Auf großer Reise: Der Wanderfalter

14.11.2012 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Distelfalter folgen der Blütezeit quer durch Europa (Quelle: © Adrian Häusler / wikipedia.de; CC BY-SA 3.0).

Distelfalter folgen der Blütezeit quer durch Europa (Quelle: © Adrian Häusler / wikipedia.de; CC BY-SA 3.0).

Distelfalter folgen dem Frühling nordwärts – von Nordafrika bis nach Skandinavien. Auf der Suche nach Nahrung legen sie dabei jährlich bis zu 15.000 km zurück. Forscher haben die Wanderung der Falter untersucht, denn sie könnte auch erklären, wie sich bedeutende Agrarschädlinge ausbreiten.

Saisonale Wanderungen von Insekten sind ein weit verbreitetes, aber noch wenig erforschtes Phänomen. Denn im Gegensatz zum Vogelzug lassen sich schwärmende Schmetterlinge schwer über längere Strecken beobachten. Die Insekten sind klein und ihr Leben dauert nur wenige Wochen. Dennoch können sie beeindruckende Strecken zurücklegen. Distelfalter (Vanessa cardui) sind Europas bekannteste Wanderfalter. Die Art legt jedes Jahr bis zu 15.000 Kilometer zurück und bevölkert im Sommer ganz Europa.

Im Jahr 2009 sammelten Hunderte freiwillige Naturbeobachter während einer der Massenwanderungen des Distelfalters rund 60.000 Beobachtungen. Ein Forscherteam unter Beteiligung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), der Citizen Science-Plattform science4you und der Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) hat diese Bodenbeobachtungen mit Daten europäischer Schmetterlings-Monitorings und Radardaten zu den Flugrouten der Insekten abgeglichen und so bisher unbekannte Details der Falterwanderung aufgedeckt. Ihre Ergebnisse helfen, die beeindruckenden Wanderungsbewegungen von Insekten besser zu verstehen.

Erfolgreiche Strategie: Der Blüte folgen

Distelfalter nutzen die jahreszeitlich schwankenden Nahrungsquellen in Europa optimal aus: Sie überwintern in den Steppen Nordwestafrikas und wandern im Frühjahr, wenn die Dürre ihre Futterpflanzen dort knapp werden lässt, nordwärts bis nach Skandinavien. Sie folgen so dem jährlichen Zyklus der Hauptblütezeit. Auf ihrem Weg machen sie in vielen Ländern Europas Rast. Wenn im Herbst die Temperaturen im Norden sinken, treten sie ihre Rückreise an. Einzelne Falter können dabei mehrere tausend Kilometer zurücklegen. 

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Die Raupen des Distelfalters nehmen die Temperatur- und Lichtbedingungen der Umgebung wahr und wissen so, ob sie als Falter nach Norden oder Süden fliegen müssen (Quelle: © Harald Süpfle / wikipedia.de; CC BY-SA 3.0)

Die Raupen des Distelfalters nehmen die Temperatur- und Lichtbedingungen der Umgebung wahr und wissen so, ob sie als Falter nach Norden oder Süden fliegen müssen (Quelle: © Harald Süpfle / wikipedia.de; CC BY-SA 3.0)

Vom Winde geweht

Im Frühjahr wurden die Distelfalter häufiger in Bodennähe gesichtet als im Herbst. Radarmessungen zeigten, dass die Falter vor allem im Herbst gezielt bestimmte Luftströmungen ausnutzen und teilweise in Höhen von bis zu 1.000 Metern unterwegs sind. Sie lassen sich vom Wind tragen. Mit solchen Radardaten konnten britische Wissenschaftler erstmals auch die Anzahl der ein- und auswandernden Falter bestimmen: Im Frühjahr 2009 überquerten etwa 11 Millionen Distelfalter den Ärmelkanal Richtung Norden, im Herbst verließen 26 Millionen die britischen Inseln südwärts. 

Reise mit Zwischenstopp

Die Strecke von Afrika bis nach Skandinavien überwinden die Falter in Etappen. Dabei paaren und vermehren sie sich kontinuierlich. Die Nachkommen wandern weiter in für sie günstige Gebiete ab, denn kühle Temperaturen überleben sie nicht. Der Richtungswechsel der Falter erfolgt im Juli. Während in diesem Monat noch einige im Mittelmeerraum geschlüpfte Falter Richtung Norden aufbrechen, beginnt in Zentral- und Nordeuropa bereits die Rückreisewelle. Viele Tiere schaffen den Weg über die Alpen nicht rechtzeitig. Gletscher dokumentieren solche missglückten Überquerungsversuche. Tote Distelfalter findet man hier öfter in größerer Zahl. 

Aber wie gelingt es der Art ganz Europa zu durchqueren, wenn das Leben eines einzelnen Falters gerade einmal 10 bis 24 Tage lang ist? Die Falter sind in der Lage, ihre Reiseroute über Generationen aufrechtzuerhalten. Vermutlich können die Schmetterlingslarven Temperatur- und Lichtverhältnisse in ihrer Umwelt wahrnehmen, vielleicht sogar Informationen zur Entwicklungsphase ihrer Wirtspflanzen. Anhand dieser Informationen wissen die entstehenden Falter, ob sie nach Norden oder Süden fliegen müssen. Die Abreise beginnt bereits bevor die Bedingungen in einer Region für die Art lebensbedrohlich werden, also das Wetter zu kalt oder die Nahrung knapp wird. Die Falter müssen den Jahreszeitenwandel also antizipieren können. Für die Reise nordwärts braucht die Art bis zu vier Generationen, für die Rückreise aufgrund günstiger Winde nur zwei. 

Niederschläge begünstigten Massenwanderung in 2009

Die beobachtete Massenwanderung der Distelfalter im Jahr 2009 hängt vermutlich mit umfangreichen Niederschlägen zusammen, die die Vegetation in den Überwinterungsgebieten in Afrika zum richtigen Zeitpunkt haben wachsen lassen. Die Raupen fanden so ausreichend Nahrung, was die massenhafte Vermehrung der Art begünstigte.

Ein Modell für migrierende Insekten

Distelfalter sind gut angepasste Migranten. Sie ernähren sich je nach besiedeltem Gebiet von einer Vielzahl verschiedener Pflanzenfamilien und können so in verschiedenen Habitaten überleben. Zu ihrer bevorzugten Speise zählen Disteln und Brennnesseln. Ihr breites Nahrungsspektrum und ihre Fähigkeit, sich über das Jahr kontinuierlich zu vermehren, teilen die Falter mit bedeutenden Agrarschädlingen, auch wenn sie selbst keine Gefahr für die Landwirtschaft darstellen. Die Wanderung des Distelfalters kann daher als ein Modell für die Erforschung anderer migrierender Insektenarten in den gemäßigten Regionen der Erde dienen.

„Citizen Science“ ist Wissenschaft zum Mitmachen

Die Studie wurde erst durch das Engagement der ehrenamtlichen Naturbeobachter ermöglicht, die sich in ganz Europa im Rahmen verschiedener Erfassungsprogramme aktiv an wissenschaftlichen Projekten beteiligen. Erst hierdurch konnten die Wissenschaftler auf große Datensätze zur Falterwanderung zurückgreifen. In Deutschland können sich Freizeit-Forscher mit ihren Beobachtungen am Wanderfalter-Monitoring auf www.tagfalter-monitoring.de oder www.falterfunde.de beteiligen, in Österreich auf der Plattform www.naturbeobachtung.at


Quelle: 

Stefanescu, C. et al. (2012): Multi-generational long-distance migration of insects: studying the painted lady butterfly in the Western Palaearctic. Ecography 35: 001–014, DOI: 10.1111/j.1600-0587.2012.07738.x.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Distelfalter folgen der Blütezeit quer durch Europa (Quelle: © Adrian Häusler / wikipedia.de; CC BY-SA 3.0).