Genetischer und Geografischer Ursprung der Gerste aufgeklärt

Kulturgerste ist zwei Mal unabhängig voneinander gezüchtet worden

12.08.2015 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Spindelbrüchigkeit bei Gerste. (Bildquelle: © Takao Komatsuda)

Spindelbrüchigkeit bei Gerste. (Bildquelle: © Takao Komatsuda)

Kreuzt man westeuropäische mit ostasiatischen Gerstensorten, so kann es passieren, dass ihre Nachkommen keine stabilen Ähren ausbilden. Nanu? Eine Kulturpflanze ohne ihr höchstes Gut, ihre Spindelfestigkeit, die es ermöglicht sie effektiv zu ernten? Der Grund dafür ist, dass die Ährenfestigkeit der Kulturformen der Gerste in beiden Regionen auf jeweils einem von zwei komplementären Genen beruht. Die Identität dieser Gene und der Ursprung ihrer Mutation konnte kürzlich identifiziert werden. Die Forschung rund um die Nutzpflanze Gerste schreitet weiterhin in rasantem Tempo voran und schafft Grundlagen für die verbesserte Züchtung anderer Getreidearten, wie z. B. Weizen.

Wer versucht, die Urform der Gerste zu ernten, der muss viel Zeit mitbringen. Denn sobald die Körner erntereif sind, fallen sie von der Ähre ab und verteilen sich auf dem Boden. Für die Verbreitung der Pflanze ist das optimal. Für die Menschen ist das jedoch sehr mühselig. Bevor es die Kulturgerste gab müssen unsere Vorfahren sehr geduldig gewesen sein, die Gerstenkörner wieder und wieder vom Boden zusammen zu klauben, um aus den energiereichen Samen Fladen zu backen. Vor etwa 12000 Jahren dann begannen die ersten Bauern, Gerste anzubauen. Dabei verwendeten sie vornehmlich das Saatgut solcher Pflanzen, die zufällig ihre Samen auch in der Reife noch fest an der Ähre hielten. Die Ernte wurde so im Verlauf der folgenden Jahrhunderte effektiver – die Gerste wurde zur Kulturpflanze.

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Die Gerste stammt aus dem sogenannten fruchtbaren Halbmond, der sich von Israel über Syrien und die Südosttürkei bis in den Nordirak und dem nördlichen Teil des Iran erstreckt. In manchen Definitionen wird auch der Norden Ägyptens mit dazu gezählt.

Die Gerste stammt aus dem sogenannten fruchtbaren Halbmond, der sich von Israel über Syrien und die Südosttürkei bis in den Nordirak und dem nördlichen Teil des Iran erstreckt. In manchen Definitionen wird auch der Norden Ägyptens mit dazu gezählt.

Bildquelle: © O.Mustafin/wikimedia.org; CC0 1.0

Schon seit dem frühen 20. Jahrhundert sind Wissenschaftler dem genetischen und geografischen Ursprung der kultivierten Gerste (Hordeum vulgare ssp. vulgare) auf der Spur. Sie ist weltweit die viertwichtigste, in Deutschland nach Weizen die zweitwichtigste Getreideart. Eine große wirtschaftliche Bedeutung hat sie heute vor allem als Tierfutter und als Grundlage für die Bier- und Whiskeyproduktion. Je genauer man die Evolution der Gerste versteht, desto gezielter kann man Sorten weiter verbessern. Da die Gerste dem Weizen sehr ähnlich ist (beide gehören zur taxonomischen Gruppe der Triticeae), ihr Genom aber weitaus weniger komplex ist als das hexaploide Weizengenom, hat die Gerste für die Weizenforschung eine wichtige Modellfunktion.

2011 wurde der Grundstein dafür gelegt, das Gersten- und Weizengenom vollständig zu sequenzieren – eine große Herausforderung, denn beide Genome sind deutlich größer als das des Menschen. Nachdem ein Jahr später die genetischen Unterschiede von Winter- und Sommergerste geklärt wurden, legten Wissenschaftler kürzlich einen weiteren Meilenstein: Sie identifizierten den genetischen Ursprung des wichtigsten Domestikationsmerkmals der Gerste, ihrer Spindelfestigkeit, und beschrieben erstmals die konkrete Funktion der beteiligten komplementären Gene. Außerdem konnten sie zeigen, dass die ersten Züchtungen einer spindelfesten Gerste unabhängig voneinander stattgefunden haben, dass also unsere heutigen Gerstensorten aus zwei Ursprungslinien hervorgingen.

Gerste aus dem fruchtbaren Halbmond

Die Gerste stammt aus dem sogenannten fruchtbaren Halbmond, der sich von Israel über Syrien und die Südosttürkei bis in den Nordirak und dem nördlichen Teil des Iran erstreckt. Hier haben die Züchtungen sesshaft werdender Bauern vor etwa 12.000 Jahren die Gerste zu einer der ersten Kulturpflanze überhaupt gemacht. An unterschiedlichen Orten säten sie bevorzugt die Samen der Pflanzen aus, deren Ähren die Samen bis zur Reife festhielten – ohne zu wissen, dass sie mit ihrer Selektion zwei bereits damals etwa 40.000 Jahre alte Mutationen in den komplementären Genen btr1 und btr2 auf dem Chromosom H3 bevorzugten. Die mutierten Pflanzen waren schlicht und einfach besser zu ernten und dadurch ertragreicher.

Zwei kleine Mutationen

Die Wildgerste entlässt ihre Samen sobald sie reif sind. Hierfür bildet sie eine Furche zwischen Ähre und dem Grund des Ährchens, das den Samen fixiert. Die beiden komplementären Gene Btr1 und Btr2 sind für die Ausbildung der Furche notwendig. Nur, wenn beide in dominanter Form vorliegen (Btr1Btr2), kann die Furche ausgebildet werden.

In der Kulturgerste liegen die Gene nicht dominant vor, sondern jeweils eines ist rezessiv (btr1-Typ: btr1Btr2; btr2-Typ: Btr1btr2). Dadurch verlieren die Gene ihre Funktion – die Furche wird nicht mehr ausgebildet. Stattdessen bleiben die Samen fest an der Ähre verhaftet und fallen nicht aus.

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Gerste ist weltweit die viertwichtigste, in Deutschland nach Weizen die zweitwichtigste Getreideart. Eine große wirtschaftliche Bedeutung hat sie heute vor allem als Tierfutter und als Grundlage für die Bier- und Whiskeyproduktion.

Gerste ist weltweit die viertwichtigste, in Deutschland nach Weizen die zweitwichtigste Getreideart. Eine große wirtschaftliche Bedeutung hat sie heute vor allem als Tierfutter und als Grundlage für die Bier- und Whiskeyproduktion.

Bildquelle: © Rainer Sturm/pixelio.de

Kürzlich identifizierte ein internationales Forscherteam die Mutation, die dieser Funktionsänderung zugrunde liegt: Eine Deletion. In beiden kultivierten Gerstenlinien fehlen Basenpaare, im btr1-Typ eines, im btr2-Typ sogar elf. Mit den fehlenden Basen in der Erbsubstanz ging auch die ursprüngliche Funktion der Gene verloren. In der Arbeitsgruppe von Dr. Jochen Kumlehn am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben konnte der funktionale Beweis im Umkehrschluss geführt werden. Durch das Einbringen einer nichtmutierten Genvariante aus der Wildgerste in eine Kulturgerste wurde die Verankerung der Körner in der Ähre und damit deren Eignung für den Ackerbau aufgehoben.

Die Forscher zeigten auch, warum die Furche in der Kulturgerste nicht ausgebildet wird: Die Zellwand wird nicht ausreichend verdickt. Hierin also liegt die Funktion der beiden Gene: Btr1 und Btr2 kontrollieren die Zellwanddicke an einem speziellen Teil der Ähre. Aufgrund der Punktmutation(en) initiieren die beiden Gene nicht mehr die Ausbildung einer dicken Zellwand, die die leichte Abkopplung des Samens von der Ähre erlauben würde.

Genetischer und Geografischer Ursprung

Eine umfangreiche Analyse von Haplotypen der Wildgerste, in der die Fundorte der verschiedenen Individuen berücksichtigt wurden, zeigte ein eindeutiges Muster der geografischen Ausbreitung. Die Linie des Typs btr1 führt zurück an die südliche Levante, die südöstliche Mittelmeerküste (heutiges Israel, Libanon, Syrien) und Zentralasien. Die Linie des Typs btr2 wurde vermutlich später und in der nördlichen Levante gezüchtet. Archäologische Funde stützen die These, dass wilde Gerste noch vor der Domestizierung in der südlichen Levante früher kultiviert wurde als im nördlichen.

Vermutungen, die noch untersucht werden wollen

Bereits die enge Nachbarschaft der beiden Gene deutet darauf hin, dass sie für Proteinprodukte kodieren, die zur Kontrolle der Zellwandverdickung aufeinander angewiesen sind bzw. aufeinander aufbauen. Zum Beispiel wäre es möglich, dass ein Gen für einen Rezeptor und das andere für dessen Liganden kodiert. Diese Vermutung zu überprüfen, steht noch aus. Anhand dieser Ergebnisse kann nun auch untersucht werden, ob in verwandten Getreidearten wie Weizen und Roggen ähnliche Mutationen durch die Züchtung bevorzugt wurden oder ob die Evolution ihrer Spindelfestigkeit ganz andere Überraschungen birgt.


Quelle:

Pourkheirandish et al. (2015): Evolution of the Grain Dispersal System in Barley. In: Cell 162: 527–539 (30. Juli 2015), doi: 10.1016/j.cell.2015.07.002.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Spindelbrüchigkeit bei Gerste. (Bildquelle: © Takao Komatsuda)