Wissensschatz Bernstein

Forscher finden das bisher älteste Fossil einer fleischfressenden Pflanze

05.12.2014 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Das im Bernstein konservierte Blatt ist über 35 Millionen Jahre alt und wurde in der Bernsteinmine von Yantarny gefunden. (Bildquelle:© PNAS und Universität Göttingen/ Alexander Schmidt)

Das im Bernstein konservierte Blatt ist über 35 Millionen Jahre alt und wurde in der Bernsteinmine von Yantarny gefunden. (Bildquelle:© PNAS und Universität Göttingen/ Alexander Schmidt)

Die Evolutionsforschung von fleischfressenden Pflanzen gestaltet sich schwierig, da es an archäologischem Forschungsmaterial fehlt. Nun haben Forscher der Universität Göttingen in einem Tagebau bei Kaliningrad 35 – 47 Millionen Jahre alte Fossilien einer fleischfressenden Pflanze entdeckt. Diese besitzen große Ähnlichkeiten mit den heutigen Taupflanzen und liefern neue Einblicke in die Evolution dieser faszinierenden Pflanzen.

Mit einer Länge von gerade einmal 4,5 bzw. 5 mm und einer Breite von weniger als einem Millimeter könnte man die filigranen, im goldgelben Bernstein eingeschlossenen Blätter fast übersehen. Aufgrund der großen Ähnlichkeit vermuten die Forscher, dass es sich um einen Vorfahren der heute noch lebenden fleischfressenden (carnivoren) Taupflanzen (Roridula) handeln könnte, die zur Familie der Taupflanzengewächse (Roridulaceae) gehören. Das verblüffende ist, dass diese Pflanzenart heute ausschließlich an der Südspitze Afrikas wächst. Rund 10.000 Kilometer entfernt von dem Fundort an der Bernsteinküste.

Gemeinsamkeiten mit heutigen Taupflanzen

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Das Fossil besitzt große Ähnlichkeiten mit der heute ausschließlich in Südafrika lebenden Taupflanze (Roridula) 

Das Fossil besitzt große Ähnlichkeiten mit der heute ausschließlich in Südafrika lebenden Taupflanze (Roridula

Bildquelle: © Tursiops/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

„Auffällig sind die mehrzelligen Drüsenhaare mit den langen Stielen, die sogenannten Tentakeln, die die Blattunterseite und die Blattränder der Fossilien bedecken“, beschreibt Eva-Maria Sadowski die Blätter. Die Gemeinsamkeit zu den Klebfallen von heute lebenden Taufpflanzen besteht nicht nur in der Position und dem Aufbau der Drüsenhaare (Trichome), die eine dickflüssige, klebrige Flüssigkeit absondern, sondern auch in den fünf unterschiedlichen Größenklassen.

Dies legt die Vermutung nahe, dass die Pflanze ihre Beute zu Lebzeiten auf ähnliche Weise erbeutet haben könnte wie heutige Taupflanzen: Nachdem sich die Insekten in den längeren Drüsenhaaren verheddern, werden sie von den kürzeren und dickeren Drüsenhaare so stark fixiert, dass sie nicht mehr entkommen können. Weitere Anhaltspunkte für die Verwandtschaft sind außerdem die Blattspitzen, welche ebenfalls aus einem einzigen Tentakel bestehen, ebenso wie die Zellstruktur der Blattoberfläche (Epidermis) und die Größe der Stomata.

Neue Erkenntnisse über die Vergangenheit

„Durch den Fossilfund konnten wir nachweisen, dass die Vorfahren heutiger Taupflanzen noch bis vor 35 Millionen Jahren auf der Nordhemisphäre vorkamen und nicht auf Südafrika beschränkt waren“, erklärt Prof. Dr. Alexander Schmidt. Neben der historischen Verbreitung sehen die Forscher die Vermutung bestätigt, dass die Roridulaceae seit rund 38 Millionen Jahren als eigene Pflanzenfamilie existieren. Die im Bernstein gefundenen Fossilien könnten zu einem der ersten Vertreter dieser Linie gehören. Dass diese nun nachweislich vor über 35 Millionen Jahren auf der Nordhalbkugel gelebt haben müssen, widerspricht zudem der bisherigen Annahme, dass es sich bei den Taupflanzengewächsen um eine ausschließlich in Südafrika lebende, endemische Art handelt

Vor 38 Millionen Jahren herrschte in Kaliningrad ein subtropisches Klima

Bodenproben vom Fundort ergaben, dass in der Gegend des heutigen Kaliningrads vor 38 Millionen Jahren ein subtropisches Klima geherrscht haben musste. Die Jahresdurchschnittstemperatur lag demnach ungefähr zwischen 24 °C und 27  °C, was der durchschnittlichen Jahrestemperatur Südafrikas (23°C) entspricht. Heute hingegen steigt das Thermometer in Kaliningrad selbst in der Hitze des Sommers selten über 22 °C. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass der Boden wie an den heutigen Standorten in Südafrika, auch in der Region in Kaliningrad vor Jahrmillionen wenige Nährstoffe enthielt. Es sind vor allem diese nährstoffarmen Gebiete, in denen fleischfressende Pflanzen einen Vorteil haben. Indem sie sich nicht über die Wurzeln, sondern über Insekten mit Nährstoffen versorgen, wachsen und gedeihen sie an diesen nährstoffarmen Standorten. Die Insekten dienen ihnen vor allem als Lieferanten für Stickstoff (N).

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Dass die Wanzen nicht dem klebrigen Drüsensekret zum Opfer fallen, liegt vermutlich daran, dass sie selbst von einer schützenden Schicht umgegeben sind, quasi eine Anti-Haft-Beschichtung.

Dass die Wanzen nicht dem klebrigen Drüsensekret zum Opfer fallen, liegt vermutlich daran, dass sie selbst von einer schützenden Schicht umgegeben sind, quasi eine Anti-Haft-Beschichtung.

Bildquelle: © Dennis Barthel/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Fleischfresser, die eigentlich keine Fleischfresser sind…

Taupflanzen werden auch Wanzenpflanzen genannt, weil sie, anders als der Name vermuten lässt, sich nicht von Wanzen ernähren, sondern in einer Symbiose mit diesen leben. Da Taupflanzen zwar in der Lage sind, mit ihren Tentakeln Beute zu fangen, jedoch nicht wie andere Vertreter carnivorer Pflanzen, ein eigenes Verdauungssystem bzw. Verdauungsenzyme besitzen, um die benötigten Nährstoffe aus den Insekten aufzunehmen, sind sie auf fremde Organismen angewiesen, die ihnen behilflich sind.

Dabei handelt es sich um Pameridae-Wanzen aus der Gattung der Weichwanzen (Miridae), die größtenteils auf den Taupflanzen leben und sich von deren Beute ernähren und diese verdauen. Ihre Exkremente enthalten die für die Taupflanzen wichtigen Nährstoffe, die sie über winzige Poren in der schützenden Wachsschicht der Blätter, die Cuticula, aufnehmen. Über 70 % des Stickstoffbedarfs decken Taupflanzen auf diese Weise ab. Aufgrund dieser Besonderheit zählen Taufpflanzen streng genommen nicht zu den fleischfressenden (carnivoren) Pflanzen, sondern werden der Kategorie der Prä-Carnivoren zugerechnet.

Bernstein als Biokonserve

Seit dem 18. Jahrhundert werden Bernstein-Einschlüsse (Inklusen) naturwissenschaftlich erforscht.  Durch das fossile Harz werden Tiere und Pflanzenteile mitunter so gut konserviert, dass es sogar möglich ist, das Erbgut der eingeschlossenen Organismen zu analysieren. Die aktuelle Studie unterstreicht abermals die Bedeutung für die Wissenschaft und beweist, dass allein der Fundort ausreichen kann, bisherige Annahmen und Vorstellungen über die Vergangenheit und die Evolution von Pflanzen auf den Kopf zu stellen.


Quelle:Schmidt, A. et al. (2014): Carnivorous leaves from Baltic amber. In: PNAS, (1. Dezember 2014), doi:10.1073/pnas.1414777111.

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Titelbild: Das im Bernstein konservierte Blatt ist über 35 Millionen Jahre alt und wurde in der Bernsteinmine von Yantarny gefunden. (Bildquelle: © PNAS und Universität Göttingen/ Alexander Schmidt)