Turbo-Domestizierung
Vom tetraploiden Wildreis zum modernen Kultivar
Der moderne Reis hat lediglich einen diploiden Chromosomensatz. Eine Tetraploidisierung von Reispflanzen würde den Wuchs und die Widerstandsfähigkeit der Kultivare erhöhen – aufgrund der gesteigerten genetischen Vielfalt im Erbgut. Doch wie lässt sich das möglichst schnell umsetzen? Ein Forschungsteam zeigt, wie eine Schnelldomestizierung tetraploider Reiskultivare gelingen kann.
Um rund 50 Prozent wird voraussichtlich der globale Bedarf an Nahrungsmitteln bis zum Jahr 2050 ansteigen. Die Landwirtschaft muss also produktiver werden, trotz der schwierigen Bedingungen durch den Klimawandel und der Forderung nach mehr ökologischer Nachhaltigkeit. Eine zentrale Stellschraube ist die Steigerung der Ertragsleistung von Kulturpflanzen. Daher sind WissenschaftlerInnen weltweit auf der Suche nach neuen Konzepten, um die Erträge drastisch zu steigern – so wie das vor ca. 9 000 Jahren mit der Domestizierung von Mais aus dem Wildgras Teosinte in Zentralmexiko schon einmal gelang.
Auch die Domestizierung von Reis hatte einst die Erträge dieses Getreides erheblich gesteigert – doch hier vermutet die Pflanzenzüchtungsforschung noch großes Potenzial: Denn Reiskultivare sind lediglich diploid, weisen also nur einen doppelten Chromosomensatz auf. Höhere Ploidiegrade führen aber oft zu leistungsstärkeren und widerstandsfähigeren Pflanzen. Könnte also eine allotetraploide Reissorte den Durchbruch bringen? Und wie lässt sich eine solche Sorte züchten?
Monate statt Jahrhunderte
Mit den heute verfügbaren Mitteln ist es bislang nicht möglich, eine diploide Sorte mal eben so in eine tetraploide Sorte umzuwandeln, unter anderem auch wegen des begrenzten genetischen Hintergrunds. Allerdings gibt es wilde Reisverwandte, die von Natur aus über vier Chromosomensätze verfügen. Eine chinesische Forschungskooperation hat dies zum Ausgangspunkt eines verwegenen Projekts gemacht: Die WissenschaftlerInnen wollten Reis aus diesem tetraploiden Wildgras ein zweites Mal domestizieren – diesmal jedoch nicht über mehrere Tausend Jahre hinweg, sondern innerhalb weniger Monate. Jetzt vermeldet das Team den grundsätzlichen Erfolg dieses Ansatzes und präsentiert auch eine Allround-Anleitung für Turbo-Domestizierungen von weiteren Kulturpflanzen.
27 Reisarten sind heute bekannt, darunter auch fünf unterschiedliche tetraploide Genomtypen. Die Wildreisart Oryza alta ist eine davon und entstand vor langer Zeit, als zwei diploide Pflanzen hybridisierten.
Eine der Linien dieser Wildreisart, PPR1 (polyploid rice 1), überzeugte die Forschenden, weil sie gut darin ist, Kallusse zu bilden und sich zu regenerieren – wichtige Eigenschaften für moderne Züchtungsansätze. Diese Pflanzen waren auch recht robust und besaßen einen kräftigen Wuchs. Es fehlten jedoch wichtige Eigenschaften vom domestizierten Reis, etwa eine kompakte Form und nährstoffreiche große Samenkörner, die auch reif nicht sofort abfallen.
Genomsequenzierung und Expressionsatlas
Zunächst bestand die Herausforderung darin, das Genom in hoher Qualität zu sequenzieren. Anschließend erstellte das Forschungsteam einen Genexpressionsatlas für zehn repräsentative Gewebe. Am Ende stand fest: PPR1 besitzt knapp 100 000 Protein-kodierende Gene, rund 1 250 Pseudogene und Sequenzen für mehr als 17 000 RNAs, die nicht in Proteine übersetzt werden.
Durch den Vergleich mit domestizierten Reissorten, die mit jeweils einer Hälfte des tetraploiden Chromosomensatzes verwandt sind, ordneten die Forschenden die Gene 24 Pseudochromosomen zu und diese dem jeweiligen Subgenom.
Für knapp 21 000 Gene fanden sich keine Homologe in kultivierten diploiden Reissorten. Diese in modernen Reissorten nicht vorhandenen Gene von O. alta sind wie ein genetischer Schatz, da sich darunter wertvolle Eigenschaften verbergen könnten. Zusätzlich finden sich unter den homologen Genen besonders viele, die abiotische oder biotische Resistenzen bzw. Toleranzen vermitteln. Weitere Analysen ergaben Hinweise auf umfangreiche Translokationen zwischen den beiden Subgenomen und darauf, dass seit der Tetraploidisierung im Vergleich zu den diploiden Ausgangsgenomen fast 10 000 Gene verloren gegangen sind.
Gerüstet mit diesen Erkenntnissen begannen die Forschenden die Schnelldomestizierung. Die Strategie hierbei: Finde die homologen Gene im Wildreis, die den Kultureis zum Kulturreis machen und passe deren Gensequenzen durch Einsatz moderner Genomeditierungsmethoden an die der Kulturarten an.
Erstaunlicherweise sind es relativ wenige Gene, die die wesentlichen Eigenschaften von domestizierten Kulturpflanzen ausmachen. Von den zehn wichtigsten Genen fanden die ForscherInnen sieben Homologe in PPR1, darunter jene für Grannenlänge, Kornbreite und Rispenform. Als weitere Ziele der Genomeditierung kommen bei O. alta 113 Gene hinzu, deren Homologe in modernen diploiden Reiskultivare für wichtige agronomische Eigenschaften stehen. Dazu zählen Merkmale wie Kornqualität und -quantität, Fruchtbarkeit, Nährstoffeffizienz sowie abiotische und biotische Resistenzen bzw. Toleranzen.
Diesen Ansatz demonstrierte das Team unter anderem am Beispiel des Gens sd1, das entscheidend ist für die kürzeren Halme moderner Sorten und für einen deutlich höheren Gewichtsanteil der Körner am Pflanzengewicht. Insgesamt passte das Team mit unterschiedlichen Methoden der Genom-Editierung – CRISPR/Cas9, Basen-Editierung und Multiplex-Editierung – sechs dieser homologen Gene an die Gensequenzen domestizierter Kulturreissorten an.
Vier Herausforderungen bleiben
Ein paar Einschränkungen oder Herausforderungen gibt es trotz des Erfolgs dieser Strategie noch. Muss ein agronomisch relevantes Allel in seiner Aktivität heruntergefahren werden, darf das in einigen Fällen nicht durch einen vollständigen Knockout passieren. Denn für den gewünschten Phänotyp ist oft noch eine schwache Expression nötig. Zweitens haben die Gene oft pleiotrope Effekte, beeinflussen also mehrere Merkmale zugleich. Drittens hat Wildreis zwar viele attraktive Gene, die in modernen Sorten nicht zu finden sind. Doch dürfte es nicht einfach sein, diese in der fortlaufenden Züchtung vollständig zu bewahren, solange das Wissen über ihre Funktionsweise unvollständig ist.
Und nicht zuletzt ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, polyploide Genome in hoher Qualität zu sequenzieren. Berücksichtigt man diese Punkte, stellt der neue Ansatz jedoch ein vielversprechendes Verfahren dar, um aus wilden Verwandten in kürzester Zeit neuartige polyploide Nutzpflanzensorten zu entwickeln – nicht nur bei Reis.
Quelle:
Yu, H. et al. (2021): A route to de novo domestication of wild allotetraploid rice. In: Cell, 184, 1-15, (4. März 2021), doi: 10.1016/j.cell.2021.01.013.
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Titelbild: Die Reispflanze gehört, wie andere wichtige Getreidearten, zu den Süßgräsern. (Bildquelle: © iStock.com/szefei)