Vom „Luftverpester“ zum Lebenselixier

Cyanobakterien produzierten Sauerstoff früher als gedacht

15.10.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Neue Schätzung: Die oxygene Photosynthese – die Fähigkeit, Licht und Wasser in Energie umzuwandeln und Sauerstoff freizusetzen – entwickelte sich erstmals vor 3,4 bis 2,9 Milliarden Jahren auf der Erde. (Bildquelle: © iStock.com/Elif Bayraktar)

Neue Schätzung: Die oxygene Photosynthese – die Fähigkeit, Licht und Wasser in Energie umzuwandeln und Sauerstoff freizusetzen – entwickelte sich erstmals vor 3,4 bis 2,9 Milliarden Jahren auf der Erde. (Bildquelle: © iStock.com/Elif Bayraktar)

Durch eine Kombination zweier genetischer Datierungsmethoden konnten Forscher:innen berechnen, wann die ersten Sauerstoff-produzierenden Cyanobakterien in der Frühzeit der Erde auftraten und was danach passierte.

Unsere heutige Atmosphäre verdanken wir den Cyanobakterien. Sie kamen als erste auf die „Idee“, Wasser zu spalten und setzten als Abfallprodukt giftigen Sauerstoff frei – im Nachhinein eines der tiefgreifendsten Ereignisse der gesamten Erdgeschichte. Allerdings verging zwischen der ersten Photosynthesereaktion und einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre eine sehr lange Zeit. Forscher:innen haben sich in einer neuen Studie mit dem genauen Ablauf auseinandergesetzt.

Der Siegeszug des Sauerstoffs

Sauerstoff ist eigentlich ein Abfallprodukt der sogenannten oxygenen Photosynthese: Hier wird Wasser gespalten bzw. oxidiert und dabei Elektronen und Protonen (H+) für den Aufbau von energiereichen Kohlenhydraten aus Kohlendioxid gewonnen. Dabei entsteht Sauerstoff, der in die Atmosphäre gelangt. Pflanzen, Tiere und eine Vielzahl von Mikroorganismen nutzen umgekehrt Sauerstoff, um mit ihm Kohlenhydrate und Lipide in der Atmungskette „zu verbrennen“ und damit den universalen Energieträger der Zelle – ATP – herzustellen.

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Ohne Cyanos nix los: Cyanobakterien sind die Wegbereiter unserer heutigen sauerstoffhaltigen Atmosphäre. Hier zu sehen: Ein Mikroskopbild (TEM) von Prochlorococcus marinus, das nachträglich grün eingefärbt wurde.

Ohne Cyanos nix los: Cyanobakterien sind die Wegbereiter unserer heutigen sauerstoffhaltigen Atmosphäre. Hier zu sehen: Ein Mikroskopbild (TEM) von Prochlorococcus marinus, das nachträglich grün eingefärbt wurde.

Bildquelle: © Luke Thompson (Chisholm Lab) and Nikki Watson (Whitehead), MIT / CC0

Doch das war nicht immer so: Vor etwa vier Milliarden Jahren, im sogenannten Archaikum, war Sauerstoff in der Atmosphäre nahezu nicht vorhanden. Sämtliche Organismen lebten strikt anaerob. Für diese Lebewesen ist Sauerstoff sogar giftig, da er sogenannte Sauerstoffradikale (Reaktive Oxigen Species, ROS) bildet, die ohne entsprechende Schutzmechanismen die Zellen abtöten. Stattdessen wurde in einer frühen Form der Photosynthese Schwefelwasserstoff statt Wasser als Reduktans genutzt und elementarer Schwefel gebildet (sogenannte anoxygene Photosynthese).

Frühe Formen der Cyanobakterien waren vermutlich die ersten Organismen, die Wasser gespalten und so Sauerstoff gebildet haben. Sie werden daher auch als Oxyphotobacteria bezeichnet. Anfangs waren sie eine kleine überschaubare Gruppe – gewissermaßen Exoten. Der von ihnen freigesetzte Sauerstoff wurde noch chemisch gebunden, zum Beispiel in Form von Eisenoxiden, so dass die Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre sehr gering blieb.

Erst als nahezu alle anorganischen Stoffe auf der Erdoberfläche aufoxidiert waren, reicherte sich der Sauerstoff auch in der Atmosphäre an und „verpestete“ sie für die anaeroben Lebewesen. Vor etwa 2,4 Milliarden Jahren gab es dann so viel Sauerstoff in der Atmosphäre, dass es wahrscheinlich zu einem Massenaussterben von anaeroben Lebewesen kam („Große Sauerstoffkatastrophe“).

Molekulare Uhr und horizontaler Gentransfer

Doch viele Details dieser Geschehnisse sind bis heute unklar. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die oxygene Photosynthese schon deutlich vor der „Sauerstoffkatastrophe“ existierte. Aber wann genau? Und was passierte in der Zwischenzeit? Um dem auf den Grund zu gehen, analysierten die Forscher:innen die Stammbäume von ausgestorbenen und noch lebenden Cyanobakterienstämmen.

Sie nutzten dazu zwei genetische Datierungsverfahren: Die molekulare Uhr und das Auftreten von horizontalen Gentransfers. Bei der molekularen Uhr kann bestimmt werden, wann sich zwei Arten auf genetischer Ebene voneinander getrennt haben. Der horizontale Gentransfer ist ein Ereignis, das die Weitergabe von Genen zwischen zwei lebenden Organismen unterschiedlicher Arten anzeigt, etwa bei Bakterien zum Beispiel durch Konjugation. Durch ein solches Ereignis lassen sich Altersdatierungen in Stammbäumen präzisieren, weil die beteiligten Bakterien(stämme) zur gleichen Zeit gelebt haben müssen. Man vermutet auch, dass die Cyanobakterien durch einen horizontalen Gentransfer die Gene für die Photosynthese erhielten.

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Alles schön grün hier: Choroplasten sind gemäß der Endosymbiontentheorie „Nachfahren“ der Cyanobakterien.

Alles schön grün hier: Choroplasten sind gemäß der Endosymbiontentheorie „Nachfahren“ der Cyanobakterien.

Bildquelle: © iStock.com / NNehring

Wer lebte wann?

Die Forscher:innen verglichen die Daten von sechs molekularen Uhren und 34 Ereignissen eines horizontalen Gentransfers. So erhielten sie ein genaueres Bild über das Entstehen und Aussterben verschiedener Bakterienstämme.

Auf die Cyanobakterien angewandt, konnte deren Entstehungszeitpunkt nun vordatiert werden. Die Forscher:innen fanden heraus, dass die ersten Cyanobakterien vor etwa 3,4 Milliarden Jahren entstanden, also 81 Millionen Jahre früher als bisher angenommen. Auch die ersten Oxyphotobacteria spalteten sich früher von diesen Stämmen ab: vor 2,9 Milliarden Jahren und damit ca. 87 Millionen Jahre früher als geglaubt.

Und dann kam es vor 2,4 Milliarden Jahren zur Sauerstoffkatastrophe. Das bedeutet, dass Photosynthese bereits ca. 500 Millionen Jahre lang auf unserer Erde betrieben wurde, ohne dass sich der Sauerstoff in der Atmosphäre bemerkenswert anreicherte.

Der entscheidende „Schubs“

Die Forscher:innen fanden auch heraus, dass sich die Entwicklung und Verbreitung der Oxyphotobacteria kurz vor der Sauerstoffkatastrophe stark beschleunigte. Das deutet darauf hin, dass sie möglicherweise den entscheidenden „Schubs“ gegeben haben, der zusammen mit tektonischen, geochemischen und atmosphärischen Prozessen zu besagter Katastrophe führte – und die Erde in das Sauerstoffzeitalter beförderte.

Diese neuen Einblicke in die Frühzeit der Erde zeigen, wie radikal sich damals das Leben gewandelt haben muss – nur weil ein paar „innovative“ Bakterien ein „Umweltgift“ produzierten. Das machte modernes Leben, so wie wir es heute kennen, erst möglich. Denn zum einen hat die Zellatmung mit Sauerstoff einen ungleich höheren Energiegewinn als der anaerobe Stoffwechsel und das war die Voraussetzung für die Entwicklung von vielzelligem Leben. Und zum anderen gelten Cyanobakterien gemäß der Endosymbiontentheorie als Vorläufer der Chloroplasten in den Pflanzen. Somit sind diese Bakterien die Wegbereiter unserer heutigen grünen Welt.


Quelle:
Fournier, G.P. et al. (2021): The Archean origin of oxygenic photosynthesis and extant cyanobacterial lineages. In: The Royal Society Publishing Vol 288, (6. September 2021), doi: 10.1098/rspb.2021.0675.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Neue Schätzung: Die oxygene Photosynthese – die Fähigkeit, Licht und Wasser in Energie umzuwandeln und Sauerstoff freizusetzen – entwickelte sich erstmals vor 3,4 bis 2,9 Milliarden Jahren auf der Erde. (Bildquelle: © iStock.com/Elif Bayraktar)