Eine Frage des Geschmacks
Bäume erkennen, wer an ihnen frisst
Pflanzen sind für viele Tiere, aber auch für Mikroorganismen, eine Nahrungsquelle. Auch mechanischen Belastungen durch Wind, Schnee oder Regen sind sie ausgesetzt. Sie haben gelernt, zu unterscheiden, wer an ihnen frisst und wann welche Gegenmaßnahme sinnvoll ist. Denn jede Gegenmaßnahme kostet wichtige Ressourcen und Energie. Am Beispiel von Bäumen haben Forscher den Verbiss durch Rehe genauer unter die Lupe genommen. So sind Bäume in der Lage, den Verbiss durch Rehe von anderen Einwirkungen zu unterscheiden. Auf den Verbiss reagieren sie mit gezielten Gegenmaßnahmen.
Rehe (Capreolus capreolus L.), aber auch andere Pflanzenfresser können durch Verbiss bei jungen Baumspösslingen großen Schaden anrichten. Besonders auf die Knospen und jungen Triebe haben es die Frassfeinde abgesehen. Gerade sie sind für das Wachstum der Bäume wichtig, um im Kampf um eine optimale Lichtausbeute im dichten Wald zu bestehen. Buche (Fagus sylvatica L.), Bergahorn (Acer pseudoplatanus L.) & Co. können, wie alle Pflanzen vor ihren Feinden nicht flüchten. Um diesen Nachteil auszugleichen, entwickelten sich in der Pflanzenwelt Strategien, mit denen sich die Flora gegen Prädatoren zu Wehr setzt.
Rehverbiss am Speichel erkannt
Biologen der Universität Leipzig und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) haben herausgefunden, dass Bäume unterscheiden können, ob ihre Zweige nur durch einen Windstoß abgeknickt wurden oder durch Rehverbiss Schaden genommen haben. Die Pflanze erkennt das knabbernde Wild am Speichel. Ist dies der Fall, werden spezifische Abwehrmechanismen in Gang gesetzt.
Forscher imitierten Rehe
Für ihre Untersuchungen brachen die Forscher Knospen und Blätter von Buchen und Bergahorn ab. In einigen Fällen träufelten sie anschließen Rehspeichel auf die offenen Stellen und untersuchten die Hormon- und Phenolzusammensetzung in den Pflanzen. Unabhängig, ob Rehspeichel appliziert wurde oder nicht, konnten die Forscher Jasmonate nachweisen. Jasmonsäuren dienen als Botenstoffe für Wachstums- und Entwicklungsprozesse von Pflanzen.
Nur bei den Proben mit Rehspeichel konnte zusätzlich das Phytohormon Salicylsäure nachgewiesen werden. Salicylsäure führt zu einer erhöhten Zellteilung, offenbar, um die Verluste durch den Verbiss zu kompensieren. Außerdem führte die Applikation von Rehspeichel zu einer erhöhten Biosynthese von Gallotanninen. Zu den Gallotanninen gehören Gerbstoffe und Flavonoide. Diese Bitterstoffe sollen den Rehen den Appetit verderben und diese vom weiteren Fressen abhalten. Die Biosynthese dieser Appetithemmer muss relativ schnell, aber auch gezielt an den Fraßstellen und an den benachbarten Leckerbissen erfolgen.
Auf der Suche nach wehrhaften Exemplaren
In Zukunft wollen die Forscher weitere Baumarten auf ihre Abwehrstrategien untersuchen. Spannend wäre auch die Frage, ob ähnliche Strategien beim Befall von Pilzen oder Bakterien greifen oder ob für Mikroorganismen andere Abwehrstrategien gelten. Von anderen Pflanzenarten ist bekannt, dass die Signalwege zur Abwehr von Feinden konserviert und breit angelegt sind. Nur ausgewählten Spezialisten gelingt es, diese zu umgehen. Durch die vorgestellte Forschung können effektive Abwehrmaßnahmen entwickelt werden. Diese könnten gezielt zu einem verbesserten Wald- oder allgemein zu einem verbesserten Pflanzenschutz beitragen. Speziell für die Forstwirtschaft stellt der Verbiss durch Rehe, aufgrund eines großen Bestandes, ein wachsendes Problem für die Forstwirtschaft dar. Tiere, wie Rehe oder Wildschweine, gehören zu den Gewinnern unserer Kulturlandschaften.
Quelle:
Ohse, B. et al. (2016): Salivary cues: simulated roe deer browsing induces systemic changes in phytohormones and defence chemistry in wild-grown maple and beech saplings. In: Functional Ecology, (8. August 2016), DOI: 10.1111/1365-2435.12717.
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Titelbild: Pflanzenfresser wie Rehe haben es besonders auf die Knospen und jungen Triebe von Bäumen wie dem Bergahorn abgesehen. (Bildquelle: © AnRo0002/wikimedia.org; CC0)