Umwelteinflüsse auf das Erbgut sind selten von Dauer

27.09.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Arabidopsis: Veränderungen im epigenetischen Code, von C (Cytosine) nach mC, dem methylierten Cytosin, können spontan auftreten (Quelle: © Martin Vötsch; MPI für Entwicklungsbiologie)

Arabidopsis: Veränderungen im epigenetischen Code, von C (Cytosine) nach mC, dem methylierten Cytosin, können spontan auftreten (Quelle: © Martin Vötsch; MPI für Entwicklungsbiologie)

Max-Planck-Forscher haben gezeigt, dass Methylierungen weit häufiger sind als Mutationen, aber die Evolution kaum beeinflussen, da sie meist nach wenigen Generationen verschwinden.

Jean-Baptiste Lamarck wird wohl auch weiterhin in den Biologiebüchern der Welt gegenüber Charles Darwin den Kürzeren ziehen: Zwar sind in der Epigenetik seit einigen Jahren Mechanismen bekannt, wie die Umwelt das Erbgut beeinflusst – ganz im Sinne des Lamarckismus. Doch auf die längerfristige Evolution dürfte zumindest die Methylierung, die wichtigste epigenetische Veränderung, wenig Einfluss haben. Das berichten jetzt Forscher des Tübinger Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in „Nature“.

Die Biologen um Detlef Weigel untersuchten dazu zehn Linien der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), die vom selben direkten Vorfahren abstammten und über 30 Generationen per Selbstbefruchtung gezogen worden waren. Während sich die erste von der letzten Generation durch maximal 30 Mutationen der DNA unterschied, entstanden im selben Zeitraum tausendmal so viele sogenannte Epimutationen, Veränderungen des Methylierungsstatus.

Als Methylierung wird ein Prozess bezeichnet, bei dem einem Grundbaustein der DNA, meist dem Cytosin, eine chemische Verbindung, eben eine Methylgruppe, angehängt wird. Da der Prozess die eigentliche DNA nicht verändert und zudem umkehrbar ist, gilt er nicht als DNA-Mutation. Je Pflanze haben die Forscher rund 14 Millionen Cytosine analysiert. Fast drei Millionen davon trugen eine Methylgruppe. Alle untersuchten Pflanzen wiesen weitgehend dasselbe Methylierungsmuster auf. Sechs Prozent aller Cytosine unterschieden sich jedoch in mindestens einer Linie zwischen der ersten und 30. Generation. Durchschnittlich gab es 30.000 Epimutationen je Linie.

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Epigenetische Unterschiede zwischen den Generationen: Die 3. Generation der Linien 4 und 8 dienen als Referenzen, an denen zehn Linien nach über 30 Generationen verglichen werden. (Quelle: © MPI für Entwicklungsbiologie).


Epigenetische Unterschiede zwischen den Generationen: Die 3. Generation der Linien 4 und 8 dienen als Referenzen, an denen zehn Linien nach über 30 Generationen verglichen werden. (Quelle: © MPI für Entwicklungsbiologie).

Bei 30.000 Epimutationen beim Vergleich der ersten und der 30. Generation wäre somit ein Durchschnitt von 1.000 Veränderungen zwischen jeder einzelnen Generation zu erwarten gewesen. Doch als die Max-Planck-Forscher Elternpflanzen mit ihren direkten Nachkommen verglichen, fanden sie eine Überraschung: Die Rate der Epimutationen lag noch drei- bis viermal höher. Das bedeutet, dass viele Methylierungen innerhalb weniger Generationen rückgängig gemacht werden. 

Auf die Evolution hat der Mechanismus der Methylierung daher wahrscheinlich weniger Einfluss als zuletzt vermutet. Nur dann, wenn die Veränderung sehr schnell einen Vorteil bewirkt, hat sie eine Chance, sich durchzusetzen. Zur kurzfristigen Vererbung von Merkmalen können epigenetische Unterschiede dennoch beitragen, da die Rückveränderung nicht gleich mit der nächsten Generation auftreten muss.

Für die Beurteilung einer Methylierung ist allerdings wichtig, wo im Erbgut sie auftritt. Veränderungen fanden die Biologen nämlich nur selten bei Methylgruppen im Bereich der Transposons, mobiler kurzer DNA-Elemente. Deren genaue Bedeutung ist noch immer Gegenstand zahlreicher Forschungsprojekte. Sicher ist, dass der Verlust der Methylierung zu einer erhöhten Aktivität der Transposons führen würde – und die ist in der Regel vom Organismus unerwünscht. Besonders häufig trafen Veränderungen hingegen kodierende Gensequenzen. Lediglich rund 30 Bereiche je Pflanze waren dabei von Veränderungen ganzer Regionen betroffen – eine ähnlich geringe Rate wie die der DNA-Mutationen und vermutlich ähnlich gravierend in der Auswirkung.

Neben der Häufigkeit und der geringen Persistenz von Methylierungsänderungen überrascht noch eine dritte Erkenntnis der Forschergruppe: Bislang galten Methylierungen vor allem als ein Mechanismus, über den die Umwelt Einfluss auf das Erbgut nimmt – doch die Umweltbedingungen in der Studie waren für alle Pflanzen in etwa identisch. Beim Großteil der gefundenen Veränderungen dürfte es sich somit um spontane Ereignisse handeln. In der Natur kommen daher noch zahlreiche Epimutationen infolge tatsächlicher Umwelteinflüsse hinzu. Sollte auch die Zahl der Rückveränderungen analog ansteigen, würde das die evolutionäre Rolle der Epigenetik noch weiter verringern, als die Befunde dieser Studie bereits nahelegen, vermuten die Autoren.


Quelle: 

Claude Becker et al. ‘Spontaneous epigenetic variation in the Arabidopsis thaliana methylome’; Nature Online 20.September 2011 (Link).

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