
Seit den 1970er Jahren hat der negative Einfluss des Menschen auf die Umwelt rasant zugelegt. Der im Mai veröffentlichte IPBES-Bericht verdeutlicht einmal mehr, wie eng es für die Natur und damit auch für uns Menschen in den kommenden Jahrzehnten werden wird. Dennoch ist es noch nicht zu spät. Ein internationales Team von Forschern hat diesen Bericht ausgewertet und in einer neuen Studie umfassende Lösungsansätze entwickelt, die das Ruder noch herum reißen könnten – wenn schnell gehandelt wird.
Der IPBES-Bericht 2019
Der UN-Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) hat im Mai 2019 den ersten Bericht über den globalen Zustand von Biodiversität und der Ökosysteme vorgelegt. Das mehr als 1.500 Seiten umfassende Werk zeigt in aller Deutlichkeit, wie es um die Natur und um unsere Lebensgrundlagen bestellt ist. Der nach wie vor steigende Pro-Kopf-Verbrauch von Ressourcen und der internationale Handel bringen die Ökosysteme an den Rand ihrer Belastbarkeit. Auch die soziale Ungleichheit zwischen den einzelnen Weltregionen verstärkt sich.
Der Mensch hat bisher 70 Prozent der Landoberfläche direkt verändert und 66 Prozent der Ozeane stark beeinflusst. Nahezu eine Million Arten werden in den nächsten Jahrzehnten aussterben. Allein der bisherige Rückgang an Bestäubern betrifft global 75 Prozent der Nahrungspflanzen und gefährdet damit eine jährliche globale Nahrungsmittelproduktion im Wert von 235 bis 577 Milliarden US-Dollar.
75 Prozent der großen Landsäugetiere sind aus ihren natürlichen Gebieten verschwunden. Die globalen Ökosysteme haben durch Umweltveränderungen insgesamt etwa 20 Prozent ihres Artenreichtums verloren. 85 Prozent der Feuchtgebiete wurden in den letzten rund dreihundert Jahren trockengelegt. Dazu kommt erschwerend der Klimawandel hinzu, der die Krise noch verschärfen wird. Die Korallenvorkommen halbierten sich in den letzten 150 Jahren und werden voraussichtlich bis zum Ende dieses Jahrhunderts ganz verschwinden, wenn sich die Klimaveränderungen weiter fortsetzen.
Globale Nachhaltigkeitsziele und ökologische Dienstleistungen
Im Jahr 2015 verabschiedete die UN 17 Sustainable Development Goals (SDGs), also globale Nachhaltigkeitsziele, die der gesamten Menschheit Frieden und Wohlstand sichern sollen. Dazu gehören beispielsweise eine ausreichende Versorgung mit sauberem Trinkwasser, genug zu essen, Gesundheitsvorsorge, Kampf gegen Armut, eine gute Bildung, eine florierende Wirtschaft oder nachhaltige Energieversorgung. Dies kann nur erreicht werden, wenn die globalen Ökosysteme nicht noch weiter beschädigt werden. Der IPBES-Bericht stellt klar, dass 14 der 18 Kategorien der Ökosystem-Dienstleistungen teilweise stark zurückgegangen sind und bei fortschreitender Abnahme uns in absehbarer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Eine mögliche Folge wären zudem Kriege um Ressourcen und große Flüchtlingsbewegungen.
Fünf vor zwölf
Allerdings gibt es dennoch Möglichkeiten, das Schlimmste abzuwenden. Die Forscher weisen darauf hin, dass bisher bei Problemen wie Artenverlust oder Entwaldung immer nur die direkten, lokalen Ursachen bekämpft wurden, zum Beispiel Wilderei oder illegale Brandrodungen. Sinnvoller wäre ihrer Meinung nach ein interdisziplinärer Ansatz, der neben den direkten auch die indirekten Einflussfaktoren wie sozioökonomische Zwänge oder Armut berücksichtigt.
Auch müssten die wirtschaftlichen, soziokulturellen, technologischen und politischen Interessen der einzelnen Nationen umgehend und konsequent auf globale Nachhaltigkeit ausgerichtet werden. Nach den Modellierungen der Forscher könnten auf diesem Weg die natürlichen Grundlagen weitgehend erhalten und die meisten der von der UN festgelegten Nachhaltigkeitsziele doch noch erreicht werden.
Nachhaltigkeit als Norm
Ein sofortiges Umschwenken auf saubere Energiegewinnung, ein effektiver Schutz der Biodiversität, eine Renaturierung von Ökosystemen im großen Stil sowie eine Transformation der globalen Lieferketten seien erforderlich. Das wiederum benötige großangelegte Umstrukturierungen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft. Nachhaltigkeit muss die Norm und das erklärte Ziel sein, nicht die Ausnahme, fordern die Forscher.
Gerade das Finanzwesen, das bisher stetiges Wachstum propagiert, muss die Nachhaltigkeit als neues Leitziel betrachten. Ebenso sollten bestimmte Subventionen wie für Kohle oder intensive Landwirtschaft eingestellt werden. Politische und gesetzgeberische Entscheidungen müssten zudem interdisziplinär und weitsichtig getroffen werden, um negativen Auswirkungen auf die globalen Ökosysteme vorzubeugen. Regulative Elemente wie Steuern müssten so gestaltet werden, dass sie eine vorbeugende Wirkung im Hinblick auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen entfalten könnten.
Die Forscher stellen klar, dass das eine riesige Herausforderung darstelle. Andererseits bliebe uns aber kaum noch eine andere Wahl.
Quelle:
Díaz, et al. (2019): Pervasive human-driven decline of life on Earth points to the need for transformative change. In: Science 366, (13. Dezember 2019), doi: 10.1126/science.aax3100.
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