Angst vor Veränderung
Wie Intuition und Emotionen Technik-Debatten prägen
Forscher hinterfragen die Gründe für die mehrheitliche Ablehnung bestimmter Technologien am Beispiel der Gentechnik. Fündig werden sie im Reich der Emotionen. Hinzu kommt: Im Kampf um die Deutungshoheit ist jedes Mittel recht. Kann es angesichts einer festgefahrenen Debatte überhaupt eine Lösung geben?
Für die einen ist sie ein rotes Tuch. Für die anderen ebnet sie den Weg in die Zukunft. Gentechnik. Keine Frage: Die Befürworter der Anwendung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) befinden sich in der Minderheit, stets in Erklärungsnot und unter Rechtfertigungsdruck. Und das, obwohl die Zahl der Studien jährlich steigt, in denen Forscher aus aller Welt nachweisen, dass weder Mensch noch Flora oder Fauna GVO fürchten müssen. Von den Studien, in denen signifikante Vorteile in Verbindung mit GVO nachgewiesen werden, ganz zu schweigen. Soziologische und ökonomische Studien zu den Auswirkungen, wenn eine stark regulierte und damit teure Technologie zur Massenwahre in Händen weniger Großkonzerne wird, sind noch Mangelware und damit ohne Effekt in der Debatte.
Wenn es also eine große Vielzahl an naturwissenschaftlich abgesicherten Daten gibt, warum dringen diese Argumente nicht bis zur Mitte der Gesellschaft durch? Werden sie einfach überhört oder übersehen? Die Antwort von Stefaan Blancke lautet: „Wir meinen, dass es die intuitive Wahrnehmung der Welt ist, die den Menschen so anfällig gegenüber falschen Vorstellungen über die Gentechnik macht.“ Gemeinsam mit vier Kollegen widmete sich Blancke der öffentlichen Wahrnehmung von GVO. Ohne Partei zu ergreifen, weder für noch gegen die Gentechnik, drangen sie zu den Ursachen für die mehrheitlich ablehnende Haltung der Öffentlichkeit vor, indem sie eine Vielzahl von Umfragen und Studien zur Akzeptanz der Gentechnik und verwandten Themenfeldern auswerteten und zusammenfassten.
Bauchgefühl entsteht im Kopf
Auch wenn häufig vom Bauchgefühl die Rede ist. Emotionen sind, was ihre Entstehung betrifft, reine Kopfsache. Ausgestattet mit einer direkten Schnittstelle zu unseren fünf Sinnen entscheidet das Stammhirn bei jeder Sinneswahrnehmung in Sekundenbruchteilen über Ja oder Nein. Annähern oder Vermeiden? Eine Art unterbewusste Handlungsempfehlung, auch Intuition genannt. Erst im zweiten Schritt bzw. den Umweg über den präfrontalen Cortex erfolgt die bewusste, gedankliche Auseinandersetzung mit dem Wahrgenommenen. Selten ist es aber für ein Umdenken bereits zu spät. Was zählt, ist der erste Eindruck.
Im Kampf um die Deutungshoheit ist jedes Mittel recht
Genau diese menschliche „Schwäche“ können sich Gegner einer Technologie, in diesem Fall Gentechnik, im Kampf um die Deutungshoheit zunutze machen, wenn sie Bildmontagen z.B. von drei-äugigen Unken, Bananen-Fisch-Chimären oder zähnefletschende Maiskolben zur Darstellung nutzen, wie die Forscher erklären. Man darf diese Bilder getrost ins Reich der Fantasie abschieben, ihre Wirkung zu unterschätzen, wäre jedoch voreilig.
Emotionen setzen Urteilsfähigkeit herab
Es geht dabei nicht um eine Ur-Angst des Menschen vor Technologien. Schließlich sind diese weder sinnlich erfahrbar noch lang genug Gegenstand unserer Umwelt, als das der Mensch gelernt haben könnte, sie zu vermeiden. Es geht vielmehr um das Unsichtbare, Neue und Unbekannte. Komplexes, das möglichst schnell vereinfacht werden muss, um es kategorisieren zu können.
Die vorrangigen Ziele der Opposition liegen da auf der Hand: Angst erzeugen, die Urteilsfähigkeit herabsetzen, Ablehnung hervorrufen. Doch von welcher Ur-Angst ist hier die Rede?
Angst vor Veränderungen
Es geht um die Angst vor Veränderungen, so die Forscher in ihrer Analyse. Die Veränderung unserer selbst, aber auch unserer Umwelt. Im Kern geht es bei der Gentechnik um die DNA. In der Vorstellung eines Großteils der Bevölkerung repräsentiert sie die Essenz eines Wesens. Blancke spricht hier von der philosophischen Auffassung des Essentialismus. Dazu passt, dass die meisten die DNA eher als Einheit, statt als System aus vielen einzelnen Bausteinen wahrnehmen. Was wiederum unweigerlich zu der Annahme führt, dass es eine spezifische Menschen-DNA, eine Weizen-DNA, eine Tomaten-DNA usw. geben müsste.
Das Einschleusen artfremder Gensequenzen wird daher von vielen Menschen mit der Übertragung fremder Wesenszüge gleichgesetzt. Dass diese horizontale Integration artfremder DNA in der Natur eine Regel ist und „unser“ menschliches Genom ein Patchwork von Erbsubstanz aus unterschiedlichsten Organismen, inklusive Viren, die nicht einmal Lebewesen sind, ist schwer vermittelbares Faktenwissen von Forschern.
Als Beispiel ziehen die Forscher eine Meinungsumfrage aus den USA heran, in der mehr als die Hälfte der Befragten angab, dass mit Fischgenen modifizierte Tomaten unweigerlich nach Fisch schmecken würden.
Ekel-Faktor
Hinzu kommt der Ekel-Faktor. Auch diese tief in unserem menschlichen Verhalten angelegte und durch gesellschaftliche Normen manifestierte Abwehrhaltung kann am Beispiel der Gentechnik beispielhaft nachvollzogen werden. Insbesondere, wenn es um gentechnisch veränderte Lebensmittel geht, bei denen von Bakterien, Ratten oder Würmern die Rede ist, aus deren Erbgut man sich bedient hat. Lebewesen, die allgemein als dreckig gelten. Fortan gelten auch GVO nicht mehr nur als unnatürlich, sondern zudem als unappetitlich, kontaminiert und verunreinigt, als gesundheitsschädlich und giftig. Diesem kulturell und evolutionär bedingten, stark ausgeprägten Schutzmechanismus und Verhalten etwas entgegenzusetzen, dürfte eine große Herausforderung werden, so die Forscher.
transgen versus cisgen
Doch betreffen all diese Vorurteile und Reaktionen im Grunde nicht nur den transgenen Erbguttransfer? Was ist mit cisgenen Veränderungen, bei dem ausschließlich arteigene Gensequenzen neu kombiniert werden? Tatsächlich belegen Umfragen, dass der cisgene Ansatz auf weniger Vorbehalte stößt. Dennoch: Mit kräftigem Gegenwind muss weiterhin gerechnet werden. Jedoch weht er diesmal aus anderer Richtung.
Existentialismus als Hürde
Es geht um die vorherrschende Vorstellung über die Existenz eines allumfassenden und allgegenwärtigen Plans (Exisentialismus), die viele Menschen teilen. Religiöse und Atheisten gleichermaßen. Ganz egal also, ob vom göttlichen Vater oder von Mutter Natur ersonnen. Ein Plan, dem jedes Individuum und Wesen und somit jeder Prozess unterworfen ist. Und wenn es die Evolution ist. Allein der Selektionsprozess wird als ziel- und zweckorientierter, wohlmeinender Akt im Sinne aller heute lebenden Lebewesen betrachtet. Ein Großteil der Bevölkerung sieht in nahezu jedem natürlichen Phänomen diesen Plan aufgehen.
Die Büchse der Pandora
An diesem Plan zu rütteln, indem der Mensch eingreift, hieße, sich über seine Urheber zu erheben. „Gott spielen“, lautet zum Beispiel ein Vorwurf der GVO-Gegner an die Befürworter und Treiber der Gentechnik, die ihrer Meinung nach fahrlässig mit der Büchse der Pandora spielen würden. Ein Vorwurf, der auch bei nichtreligiösen Menschen verfängt und die Befürworter der Gentechnik in Misskredit bringt, sie moralisch diskreditiert und in die Defensive drängt.
Zurück auf Los
Doch was tun, wenn selbst die Fülle von Argumenten, Zahlen und Fakten keinen Weg mehr aus dem ethisch und moralisch verminten Gelände bahnt? Eigentlich, so das Fazit der Forscher, müsse von vorn begonnen werden. So gilt es einerseits, Grundwissen auf Seiten der Bevölkerung frühestmöglich aufzubauen, während andererseits die Strategie der Gentechnik-Befürworter überarbeitet werden muss.
Ihre Vorschläge: Zielgruppenorientierter, sprich verständlicher und alltagsbezogener, kommunizieren. Auf Ängste und Sorgen der Bevölkerung eingehen. Anstatt über den Prozess – transgen oder cisgen – zu reden, stärker das Resultat und die Vorteile in den Vordergrund hervorheben.
Den Kontakt nicht abreißen lassen
Insgesamt muss es darum gehen, die Bevölkerung frühzeitig mitzunehmen, wenn möglich sogar partizipieren zu lassen. Dies beginnt in der Schule, wo es die Lehrkräfte sind, die in die Pflicht zu nehmen sind. Dass auch sie Laien sind, die zuerst überzeugt und dann fit gemacht werden müssen, bevor sie zum Sprachrohr werden, darf dabei nicht vergessen werden.
Auch jenseits der Schulbank gilt es, den Kontakt nicht abreißen zu lassen, um Neugier zu wecken und Wissen zu vermitteln. Jedoch nicht in Form eines Frontalunterrichts oder einer Einbahnstraßen-Kommunikation, sondern im Dialog. Denn um auf die Bedürfnisse und Sorgen der Bevölkerung eingehen zu können, ihren Wissenstand zu erfassen, müssen sie überhaupt erst gehört werden.
Im Windschatten der Wissenschaft
Da die Entwicklung neuer Technologien häufig schleichend und unbemerkt abläuft, bevor sie schlagartig an Dynamik gewinnt, müssen im Grunde die, die an der Spitze der Entwicklung vornewegmarschieren dafür sorgen, das Feld zusammen zu halten. Anders als im Wettbewerb unter Wissenschaftlern, geht es mit Blick auf die Bevölkerung darum, sie im eigenen Windschatten mitzunehmen. Ohne Motivation und direkte Ansprache ist dies aber nicht möglich. Insbesondere je steiler der Weg und je höher das Tempo wird. Zu groß ist das Risiko, dass jene Spitzentruppe am Ende einsam im Ziel einläuft, während sich das Hauptfeld unbemerkt einem anderen Ziel zugewendet hat.
Eine gemeinsame Sprache finden
Dass die Wissenschaftler dabei jedoch selbst wieder in alte Verhaltensmuster zurückfallen, beweist, dass dies leichter gesagt ist als getan. In einem zur Veranschaulichung gedachten Beispiel der Studie, das sich beispielhaft mit der Gentechnik beschäftigt, ist zum Beispiel von „Mycotoxinen“, „Herbizidresistenzen“ und „Insektenbiodiversität“ die Rede. Grundwortschatz für angehende Biologen und Naturwissenschaftler, verständlich für einige Akademiker, Fremdwörter für die Masse. Werden so Emotionen geweckt? Verständnis und Sympathien aufgebaut?
Welche Verantwortung tragen die Medien?
Letztendlich, so stellen die Forscher fest, gehen sich Befürworter und Gegner heute größtenteils aus dem Weg, obwohl beide im Sinne des Fortschritts aufeinander angewiesen wären. Statt objektiver Meinungsbildung, werden hauptsächlich eigene Sichtweisen bestätigt, bemängeln sie. Die Frage ist berechtigt, inwiefern die Medien, die in der Studie jedoch ausgeklammert wurden, zur Verantwortung zu ziehen sind. Schließlich ist es ihr Aufrag, für eine umfassende und objektive Meinungsbildung zu sorgen.
Spiegel der Technologiedebatten
In der Debatte rund um Gentechnik spiegeln sich die Technologiedebatten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Stets trafen und treffen unterschiedliche Perspektiven und Weltbilder aufeinander, müssen Menschen mit unterschiedlichem Wissensstand und Interessen zusammenfinden, große Herausforderungen und individuelle Bedürfnisse balanciert werden.
Was sich im Verlauf der Zeit jedoch verändert hat, sind die Dimensionen. Unter anderem in puncto Tempo, Verbreitung und Durchdringung. Gerade deshalb dürfte die Notwendigkeit und Häufigkeit von Technologiedebatten nicht abnehmen. Im Gegenteil. Daher eignet sich der bisherige Verlauf der Gentechnik-Debatte geradezu als Lehrstück, um für große gesellschaftliche Debatten wie diese künftig besser gewappnet zu sein.
Tugenden des Debattierens
Es wäre als Erfolg zu werten, wenn sich alle Beteiligte fürs Erste wieder auf die ursprünglichen Tugenden des Debattierens einigen würden. Ohne am Ende ihrer Studie konkret zu werden, ist klar, an wen sich diese Kritik vorrangig richtet. Denn auch wenn dem Begriff Debatte der Konflikt innewohnt – das französische Wort débattre bedeutet so viel wie niederschlagen, gilt als oberste Regel Waffengleichheit: Erlaubt sind ausschließlich kritische, sachliche und belastbare Argumente. Möge das Bessere gewinnen!
Quelle:
- Blancke, S. et al. (2015): Fatal attraction: the intuitive appeal of GMO Opposition. In: Cell Vol. 20 (7), (10. April 2015), doi.org/10.1016/j.tplants.2015.03.011
- Blancke, Stefan (2015): Why People Oppose GMOs Even Though Science Says They Are Safe. In: Scientific American, (18. August 2015), www.scientificamerican.com/article/why-people-oppose-gmos-even-though-science-says-they-are-safe
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Titelbild:Was zählt, ist der Eindruck: Warnsignale wie diese erzeugen emotionale Reaktionen bei Menschen. (Bildquelle: © iStock.com/ Brasil2)