Mais produziert Enzyme für Medikamente
Mit einer neuartigen Technologie können Forscher menschliche Enzyme für Therapien in Maissamen produzieren. Bislang werden diese teuer und aufwändig in Säugetierzellen hergestellt. Die vorliegende Studie weckt die Hoffnung, bald Biopharmazeutika in größeren Mengen herzustellen. Damit ließen sich auch seltene genetische Krankheiten kostengünstig behandeln.
Maissamen könnten künftig bei der Behandlung von seltenen, lebensbedrohlichen Erbkrankheiten, helfen. Forschern gelang es, das Enzym α-l-iduronidase, das Patienten bei der Therapie von Mukopolysaccharidose Typ 1 verabreicht wird, in Maispflanzen zu produzieren.
Mukopolysaccharidose Typ 1 ist eine Stoffwechselkrankheit, die zu den lysosomalen Speicherkrankheiten (LSK) zählt. Ein Defekt des Enzyms α-l-iduronidase verursacht dabei Störungen des Abbaus von bestimmten Mehrfachzuckern (sogenannten Glykosaminoglykanen). Werden diese nicht mehr richtig abgebaut, lagern sie sich in den Zellen ab und stören dadurch den zellulären Stoffwechsel, was bis zum Zelltod führen kann. In den schwersten Formen dieser Erbkrankheiten sterben unbehandelte Patienten aufgrund fortschreitender Schäden an lebenswichtigen Organen bereits in der frühen Kindheit.
Einige lysosomale Speicherkrankheiten (LSK) sprechen auf die Behandlung mit Enzymen an (Enzymersatztherapie), d.h. man verabreicht den Patienten die Enzyme, welche bei ihnen nicht ordnungsgemäß funktionieren. Derzeit stehen jedoch nur für sechs der mehr als 70 verschiedenen Arten von LSK Enzymersatztherapien zur Verfügung.
Biopharmazeutika als Alternative
Bei den Enzymen, die es zu ersetzen gilt, handelt es sich jedoch um hochkomplexe Biomoleküle. Diese lassen sich nicht synthetisch, sondern nur in lebenden Zellen herstellen. Derzeit gewinnt man sie aus Säugerzellkulturen, was aufwändig ist und zu hohen Produktionskosten führt. Um eine kostengünstigere Alternative zu entwickeln, versuchten Forscher nun die Enzyme in Maispflanzen zu synthetisieren. Denn: Pflanzenzellen ließen sich viel einfacher und günstiger kultivieren. Die Medikamentenherstellung für LSK könnte sich mithilfe von gentechnisch veränderten (transgenen) Pflanzen zukünftig ändern. Dadurch würden sich auch die Behandlungskosten stark reduzieren.
Mais als Produktionsplattform
Die Forscher nutzten die Pflanzenzellen als Plattform, was man als Molecular Pharming bezeichnet, um darin das menschliche Enzym α-l-iduronidase zu generieren. Das rekombinante Protein wird dabei im Nährgewebe (Endosperm) der Maissamen exprimiert, d.h. gebildet. Das dazugehörige, Protein-produzierende Gen, das ursprünglich vom Menschen stammt, wird durch gentechnische Verfahren in die Pflanzenzellen geschleust.
Neuartige Technologie zur Manipulation intrazellulärer Abläufe
In eukaryotischen Zellen werden Proteine im Golgi-Apparat modifiziert. Dabei werden u.a. unterschiedlich komplexe Zuckerreste an das ursprüngliche Protein gebunden. Die Zuckerreste der Pflanzen unterscheiden sich jedoch von den menschlichen. Für die medizinische Verwendung des Enzyms α-l-iduronidase ist dies problematisch, da diese Zuckerreste bei Patienten mit der Stoffwechselkrankheit Mukopolysaccharidose Typ 1 potentiell eine Immunabwehrreaktion auslösen können. Die pflanzlichen Zuckerreste werden dann vom Immunsystem als „Fremdstoff“ aufgefasst und bekämpft.
Um die Modifikation des menschlichen Proteins in den Maiszellen zu vermeiden, manipulierten die Forscher die intrazellulären Abläufe, damit das Enzym im Nährgewebe der Samen produziert werden kann und nicht durch den Golgi-Apparat bewegt wird. Dazu veränderten sie gezielt die Boten-RNA (auch mRNA genannt) des Protein-produzierenden Gens. Die mRNA sorgt dafür, dass die Erbinformation aus dem Zellkern zu den Orten der Proteinsynthese gelangt. Die Veränderung erzielten sie durch eine neuartige Technologie: Die gezielte mRNA-Modifikation (mRNA Targeting genannt) erfolgte mithilfe von bestimmten Abschnitte eines Maisgens (α-zein), das bei der Proteinbildung (Genexpression) ebenfalls den Golgi-Apparat umgeht.
Der lange Weg vom Labor zum Medikament
Die Forschung ist noch in einem frühen Stadium und der Weg des Medikaments zum Markt noch lang. In klinischen Tests muss die Wirksamkeit sowie die Sicherheit und Verträglichkeit des potentiellen Medikaments geprüft werden. Dies wird erfahrungsgemäß noch einige Jahre dauern und bedarf finanzieller Aufwendungen im mehrstelligen Millionen-Euro Bereich.
Positive Neuigkeiten auf dem Gebiet des Molekular Pharmings gab es im Mai diesen Jahres. Da erhielt das erste Biopharmazeutikum für die Behandlung von Menschen die Zulassung der U.S. Food and Drug Administration (FDA): Das Medikament wird unter dem Namen Elelyso vermarktet und enthält ein rekombinantes Protein (Taliglucerase alfa), welches in Karotten-Zellen hergestellt wird. Es wird in der Enzymersatztherapie der Stoffwechselkrankheit Morbus Gaucher verwendet. Morbus Gaucher ist ebenfalls eine lysosomale Speicherkrankheit.
Quelle:
He, X. et al. (2012): Production of α-l-iduronidase in maize for the potential treatment of a human lysosomal storage disease. In: Nature Communications 3, 1062, 18. September 2012, doi: 10.1038/ncomms2070.
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