Wenn die innere Uhr aus dem Takt gerät

Circadianer Stress bei Pflanzen entdeckt

01.09.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Wie eine echte Uhr aus vielen Rädchen und Federn besteht, setzt sich auch die biologische Uhr aus einer Vielzahl einzelner Komponenten zusammen. (Bildquelle: © iStock.com/ Ryhor Bruyeu)

Wie eine echte Uhr aus vielen Rädchen und Federn besteht, setzt sich auch die biologische Uhr aus einer Vielzahl einzelner Komponenten zusammen. (Bildquelle: © iStock.com/ Ryhor Bruyeu)

Eine Veränderung des Tag-Nacht-Rhythmus‘ kann bei Pflanzen Stress auslösen: circadianen Stress. Denn Pflanzen stimmen ihre physiologischen und entwicklungsbedingten Prozesse auf den Tagesverlauf ab. Kommt es zu einer Veränderung des Licht-Dunkel-Rhythmus, so wirkt sich das negativ auf die innere Uhr der Pflanzen aus. Das Pflanzenhormon Cytokinin spielt beim Schutz vor diesem Stress eine wichtige Rolle.

Stress ist bei weitem kein rein menschliches Problem. Auch Pflanzen können unter Stress leiden, und zwar ganz erheblich. Nimmt der Stress, den beispielsweise pflanzenfressende Insekten oder widrige Umweltbedingungen auslösen können, zu sehr überhand, können sogar einzelne Teile der Pflanze absterben. In den vergangenen Jahren sind viele Mechanismen, mit denen Pflanzen sich gegen diese Einflüsse zur Wehr setzen und ihr Überleben sichern, erforscht worden, jedoch entdecken Wissenschaftler nur sehr selten eine neue Art von Stress.

Circadianen Stress entdeckt

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Circadianer Stress: Ein Defekt der inneren Uhr oder zu wenig vom Hormon Cytokinin führt bei verändertem Lichtrhythmus in der Modellpflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand) zum Zelltod. Links eine nicht gestresste Pflanze, rechts eine Pflanze nach Stress.

Circadianer Stress: Ein Defekt der inneren Uhr oder zu wenig vom Hormon Cytokinin führt bei verändertem Lichtrhythmus in der Modellpflanze Arabidopsis (Ackerschmalwand) zum Zelltod. Links eine nicht gestresste Pflanze, rechts eine Pflanze nach Stress.

Bildquelle: © Silvia Nitschke

In diesem Fall kam ihnen der Zufall zur Hilfe. Bei Reparaturarbeiten an Pflanzenwachstumskammern entdeckten die Wissenschaftler, dass sich die Pflanzen in diesen Kammern ungewöhnlich verhielten: Auf die Umstellung des Licht-Dunkel-Rhythmus' reagierten Pflanzen, denen zu anderen Versuchszwecken das Pflanzenhormon Cytokinin fehlte oder bei denen der Cytokinin-Stoffwechselweg gestört war, mit absterbenden Blättern – ein Symptom von extremem Stress. Die genauere Untersuchung dieses Zufallsfundes führte zur Entdeckung einer bislang bei Pflanzen völlig unbekannten Form von Stress, für den die Wissenschaftler die lateinische Bezeichnung „circadian“ prägten. Circadian bedeutet „ringsum den Tag, den Tagesrhythmus betreffend“.

Morgen- und Abendgene unterdrücken sich gegenseitig je nach Tageszeit

Wie wir Menschen besitzen auch Pflanzen eine innere Uhr. Sie wird vor allem vom Tag-Nacht-Rhythmus, aber auch von den wechselnden Temperaturen bzw. klimatischen Verhältnissen im Laufe der Jahreszeiten beeinflusst. „Wie eine echte Uhr aus vielen Rädchen und Federn besteht, setzt sich auch die circadiane Uhr aus einer Vielzahl einzelner Komponenten zusammen“, erläutert Studienautorin Silvia Nitschke von der Freien Universität Berlin. „Dazu gehören verschiedene Gene, darunter auch Transkriptionsfaktoren.“ Diese Transkriptionsfaktoren steuern, wann bestimmte Gene abgelesen und in Proteine übersetzt werden. So unterdrücken beispielsweise die Transkriptionsfaktoren CIRCADIAN CLOCK ASSOCIATED1 (CCA1) und LATE ELONGATED HYPOCOTYL (LHY) am Morgen die Übersetzung von Genen, die für Prozesse am Abend gebraucht werden, wie zum Beispiel das Gen TIMING OF CAB EXPRESSION1 (TOC1). Im Gegenzug unterdrückt TOC1 die Expression der Morgengene.

Ist die circadiane Uhr der Pflanzen richtig eingestellt, koordiniert sie verschiedene Stoffwechsel-Prozesse optimal in Abhängigkeit von der Tageszeit. Sie hat unter anderem Einfluss auf die Pflanzenhormone, die wiederum das Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen kontrollieren. Zu diesen Hormonen zählt auch Cytokinin, das unter anderem bei der Zellteilung und Zelldifferenzierung in Wurzeln und Sprossspitzen eine wichtige Rolle spielt.

Cytokinin ist wichtige Stellschraube

Leiden Pflanzen unter Cytokinin-Mangel, reagieren sie auf einen stark veränderten Licht-Dunkel-Rhythmus mit ausgeprägten Stresssymptomen. Untersuchungen der Wissenschaftler zeigten: Blätter dieser Pflanzen bekamen nekrotische Flecken und starben schließlich ab. Auf Pflanzen mit normalem Cytokinin-Haushalt hatten die Versuchsbedingungen hingegen keinen ausgeprägten Einfluss.

Bei Pflanzen mit Cytokinin-Mangel sind die Gene CCA1 und LHY bei circadianem Stress kaum aktiv. Infolgedessen ist das Funktionieren der inneren Uhr stark eingeschränkt. In Kontrollpflanzen mit normalem Cytokinin-Gehalt lief die innere Uhr hingegen auch bei circadianem Stress fast unbeirrt weiter. Cytokinin ist also notwendig, um auf einen veränderten Licht-Dunkel-Rhythmus angemessen reagieren zu können.

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Wissenschaftler haben eine neue Form von Stress bei Pflanzen entdeckt: Der „circadiane Stress“, wird durch eine Veränderung des Tag-Nacht-Rhythmus‘ ausgelöst.

Wissenschaftler haben eine neue Form von Stress bei Pflanzen entdeckt: Der „circadiane Stress“, wird durch eine Veränderung des Tag-Nacht-Rhythmus‘ ausgelöst.

Bildquelle: © Angelina Ströbel / pixelio.de

Jasmonsäure führt zum programmierten Zelltod

Der circadiane Stress führte auch zu starken Veränderungen beim Jasmonsäure-Stoffwechsel der Pflanze. Das Pflanzenhormon Jasmonsäure reguliert das pflanzliche Wachstum und die Entwicklung der Pflanze. Außerdem ist Jasmonsäure an der Reaktion auf biotischen und abiotischen Stress beteiligt. Sie spielt eine Schlüsselrolle in der pflanzlichen Abwehr von Fressfeinden und Pathogenen, sowie in der Wundregulation der Pflanze.

Versuche der Wissenschaftler zeigten, dass die Aktivierung des Jasmonsäure-Stoffwechsels bei Pflanzen mit defektem Cytokinin-Stoffwechsel ausschlaggebend für den darauffolgenden Zelltod ist. Bei Mutanten ohne Jasmonsäure-Stoffwechsel blieb der Zelltod bei Pflanzen mit defektem Cytokinin-Stoffwechsel bei circadianem Stress nahezu aus. Der programmierte Zelltod ist also auf den Jasmonsäure-Stoffwechsel angewiesen.

Extrembedingungen zeigen Zusammenhänge auf

Obwohl die im Labor genutzten Bedingungen in der Natur so nicht auftreten, konnten die Forscher aus ihren Experimenten wichtige Erkenntnisse ableiten. Sie konnten zeigen, dass Cytokinin ein wichtiger Bestandteil im Räderwerk der circadianen Uhr ist und vermuten, dass dieses Hormon vor allem unter Stressbedingungen dabei hilft, die Funktion des inneren Zeitgebers aufrechtzuerhalten. So wird sichergestellt, dass Prozesse, die von der inneren Uhr gesteuert werden, auch unter Stress optimal ablaufen. Die Versuche zeigten außerdem, dass die Pflanze bei circadianem Stress den programmierten Zelltod über Jasmonsäure einleitet.

In der Natur sind vor allem Pflanzen, die in hohen Breitengraden, also nahe den Polen wachsen, von sich ändernden Tag-Nacht-Rhythmen und von Temperaturschwankungen betroffen.


Quelle:
Nitschke, S. et al. (2016): Circadian Stress Regimes Affect the Circadian Clock and Cause Jasmonic Acid-Dependent Cell Death in Cytokinin-Deficient Arabidopsis Plants. In: Plant Cell, 28(7):1616-39, (27. Juni 2016) doi: 10.1105/tpc.16.00016.

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Titelbild: Wie eine echte Uhr aus vielen Rädchen und Federn besteht, setzt sich auch die biologische Uhr aus einer Vielzahl einzelner Komponenten zusammen. (Bildquelle: © iStock.com/ Ryhor Bruyeu)