Imprinting in Pflanzen: Ein Genkonflikt zwischen Vater und Mutter?

24.08.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Auch in Pflanzen müssen sich die mütterlichen und männlichen Gene auf ein Genaktivitätsmuster

Auch in Pflanzen müssen sich die mütterlichen und männlichen Gene auf ein Genaktivitätsmuster "einigen". (Quelle: © Frank Brenneis / pixelio.de).

Nach der Befruchtung kämpfen väterliche und mütterliche Gene um die Vorherrschaft im Embryo, so besagt die Kinship-Theorie. Ob dies auch in Pflanzen der Fall ist, haben Forscher in einer genomweiten Analyse der Ackerschmalwand untersucht. Die Pflanze ist auch Modell für die medizinische Forschung.

In unserem Erbgut tobt ein Kampf der Geschlechter. Kaum sind Spermium und Eizelle verschmolzen, liegen die männlichen und weiblichen Gene im Zwist. Denn obwohl beide Keimzellen die gleichen Gene tragen, ist ihr Beitrag zum Genom des Embryos nicht gleichwertig. Einige Gene sind nur aktiv, wenn sie vom Vater vererbt werden, während die Kopie in der weiblichen Hälfte des Genoms stillgelegt wurde- und umgekehrt. 

Dieser als „Imprinting“ bezeichnete Vererbungsmechanismus ist beispielsweise die Ursache dafür, dass ein Maultier, das aus der Kreuzung eines Eselhengstes und einer Pferdestute hervorgeht, anders aussieht als der Maulesel, der aus einer Eselstute und einem Pferdehengst entsteht. 

Imprinting: Ein genetisches Wettrüsten zwischen Männchen und Weibchen?

Im Menschen sind es weniger als 1% der Gene, die abhängig vom Elternteil stumm oder aktiv vererbt werden. Diese scheinen jedoch einen entscheidenden Einfluss auf die gesunde Entwicklung des Embryos zu nehmen. Genetische Krankheiten und manche Krebsarten werden beim Menschen durch fehlerhaftes Imprinting verursacht. 

Eine immer noch ungeklärte Frage ist jedoch, warum sich dieser Mechanismus im Laufe der Evolution entwickelt hat. Die bisher am weitesten verbreitete Theorie, die Funktion des Imprintings zu erklären, ist die sogenannten Kinship-Theorie. Demzufolge tragen die männlichen und weiblichen Gene einen Kampf um die weiblichen Ressourcen aus, in dem es darum geht, die eigenen Gene erfolgreich weiterzugeben. Im Interesse des Männchens ist es, einen möglichst kräftigen Embryo in die Welt zu setzen, denn wer weiß, wann es wieder zum Zuge kommt. Für die Weibchen ist es dagegen vorteilhaft, mit ihren Ressourcen zu haushalten und fit zu bleiben, denn sie wollen noch viele Nachkommen gebären. 

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Obwohl männliche und weibliche Keimzellen die gleichen Gene tragen, unterscheiden sich ihre Genome durch unterschiedliche Genaktivitätsmuster. Beim Imprinting wird nur eine aktive Genkopie entweder vom Mutter oder vom Vater an die Nachkommen weitergegeben (Quelle: © Thommy Weiss / pixelio.de).

Obwohl männliche und weibliche Keimzellen die gleichen Gene tragen, unterscheiden sich ihre Genome durch unterschiedliche Genaktivitätsmuster. Beim Imprinting wird nur eine aktive Genkopie entweder vom Mutter oder vom Vater an die Nachkommen weitergegeben (Quelle: © Thommy Weiss / pixelio.de).

Ein bekanntes Beispiel, das diese Theorie stützt, ist das Gen für den Wachstumsfaktor Insulin-like-growth factor 2 (IGF2). Wird dieses Gen nicht stumm von der Mutter vererbt, sondern ist stattdessen aktiv, verursacht das beim Menschen das Beckwith-Wiedemann Syndrom, bei dem Neugeborene das doppelte des Normalgewichts erreichen. Allerdings passen nicht alle Gene, die in Säugern durch Imprinting reguliert werden, zu der Theorie vom Interessenkonflikt zwischen Weibchen und Männchen.

Das pflanzliche Endosperm als Modell der Epigenetik

Ein besonders interessantes Modell, um der Frage nach der evolutionsbiologischen Funktion des Imprinting nachzugehen, sind die Embryos und Nährgewebe von selbstbestäubenden Blüten-pflanzen. Denn welcher Interessenskonflikt könnte noch bestehen, wenn weibliches und männliches Elternteil in einem Individuum vereint sind? 

Um dieser Frage nachzugehen, erstellten Wissenschaftler ein genomweites Profil der Genaktivität in reifen Arabidopsis thaliana Samen. Sie kreuzten die genetisch unterschiedlichen Arabidopsis-Linien Columbia (Col-0) und Landsberg erecta (Ler) und kombinierten Ultra-Hochdurchsatz-RNA-Sequenziermethoden mit sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismus-Analysen (SNP-Analyse). Auf diese Weise konnten sie unterscheiden, welche und wie viele RNA-Moleküle durch Umschreibung der männlichen oder durch Umschreibung der weiblichen Genkopie entstanden waren. Dabei untersuchten die Forscher sowohl die Genaktivität im Pflanzenembryo, als auch die Genaktivität des ihn umgebenden Nährgewebes, dem sogenannten Endosperm. Embryo und Endosperm gehen in Blütenpflanzen aus einer Doppel-Befruchtung hervor und sind gewissermaßen Zwillinge. Jeweils zwei weibliche und zwei männliche Keimzellen verschmelzen dabei zu zwei Befruchtungs-produkten. Da das Endosperm die Nahrungsquelle des Embryos ist, und somit auch über dessen Wachstum entscheidet, ließ die Kinship-Theorie vermuten, dass sich die elterlichen Gene besonders dort im Konflikt befinden.

Besonders Pflanzenhormongene und Genregulatoren sind durch das Elterngeschlecht geprägt

Tatsächlich identifizierten die Genomforscher über 200 Gene, deren Aktivität im Endosperm durch das Geschlecht der Eltern reguliert wurde. Darunter befanden sich vor allem Gene, die bei der Synthese von Pflanzenhormonen wie beispielsweise Auxin und Ethylen eine Rolle spielen, die Wachstums- und Reifeprozesse in Pflanzen steuern. Die Forscher vermuten deshalb, dass diesen Hormonen in der Entwicklung des Endosperms eine wichtigere Rolle zukommt, als bisher angenommen wurde. 

Eine weitere stark vertretene Gruppe waren Gene, die auf DNA-Ebene und auf epigenetische (epi, griechisch: um, herum, zusätzlich) Weise die Aktivität anderer Gene steuern. Zu den epigenetischen Faktoren gehörten Proteine, die chemische Gruppen wie beispiels-weise Methylierungen an die DNA oder deren Verpackungsproteine heften und somit den Zugang zum genetischen Code erschweren. Durch diesen molekularen Mechanismus werden auch Gene beim Imprinting stillgelegt. Obwohl die Sequenz der DNA dabei unverändert bleibt, fungieren die chemischen Gruppen wie Fähnchen, die Gene auch über Generationen hinweg als stumm oder aktiv markieren können. 

Partielles Imprinting: Ein Zeichen für eine Evolution weg vom Genkonflikt? 

Ein für die Wissenschaftler überraschendes Ergebnis war jedoch die Tatsache, dass die meisten durch Imprinting geprägten Gene des Endosperms keinem schwarzweiß-Muster gehorchten. Beide Genkopien waren aktiv, auch wenn eine der beiden stark runter reguliert wurde. Möglicherweise, so vermuten die Forscher, ist das partielle Imprinting ein Überbleibsel aus Tagen, als die Arabidopsis-Pflanze sich noch nicht selbst bestäubte, was laut wissenschaftlichen Schätzungen ungefähr 400 000 Jahre her ist. Seitdem sich die Selbstbefruchtung entwickelte, hat der genetische Elternkonflikt jedoch nachgelassen und ein vollständiges Imprinting ist für Vererbungsstrategie der Pflanze nicht mehr überlebenswichtig. Laut einer anderen Theorie wäre es auch möglich, dass das partielle Imprinting eine Anpassung an das Genom der Mutter darstellt. Dieser "Koadaptionstheorie" hat sich der Imprinting-Mechnismus in Organismen entwickelt, bei denen die Mutter(pflanze) am meisten in den Nachwuchs investiert. Die Tatsache, dass im Endosperm der Arabidopsis-Pflanze meist die mütterlichen Gene regieren, während die männlichen runter reguliert oder vollständig stumm sind, unterstützt auch diese Theorie. Die Autoren der Studie halten daher auch eine Kombination beider Theorien für möglich.

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Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch. Trotzdem können sie sich in Aussehen, Verhalten und ihrer Gesundheit unterscheiden. Epigenetische Mechanismen  sorgen dafür, dass sie unterschiedlich aktive Gene von ihren Eltern erhalten (Quelle: © Franz Mairinger / pixelio.de).

Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch. Trotzdem können sie sich in Aussehen, Verhalten und ihrer Gesundheit unterscheiden. Epigenetische Mechanismen  sorgen dafür, dass sie unterschiedlich aktive Gene von ihren Eltern erhalten (Quelle: © Franz Mairinger / pixelio.de).

Epigenetische Krankheitsforschung in Arabidopsis 

Mittlerweile ist die Arabidopsis-Pflanze für Epigenetiker ein interessanter Modellorganismus, um zwischen mütterlich und väterlich geprägten Genen unterscheiden zu können. Denn unterschiedliche Arabidopsis-Linien besitzen eine ausgeprägte genetische Vielfalt und lassen sich trotzdem miteinander kreuzen. Darüber hinaus existiert DNA-Methylierung, einer der wichtigsten molekularen Mechanismen des Imprintings, in manchen Tiermodellen wie beispielsweise der Fliege gar nicht. 

Das im Vergleich zum Menschen kleine Genom von Arabidopsis und die kurzen Generationsfolgen sind weitere Vorteile, um Zusammen-hänge zwischen epigenetisch geprägtem Genmaterial und vererbten Krankheiten zu erforschen. Projekte wie die „Genomische Analyse des Genotyp-Phänotyp“ nutzen das Arabidopsis-Modell bereits, um genetische Veränderungen über Generationen hinweg zu verfolgen. Möglicherweise bieten solche Projekte einen neuen, schnelleren Ansatz, um genetische und epigenetische Veränderung mit Krankheitsmerkmalen in Verbindung zu bringen.


Quelle:

M. Gehring et al. (2011). Genomic Analysis of Parent-of-Origin Allelic Expression in Arabidopsis thaliana Seeds. PLoS ONE 6(8): e23687. doi:10.1371/journal.pone.0023687 (Link).

Anregungen zum Weiterlesen:

Informationen des europäischen Epigenom-Exzellenznetzwerkes zum Thema Epigenetik

Titelbild: Auch in Pflanzen müssen sich die mütterlichen und männlichen Gene auf ein Genaktivitätsmuster "einigen". (Quelle: © Frank Brenneis / pixelio.de).