No brain, no pain
Darum haben Pflanzen kein Bewusstsein
Pflanzen zeigen manches Verhaltensmuster, das auf den ersten Blick Tieren oder Menschen ähnelt. Manche Forscher sprechen daher von einem pflanzlichen Bewusstsein. Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat sich die Argumente angeschaut und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Pflanzen haben kein Bewusstsein und brauchen es auch nicht.
Pflanzen können Schmerz empfinden, sie lernen und sie kooperieren: Einige Wissenschaftler leiten aus diesen Thesen einzelner Studien ab, dass Pflanzen eine Form von Bewusstsein haben müssen – eine Position, die seit Jahren heftig diskutiert wird. Im Fachjournal „Trends in Plant Science“ haben sich Forscher aus Deutschland und den USA in einem Meinungsartikel mit den Argumenten auseinandergesetzt und kommen zu einem klaren Ergebnis.
Die Macht der Sprache
Die Kritik der Wissenschaftler beginnt beim Sprachgebrauch. Zwar habe sich die Gesellschaft für Pflanzenneurobiologie längst in die Gesellschaft für Pflanzenkommunikation und -verhalten umbenannt, doch werde noch immer von Pflanzenneurobiologie gesprochen, obwohl Pflanzen über kein Nervensystem verfügen. Auch könne man nicht von Erkenntnis oder Lernen sprechen, wenn dahinter bei Tieren komplexe, bewusste Prozesse stehen, während dies bei Pflanzen auf eine einfache genetische Programmierung zurückzuführen sei, die im Zuge der natürlichen Selektion entstanden ist. Lediglich mit dem Begriff „Intelligenz“ können sich die Autoren anfreunden, da dieser heute auch für Maschinen verwendet wird und damit für die grundsätzliche Fähigkeit steht, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen und zu verarbeiten.
Spätestens bei der „Schwarmintelligenz“ endet der Konsens jedoch bereits wieder. Dieser sei für die Kooperation individueller Pflanzenzellen in Analogie zu sozialen Insekten genutzt worden. Das pflanzliche Verhalten wäre demnach eine Folge koordinierter Aktivitäten unterschiedlicher Zellen und Gewebe. Dagegen wenden die Autoren ein, dass Zellen eines Organismus‘ stets ein gemeinsames genetisches Ziel verfolgen, während selbst bei sozialen Insekten ein genetischer Konflikt bezüglich der Reproduktion herrsche und kooperatives Verhalten daher anders zu werten sei. Allerdings gehen die Autoren in ihrer Replik nicht auf Studien ein, in denen beschrieben wurde, wie Pflanzen beispielsweise durch Signalstoffe benachbarte Pflanzen vor dem Befall mit Schädlingen warnen.
Studien mit fragwürdigen Methoden
Dass es bei Pflanzen Analogien zum tierischen Nervensystem gibt, akzeptieren die Autoren, wehren sich aber dagegen, diese gleichzusetzen. Eine Studie, der zufolge Auxin als eine Art Neurotransmitter fungiere, sei handwerklich wie theoretisch heftig kritisiert worden. Ähnliches gelte für eine Studie, die zum Ergebnis kam, dass die elektrischen Signale in den Wachstumszonen der Wurzelspitzen ähnlich wie im Gehirn synchron oszillieren würden. Das Signalmuster wurde im Nachhinein von anderen Forschern als Elektroden-Artefakt beschrieben.
Dabei hat schon Charles Darwin den Bezug hergestellt, dass die Keimwurzel andere angrenzende Teile der Pflanzen in ihrer Bewegung lenken könne – ganz wie das Gehirn niederer Tiere, wo sich Gehirn und Sinnesorgane an entgegengesetzten Bereichen des Körpers befinden. Auch hier widersprechen die Autoren: Zwar beeinflussen sich bei Pflanzen unterschiedlichen Strukturen und Organe auf vielfältige Weise, doch gibt es kein übergeordnetes Organ, das als Gehirn einer Pflanze bezeichnet werden könne. Bestenfalls könne man die gesamte Pflanze als „gehirnartig“ bezeichnet, wodurch jedoch die Bedeutung des Begriffs „Gehirn“ verloren ginge.
Zwar können einige Pflanzen ähnlich dem tierischen Nervensystem elektrisch erregt werden und nutzen elektrische Signale in der Stressantwort. Doch auch einzellige Algen können elektrisch erregt werden, was nahelegt, dass dieser Vorhang nicht zwangsläufig ein Zeichen von Kommunikation zwischen Zellen sein muss. Meist dient das elektrische Potenzial viel mehr dazu, das osmotische Gleichgewicht einzustellen.
Können Pflanzen lernen?
Bei der Frage, wie es um die Lernfähigkeit von Pflanzen bestellt ist, fällen die Autoren hingegen noch kein abschließendes Urteil, wobei sie auch hier skeptisch sind. Es sind Experimente wie diese, die Spekulationen nähren, dass Pflanzen wie Tiere oder Menschen lernfähige Wesen seien: Lässt man eine eingetopfte Mimose aus geringer Höhe fallen, faltet diese ihre Blätter zusammen. Wird dies mehrfach wiederholt, schwächt sich die Reaktion ab, bis sie schließlich ausbleibt. Wird dieselbe Pflanze nun horizontal geschüttelt, klappt sie ihre Blätter wieder ein, weshalb eine Ermüdungserscheinung als Ursache unwahrscheinlich erscheint. Hatte die Pflanze also gelernt, dass von dem vertikalen Stoß keine Gefahr ausgeht? Hier liefern die Autoren wenig Gegenargumente, halten aber weitere Untersuchungen für notwendig, um beispielsweise Ermüdung wirklich ausschließen zu können.
Pflanzen kennen keinen Schmerz
Auch von einem Schmerzempfinden bei Pflanzen wollen die Autoren nicht sprechen. Schmerz sei eine komplexe Erfahrung, an der eine ganze Reihe von Gehirnarealen beteiligt ist und die aus sensorischen, affektiven, kognitiven, motorischen und vegetativen Komponenten besteht. Dagegen zeigen Pflanzen eher stereotype Reaktionen, die auf die Stimulation von Rezeptoren zurückzuführen sind, die durch Berührungen aktiviert werden. Wenn Anästhetika bei Pflanzen berührungsabhängige Bewegungen unterbinden, sei der Begriff deshalb „Schmerz“ irreführend. Die Wirkung der Anästhetika sei eher auf den allgemeinen Effekt zurückzuführen, den diese Substanzen auf Membraneigenschaften haben.
Abschließend ziehen die Autoren die allgemeine Definition von Bewusstsein aus dem Tierreich heran. Darin werden ein komplexes Nervensystem mit speziellen neurobiologischen Funktionen und ein mindestens rudimentäres Gehirn als Grundvoraussetzungen genannt.
Außerdem sei die Entstehung eines Bewusstseins mit einer „Sinnesexplosion“ verbunden, bei der die Informationen unterschiedlicher neuraler Subsysteme zentral kombiniert und interpretiert werden müssen, und die Informationen zudem gespeichert und abgerufen werden können. Überschreitet diese Komplexität ein gewisses Level, sei die Entstehung eines Bewusstsein denkbar, das dann auch hypothetische Szenarien entwerfen kann, auf deren Grundlage es Entscheidungen trifft.
Pflanzen brauchen kein Bewusstsein
Die Entstehung des Bewusstseins war mutmaßlich die Folge der ersten Jäger-Beute-Interaktionen vor rund 500 Millionen Jahren, als die ersten Neuronen entstanden. Pflanzen hingegen haben sich als ortsgebundene Lebensformen auf Energieeffizienz und Wachstum im Wettbewerb um Sonnenlicht spezialisiert. Komplexe Prozesse, um Beute zu fangen oder Jägern zu entgehen, haben sie nicht benötigt. Weil Pflanzen also kein Bewusstsein benötigen, und weil überzeugende Belege für ein solches auch fehlen, könne man davon ausgehen, dass Pflanzen kein Bewusstsein besitzen. Oder mit den Worten der Autoren: „Es ist schon genug, dass Pflanzen Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser in komplexe Kohlenstoffverbindungen verwandeln, die das gesamte mehrzellige Bodenleben der Erde ermöglichen. Wir sollten nicht auch noch verlangen, dass sie sich dessen bewusst sind.“
Quelle:
Taiz, L. et al. (2019): Plants Neither Possess nor Require Consciousness. In: Trends in Plant Science, (3. Juli 2019), doi:10.1016/j.tplants.2019.05.008.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Pflanzen unter Vollnarkose - Anästhetika wirken nicht nur bei Menschen
- Pflanzlicher Signalweg ähnelt tierischem Nervensystem - Glutamat sendet Calcium-Signale in benachbarte Blätter
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Titelbild: Haben Pflanzen ein Bewusstsein? Eine Studie hat die Argumente aufgelistet und kommt zum ernüchternden Ergebnis: Nein. (Bildquelle: © TanteTati/Pixabay/CC0)