Genmanipulationen sind natürlicher als gedacht
Neue Erkenntnisse und Verfahren können auch Akzeptanz fördern
Viele Menschen in Europa lehnen gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich ab. Zu groß ist die Angst vor artfremden Genen in Nahrung und Umwelt. Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass Genmanipulation bei Nutzpflanzen sogar in der Natur vorkommt. Aber auch neue technologische Verfahren können die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöhen.
Im 21. Jahrhundert scheint sich die Erde mehr im Aufbruch zu befinden denn je. Mit der rasant wachsenden Weltbevölkerung stieg auch der CO2-Gehalt in der Atmosphäre und veränderte bereits spürbar das Klima. Wassermangel, Umweltverschmutzung und extreme Wetterverhältnisse sind zu den Hauptherausforderungen der modernen Landwirtschaft geworden. Um die erwarteten 9,5 Milliarden Menschen im Jahr 2050 ernähren zu können, scheint Erfindungsreichtum gefragt zu sein. Denn bisherige Maßnahmen zur Ertragssteigerung reichen nicht aus und sind mehr und mehr ausgereizt. Gentechnisch veränderte Pflanzen aus den Laboren weniger Großkonzerne stoßen vor allem bei der europäischen Bevölkerung auf heftigen Widerstand. Groß ist die Angst vor fremden Genen in der Nahrung, die bei dieser Technologie unumgänglich sind. Auch Patente auf lebende Organismen wie Nahrungspflanzen werden in diesem Zusammenhang immer wieder diskutiert. Den Forschern kommen bei ihrer Argumentation die Erkenntnisse der Genomforschung zu Gute.
Genmanipulation: Keine Erfindung der modernen Molekularbiologie
Transgener Mais, Bt-Baumwolle und Co. sind trotz der mangelnden Akzeptanz in Europa bereits weltweit verbreitet. Weltweit machen diese den größten Teil der angebauten Sorten aus. In einer aktuellen Studie konnten Wissenschaftler nun zeigen, dass Genmanipulation keinesfalls eine Erfindung der modernen Molekularbiologie ist und Menschen bereits seit Jahrhunderten genmanipulierte Nahrung zu sich nehmen. Unter den Nutzpflanzen des Menschen gibt es nämlich auch natürliche transgene. Eine Vertreterin ist die Süßkartoffel.
Bakteriengene bleiben normalerweise in den Zellen des Befallsorts
Eines der Hauptwerkzeuge für Molekularbiologen ist Agrobacterium tumefaciens, ein Bakterium, das auch unter natürlichen Bedingungen Erbgutübertragungen durchführt, um Stoffwechselwege der Wirtspflanzen den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Dieses Konzept machen sich Gentechniker im Labor gezielt zu Nutze: Sie bauen in den von den Agrobakterien übertragenen Genabschnitt diejenigen Gene ein, die sie in eine Zielpflanze einbauen wollen. Nach erfolgreicher Übertragung bilden sich transgene Zellen, aus denen die Forscher mit Hilfe von in vitro-Methoden anschließend vollständige Pflanzen herstellen können. Sie tragen dann in allen ihren Zellen das transferierte Erbgut. Bisher ging man davon aus, dass genau das bei der natürlichen Genmanipulation der Agrobakterien an ihren Wirtspflanzen nicht passiert. Die Bakteriengene bleiben normalerweise in den Zellen des Befallsorts und werden nicht an die nächste Generation der Wirtspflanze weitergegeben.
Doch das ist zumindest bei verschiedenen Kulturformen der Süßkartoffel (Ipomoea batatas) offenbar nicht der Fall. Denn im Genom der Süßkartoffel fanden die Forscher aktives, genetisches Material von Agrobakterien. Der Studie zufolge handelt es sich um Gene, die für Pflanzenhormone codieren. Diese wiederum erhöhen die Empfindlichkeit der Süßkartoffel gegenüber verschiedener Wachstumsregulatoren.
Anbauvorteil durch natürliche Genmanipulation
Die Studienautoren vermuten, dass die einst natürlicherweise übertragenen Gene die kultivierten Sorten der Süßkartoffel positiv beeinflusst haben. Denkbar wäre, dass sie sich durch die neuen Eigenschaften leichter anbauen ließen und deshalb bei der Zucht bevorzugt wurden. Zweifelsfrei würde der Mensch aber seit Jahrtausenden natürlich entstandene, transgene Pflanzen essen. Für die Forscher ein Beweis, dass Gentransfer weitaus natürlicher ist als oftmals propagiert. Ob dieses neue Wissen Verbreitung findet und die Akzeptanz der Technologie erhöhen wird, bleibt abzuwarten. Seit mehreren Jahrzehnten wissen Forscher, dass Genome immer aus Bestandteilen von Genomen unterschiedlicher Arten bestehen. Das menschliche Genom wird größtenteils aus DNA gebildet, die aus Viren und Bakterien stammt. Die öffentlich geführten Diskussionen haben diese Erkenntnisse bisher nicht beeinflusst.
Die neuen Helden: Genome Editing Methoden
Neue molekularbiologische Methoden haben da bessere Chancen. Die Verfahren, die unter dem Begriff Genom Editierung (Engl. genome editing, Übersicht auf Pflanzenforschung.de) zusammengefasst werden, sollen die Pflanzenzucht nun revolutionieren. Mit ihnen lassen sich bestimmte Orte im Genom eine Pflanze punktgenau verändern. Pflanzen werden dadurch widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Umwelteinflüsse oder einfach nur gesünder für den Menschen.
Genmanipulation ohne Spuren im Erbgut
Pflanzen-Genetiker von der University of Minnesota arbeiten aktuell an einer Kartoffel, die bei kalter Lagerung keine Zuckerstoffe produziert. Das macht die Kartoffel haltbarer und gesünder, denn beim Frittieren entsteht weniger der mutmaßlich krebserregenden Stoffes Acrylamid. Die Genom Editierungsmethode TALENs hinterlässt im Erbgut dieser Kartoffel nichts weiter als ein paar wenige, gelöschte DNA-Bausteine, wie sie auch bei natürlichen Mutationen vorkommen können. Als Folge davon wird ein einzelnes Gen ausgeschaltet, dessen Gen-Produkt Saccharose in Glukose und Fruktose umwandelt. Ohne dieses Gen lässt sich die Kartoffeln ohne Qualitätsverluste länger lagern.
Viele unserer Nutzpflanzen haben komplexe Genome, die sich durch Züchtung nur über große Zeitspannen hinweg verändern lassen. Um beispielsweise einen Zitrusbaum an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, bräuchte man etwa 150 Jahre. Ob die Umweltbedingungen nach dieser langen Zeit dann noch dieselben sind, bleibt fraglich.
„Genome Editing“ bietet gleich mehrere große Vorteile: Mit den neuen Methoden entwickelte Pflanzen lassen sich nicht mehr von den klassisch gezüchteten unterscheiden, denn sie enthalten keine artfremden Gene (Transgene). Die Verfahren sind schnell anwendbar, die Kosten für die Laborarbeiten und die Zulassung auch für kleinere Unternehmen finanzierbar. Damit könnte das „Genome Editing“ schon bald zu einem Routineverfahren mausern, mit dem sich Pflanzen rasch und kostengünstig an sich ständig ändernde Umweltbedingungen anpassen lassen.
Quellen:
- Clasen, B.M. et al. (2015): Improving cold storage and processing traits in potato through targeted gene knockout. In: Plant Biotechnol J. (7. April 2015) [Epub ahead of print], doi: 10.1111/pbi.12370.
- Kyndt, T. et al. (2015): The genome of cultivated sweet potato contains Agrobacterium T-DNAs with expressed genes: An example of a naturally transgenic food crop. In: Proc Natl Acad Sci U S A. (20. April 2015) [Epub ahead of print], doi: 10.1073/pnas.1419685112.
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Titelbild: Bei der Süßkartoffel konnten Wissenschaftler eine natürliche Genmanipulation nachweisen. (Bildquelle: © Bill - Fotolia.com)