Giftigkeit berechnet
Lebensdauer und Wirkung von Pestiziden werden oft falsch eingeschätzt
Forscher haben die Konzentrationen von Pestiziden und das Verhalten ihrer Rückstände in der Umwelt untersucht, um ihre Gefährlichkeit besser abwägen zu können.
Weltweit werden heutzutage etwa drei Millionen Tonnen Pestizide eingesetzt, in der Regel als Pflanzenschutzmittel zur Schädlingsbekämpfung. Man schätzt, dass etwa ein Drittel davon als Rückstand im Boden verbleibt. Allerdings wurde bisher noch nicht genauer untersucht, welche Gefahr von den verschiedenen Rückständen ausgeht. Das hat jetzt eine Gruppe Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und der Technischen Universität Dänemarks nachgeholt. In einer zweiten Studie untersuchten Forscher der Universität Koblenz-Landau die Konzentrationen von Fungiziden in Gewässern und verglichen diese mit den vorgegebenen Werten, die von einem gängigen Simulationsmodell errechnet worden waren.
Große Bandbreite an Wirkungen
„Pestizid“ ist ein Oberbegriff für eine Vielzahl von Wirkstoffen, die im Pflanzenschutz unterschiedliche Funktionen erfüllen. Einige werden zur Unkrautvernichtung eingesetzt (Herbizide), andere werden gegen Schadorganismen wie Pilze oder bestimmte Insektenarten genutzt (Fungizide, Insektizide). Da die genutzten Stoffe in sehr unterschiedlichen Bereichen eingesetzt werden, unterscheiden sie sich natürlich auch in ihrer chemischen Zusammensetzung und in ihrem Verhalten in der Umwelt. Gerade bei Fungiziden ist bis heute nicht genau bekannt, wie sie sich auf die Pflanzen- und Tierwelt auswirken. Es wird aber vermutet, dass sie besonders auf Amphibien einen negativen Effekt haben könnten.
Das „Schicksal“ entscheidet über die Gefährlichkeit
Pestizide werden in der Regel als fein zerstäubte Flüssigkeit auf die Äcker ausgebracht, die sich gleichmäßig auf die Pflanzen und den Boden verteilt. Von da können sie mit den Bodenpartikeln, zum Beispiel durch den Wind oder über Niederschläge, in nahe gelegene Gewässer getragen werden. Mit dem Sickerwasser können sie tiefer in den Boden gelangen und werden dort von Bodenpartikeln unterschiedlich stark gebunden. Unter bestimmten Bedingungen können sie wieder in das Bodenwasser abgegeben („mobilisiert“) werden und weiter bis ins Grundwasser wandern. Oder sie werden von Pflanzen mit der Bodenlösung aufgenommen und gelangen so in die Nahrungskette. Manche Stoffe werden durch die im Boden lebenden Mikroorganismen abgebaut und sind anschließend in der Regel ungefährlich. Das „Schicksal“, das ein Pestizid nach dem Ausbringen im Boden erwartet, ist also mit entscheidend für die Gefahr, die von ihm ausgeht.
Was übrig bleibt
Um festzustellen, wie sich die eingebrachten Pestizide im Boden verhalten, untersuchten die Forscher verschiedene Stoffe und deren Verhalten im Boden in Form von Modellen. Sie unterteilten die Rückstände in drei Typen: Typ I klassifiziert Rückstände, die an organisches Material („Humus“) oder Tonminerale im Boden angelagert („adsorbiert“) sind, aber in den Versuchen relativ einfach wieder freigesetzt werden konnten. Rückstände vom Typ II wurden als fest gebunden definiert und waren nur schwer wieder in Lösung zu bringen. In beiden Typen sehen die Forscher eine Gefährdung für die Umwelt, da auch die fest gebundenen Rückstände unter ungünstigen Bedingungen wieder freigesetzt werden könnten. Typ-III-Rückstände wurden bereits von Mikroorganismen umgesetzt und sind als weitgehend ungefährlich einzustufen.
Über weitere Modellberechnungen ermittelten die Forscher, wie der Rückstand eines bestimmten Pestizids bei unterschiedlichen Bodenbedingungen verändert wird und in welche der drei Kategorien er daraufhin eingeordnet werden müsste. Dadurch wird eine Aussage über seine Gefährlichkeit in Bezug auf die Umweltbedingungen möglich, unter denen er eingesetzt werden soll. Über diese Modellierungen ist es den Forschern nun möglich, ein Pestizid über seine Rückstände zu bewerten und eine Aussage über seine Gefährlichkeit zu treffen. Sie hoffen, dass diese Methode in Zukunft in das Verfahren zur Zulassung neuer Pflanzenschutzmittel mit einbezogen wird, um Belastungen für die Umwelt möglichst gering zu halten.
Ungenaue Berechnungen bei Fungiziden
In der zweiten Studie verglichen Wissenschaftler die Konzentrationen von Fungiziden in Gewässern und Sedimenten mit vorgegebenen Werten, die über ein Simulationsmodell berechnet worden waren. Mit diesem Simulationsmodell FOCUS („FOrum for the Co-ordination of pesticide fate models and their USe“) wird vor der EU-Zulassung eines Wirkstoffes ermittelt, welche Menge ausgebracht werden darf, ohne ökologisch bedenkliche Konzentrationen zu erreichen. Die Berechnungen dienen der Abschätzung der Gefährdung, die durch ein Fungizid ausgeht und sind für die EU-Zulassung gesetzlich vorgeschrieben. Die Forscher verglichen die in 417 Wasser- und Sedimentproben ermittelten Werte mit den durch Berechnungen vorhergesagten Werten. Dabei zeigte sich, dass die gemessenen Werte in bis zu 23 Prozent der Fälle höher lagen als die in der Simulation berechneten. Die Abweichungen der realen Werte von denen der Simulation erreichten bis zu 30 Prozent. Die Ursache sehen die Wissenschaftler nicht in unsachgemäßer Handhabung, sondern in einem fehlerhaften Berechnungsmodell. Schon ein Jahr zuvor hatte dieselbe Gruppe von Wissenschaftlern eine ähnliche Untersuchung mit Insektiziden durchgeführt. Auch hier lagen die gemessenen Werte zum Teil erheblich über den modellierten Werten.
Großer Nachholbedarf
Daraus schließen die Forscher, dass das für die Zulassung verwendete Berechnungsverfahren ungeeignet ist, um für die Umwelt unbedenkliche Pestizidmengen zu berechnen. Sie fordern, dass die Modelle zur Berechnung regelmäßig im Feld überprüft und verbessert werden müssen. Gerade bei Pflanzenschutzmitteln, die unmittelbar in der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden, ist es erforderlich, die Zulassungs- und Überprüfungsmethoden kontinuierlich zu verbessern und zu kontrollieren. Beide Studien zeigen, dass im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln noch großer Nachholbedarf im Hinblick auf ihren Verbleib in der Umwelt und auf die Kontrolle der freigesetzten Mengen besteht.
Quellen:
Kästner, M. et al. (2013): Classification and modelling of non-extractable residue (NER) formation of xenobiotics in soil – a synthesis. In: Critical Reviews in Environmental Science and Technology (online 13. November 2013), DOI:10.1080/10643389.2013.828270.
Knäbel, A. et al (2013): Fungicide field concentrations exceed FOCUS surface water predictions: Urgent need of model improvement. In: Environmental Science & Technology, (03.December 2013), DOI: 10.1021/es4048329.
Zum Weiterlesen:
- Unterschätzte Gefahr - Sind Pestizide eine bisher unterschätzte Gefahr für Amphiben?
- Artenvielfalt in Gewässern gefährdet - Pestizide reduzieren die regionale Biodiversität
- Frösche wandern im Herbizidregen - Amphibien befinden sich bei der Ausbringung von Herbiziden wie Glyphosat auf den Feldern und nicht im Teich
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Titelbild: Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln: In der modernen Landwirtschaft sind Pestizide nicht mehr wegzudenken. (Quelle: © iStockphoto.com/simazoran)