Die Uhr tickt im Earth BioGenome-Projekt

Wie kommt die „Sequenzierung des Lebens“ voran?

09.02.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Weltweit arbeiten Forschende am ehrgeizigen Ziel, alle eukaryotischen Arten in nur zehn Jahren zu sequenzieren. (Bildquelle: © Lutz Peter/Pixabay)

Weltweit arbeiten Forschende am ehrgeizigen Ziel, alle eukaryotischen Arten in nur zehn Jahren zu sequenzieren. (Bildquelle: © Lutz Peter/Pixabay)

Im Rahmen des Earth BioGenome-Projekts sollen alle bekannten eukaryotischen Arten in nur zehn Jahren sequenziert werden. Ende 2020 startete das Mammutprojekt in die erste von drei Sequenzierungsphasen. Die Beteiligten berichten nun, was bisher passiert ist und wo die Herausforderungen liegen. Es wird keine leichte Aufgabe!

Das Earth BioGenome-Projekt (EBP) ist das größte und eines der ehrgeizigsten wissenschaftlichen Projekte in der Geschichte der Biologie: Es zielt das darauf ab, Referenzgenome aller bekannten Eukaryoten innerhalb von zehn Jahren zu veröffentlichen. Das umfasst nicht weniger als 1,8 Millionen Pflanzen-, Tier- und Pilzarten sowie einzellige mikrobielle Eukaryoten.

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Ziel des Earth BioGenome-Projekts ist es, ein Referenzgenom von allen bekannten 1,8 Millionen Eukaryoten zu erstellen. Pflanzen stehen beispielsweise im „10 000 Plants Genome Project (10KP)“ im Fokus.

Ziel des Earth BioGenome-Projekts ist es, ein Referenzgenom von allen bekannten 1,8 Millionen Eukaryoten zu erstellen. Pflanzen stehen beispielsweise im „10 000 Plants Genome Project (10KP)“ im Fokus.

Bildquelle: © Nko / wikimedia.org / CC BY 3.0

Warum das Ganze?

„Es ist zu befürchten, dass die Erde bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Hälfte ihrer biologischen Vielfalt verlieren wird, wenn keine Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und zum Schutz der globalen Ökosysteme ergriffen werden“, sagt Harris Lewin, Vorsitzender des Projektlenkungsausschusses und Professor für Evolution und Ökologie an der University of California, Davis.

In dieser Situation soll das EBP maßgeblich unterstützen. Mit den gewonnen Daten können grundlegende ökologische und andere biologische Fragestellungen besser verstanden, wertvolle Ressourcen erhalten und für praktische Anwendungen nutzbar gemacht werden. Doch auch für medizinische Zwecke und die Seuchenbekämpfung können die genetischen Informationen nützlich sein. So will das assoziierte „Global Virome Project“ neue Viren entdecken, die eine pandemische Bedrohung darstellen könnten.

Doch wie geht es voran? Um den Stand des Projektes zu beleuchten, veröffentlichte die Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) nun eine Sonderausgabe mit zehn Artikeln zum EBP.

Von den Anfängen zum ersten ambitionierten Phasenziel

Das EBP startete im November 2018 und wurde als internationales „Netzwerk von Netzwerken“ konzipiert. Das bedeutet, dass unter dem Dach des EBP viele große und kleine Projekte parallel an der Sequenzierung unterschiedlicher Arten arbeiten.

Zunächst mussten wissenschaftliche Qualitätsstandards und Strategien definiert und eine Plattform für den regelmäßigen Austausch der Beteiligten etabliert werden. Um das alles zu koordinieren, wurden in der zweijährigen „Aufwärmphase“ ein Projektlenkungsausschuss und weitere Fachausschüsse beispielsweise für ethische Fragen gegründet.

Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Projektkonsortien dazu. Mittlerweile arbeiten im EBP 49 verschiedene Projekte zusammen – insgesamt rund 5 000 Wissenschaftler:innen und technisches Personal von 44 Mitgliedsinstitutionen in 22 Ländern. Damit sind alle Kontinente, außer die Antarktis, im Projekt vertreten.

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Auch Tier- und Pilzarten sowie einzellige mikrobielle Eukaryoten werden dabei sequenziert.

Auch Tier- und Pilzarten sowie einzellige mikrobielle Eukaryoten werden dabei sequenziert.

Bildquelle: © Jim Cooper / Pixabay

2020 begann die erste heiße Phase des Mammutprojektes, in dem die Sequenzierungen nun in größerem Maßstab erfolgen. Das ist auch nötig, denn bis Ende 2023 soll von jeder taxonomischen Familie ein annotiertes Referenzgenom vorliegen. Das macht rund 9.400 Arten. Bislang haben die einzelnen Projekte Referenzgenome von rund 200 Familien geliefert. Bis zum Jahresende sollen über 3 000 weitere Referenzgenome folgen, inklusive Assemblierung und Annotation. Doch selbst dann wäre erst ungefähr ein Drittel des Ziels der ersten Sequenzierungsphase erreicht. Die Zeit drängt!

Es gibt zahlreiche Hürden

Um das Ziel der ersten Phase zu erreichen, müssten die beteiligten Projekte fortan neun Genome pro Tag entschlüsseln. Aber das ist nicht das Ende der Fahnenstange. In der zweiten Phase ist die Analyse von 123 Genomen pro Tag geplant, in der finalen Phase sogar eine weitere Verzehnfachung der Kapazitäten.

Auch wenn durch technologische Fortschritte die Genomanalysen immer schneller und günstiger geworden sind, braucht das EBP für die anstehenden Aufgaben noch eine stark optimierte technische Infrastruktur, einen verstärkten Wissenstransfer zwischen den Projektgruppen und zusätzliche finanzielle Förderung.

Pflanzen im Fokus

Und Genom ist nicht gleich Genom. So manche Arten machen besonders viel Arbeit, insbesondere die Pflanzen (Kress et al., 2022): Deren Genome können von wenigen Megabasen bis hin zu über hundert Gigabasen groß sein. Sie enthalten mehr Gene als beispielsweise Wirbeltiere und geizen nicht mit repetitiven Sequenzen und sogenannten springenden Genen (Transposons) – Arbeit ohne Ende.

Bis heute sind die Genome von gerade mal gut 800 Pflanzenarten entschlüsselt. Bedenkt man, dass es schätzungsweise 450 000 bis 500 000 Arten gibt, ist das ein recht überschaubarer Anteil. Über 70 Prozent aller Blütenpflanzen sind noch nicht genetisch entschlüsselt, vor allem Wildpflanzen. Doch gerade sie sind ein bedeutender genetischer Schatz, der bislang sträflich vernachlässigt wurde.

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Ziele des Earth BioGenome-Projekts

  • Phase 1: Ein annotiertes Referenzgenom für einen Vertreter jeder taxonomischen Familie von Eukaryoten (∼ 9 400 Arten) in 3 Jahren.
  • Phase 2: Referenzgenome für einen Vertreter jeder Gattung (~ 180 000 Arten) in den Jahren 4 bis 7.
  • Phase 3: Referenzgenome für die restlichen 1,65 Millionen bekannten eukaryotischen Arten in den letzten 3 Jahren des Projekts.

Eine weitere Schwierigkeit ist, überhaupt an das Pflanzenmaterial zu kommen. Botanische Gärten und Genbanken könnten hier verstärkt mitwirken, ebenso Länder mit hoher Biodiversität. Diese müssten für ihren Beitrag ausreichend finanziell honoriert werden, wie es im Nagoya-Protokoll festgelegt wurde.

Ein weiteres Problem: die Qualität der Sequenzierungen. Im EBP-Projekt hat man den Anspruch, vollständige und hochwertige Referenzgenome zu erzeugen. Ein „Referenzgenom“ stammt in der Regel von einem einzelnen Individuum und bietet eine erste Grundlage für den Vergleich mit anderen Individuen dieser Art und anderen Spezies. Doch selbst hier ist bislang nicht einheitlich definiert, welche Daten im Einzelnen dafür vorzuliegen haben.

Und viele Experten sprechen sind mittlerweile dafür aus, dass Pangenome die besseren Referenzgenome sind. Doch dafür müssten pro Referenzgenom nicht nur ein Individuum sequenziert werden, sondern Dutzende bis Hunderte Individuen einer Art. Forschungen dazu laufen und haben erste Erfolge in wichtigen Getreiden verbucht (siehe: „Vielfalt wird sichtbar“).

Trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen sind die Beteiligten zuversichtlich – sie glauben an den Erfolg. Gutes Gelingen für dieses epochale Projekt!


Weiterführende Inhalte:

Quellen:

  • Kress, W.J. et al. (2022): Green plant genomes: What we know in an era of rapidly expanding opportunities. In: PNAS 2022, 119 (4) e2115635118, (25. Januar 2022), doi: 10.1073/pnas.2115640118.
  • Lewin, H.A. et al. (2022): The Earth BioGenome Project 2020: Starting the clock. In: PNAS 2022, 119 (4) e2115635118, (25. Januar 2022), doi: 10.1073/pnas.2115635118.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Weltweit arbeiten Forschende am ehrgeizigen Ziel, alle eukaryotischen Arten in nur zehn Jahren zu sequenzieren. (Bildquelle: © Lutz Peter/Pixabay)