Grüne Gentechnik
Des einen Freud, des anderen Leid
Die Diskussion über den Einsatz der grünen Gentechnik in Europa ist schon lange im Gang. Die Gemüter sind erhitzt, die Fronten verhärtet. Anfang Oktober riefen 41 namhafte, schwedische Pflanzenforscher in einem Blog zur Änderung der europäischen Gesetzgebung auf.
Im November 2011 wurde der 7 milliardste Mensch geboren. Eine Milliarde Menschen leidet Hunger, eine weitere Milliarde gilt als unterernährt. In den nächsten Jahrzehnten wird die Weltbevölkerung weiter wachsen und mit ihr die Zahl der hungernden Menschen. Begrenztes Ackerland, steigende Kosten für Energie und Düngemittel kombiniert mit dem Klimawandel werden die Menschheit vor große Herausforderungen stellen, wenn es darum geht, genügend Lebensmittel für alle zu produzieren und zu verteilen. Zahlreiche Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass moderne Technologien zur Lösung dieser Probleme beitragen könnten. Doch weite Teile der europäischen Bevölkerung, Umweltverbände, aber auch Wissenschaftler lehnen den Einsatz der grünen Gentechnik, also von gentechnisch veränderten Pflanzen, grundsätzlich ab. Diese Technologie sei unbeherrschbar, sagen die Gegner. Die Fronten sind verhärtet.
41 schwedische Pflanzenforscher forderten europäische Politiker und Umweltverbände in ihrem Blog auf, die Gesetzgebung zur Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen zu ändern. Nur dann sei eine nachhaltige Land- und Forstwirtschaft mit allem verfügbaren Wissen darüber möglich und der steigende Bedarf an Nahrungsmitteln, Kraftstoffen und sauberem Wasser überhaupt zu decken. „Die Pflanzenforschung hat gewaltige Fortschritte gemacht. Wir verstehen nun, wie Pflanzen wachsen und wie sie sich selbst gegen Krankheiten und Umweltweinflüsse schützen. Wir wissen auch, welche Faktoren die Land- und Forstwirtschaft limitieren“, schreiben die schwedischen Forscher. Die Voraussetzungen dafür habe die Grundlagenforschung geliefert, vor allem das Erforschen der Funktion und des Wechselspiels der verschiedenen Pflanzengene.
Veraltetes Gentechnikgesetz?
Die derzeitige Gentechnik-Gesetzgebung in Europa mache es jedoch unmöglich, dieses Wissen direkt zu nutzen. „Pflanzen, die gentechnisch hergestellt wurden, müssen sich sehr strengen und kostspieligen Kontrollen unterziehen“, erläutern die Wissenschaftler in ihrer Stellungnahme. Traditionell gezüchtete Pflanzen benötigen keine derartigen Sicherheitschecks. Das Argument der Wissenschaftler ist nicht neu. Sie geben zu bedenken, dass Pflanzenvariationen durch gentechnische Methoden schneller und präziser hergestellt werden können als durch konventionelle Züchtungsmethoden oder gar durch natürliche evolutionäre Prozesse. Sie erinnern daran, dass das Gentechnikgesetz von 1990 schon sehr alt ist und trotzdem immer noch besteht. Aktuelle Fortschritte der Zuchtmethoden und der wissenschaftlich-technischen Entwicklungen würden durch den gesetzlichen Rahmen nicht aufgegriffen. „Es wurde verfasst, als wir noch keine Daten über die Gefahr von gentechnisch veränderten Pflanzen hatten. Heute wissen wir, dass sie grundsätzlich nicht gefährlicher sind, als herkömmlich gezüchtete Pflanzen“, schreiben sie. Das sehen Umweltaktivisten jedoch anders. Sie halten das Risiko, das von gentechnisch veränderten Pflanzen ausgeht, grundsätzlich für unkalkulierbar.
300 Millionen Euro für Risikobewertung
500 unabhängige Forschungsgruppen seien der Risikoeinschätzung gentechnisch hergestellter Pflanzen nachgegangen, berichten die schwedischen Forscher. Dafür hätten sie, nur die durch die EU geförderten Projekte betrachtend, ca. 300 Millionen Euro Forschungsförderung erhalten. In ihrem Abschlussbericht von 2010 kommen die beteiligten Wissenschaftler zu dem Schluss, dass „gentechnisch veränderte Pflanzen nicht grundsätzlich risikoreicher sind als konventionell gezüchtete Pflanzen.“
„Wir sind Grundlagenforscher. Wir wissen, dass die gentechnischen Veränderungen in einer Pflanze leichter zu kontrollieren sind als die, die durch herkömmliche Züchtungsmethoden entstehen“, argumentieren die schwedischen Forscher. Die Gesetzgebung verhängt die Auflagen jedoch nur für gentechnisch veränderte Pflanzen. „Übertragen würde das bedeuten, dass man nur gentechnisch hergestellte Medikamente auf ihre Nebenwirkungen hin untersucht“, so die schwedischen Wissenschafter.
Nachhaltigkeit als wichtiges Argument
Ein wichtiges Argument der Gentechnikgegner ist, dass bisher noch keine derartige Pflanze auf dem Markt ist, die der Landwirtschaft zu mehr Nachhaltigkeit verholfen hat. „Bei der derzeitige Gesetzeslage wird das höchstwahrscheinlich auch nicht passieren“, entgegnen die Wissenschaftler in ihrem Blog. Krankheitsresistente Pflanzen – konventionell gezüchtet – könnten gleich angepflanzt werden. Um gentechnisch erzeugte Pflanzen mit denselben Merkmalen anbauen zu dürfen, müssen sich die Erzeuger oft mehrere Jahre gedulden. „Der Grundlagenforschung folgt die angewandte Forschung. Bis zum marktfähigen Samen kosten die ein Unternehmen sehr viel Geld“ so die Forscher. Öffentlich finanzierte Forschungsanstalten oder innovative kleinere Unternehmen seien aufgrund der Gesetzeslage gar nicht in der Lage, eine gentechnisch veränderte Pflanze zur Marktreife zu führen. Das schmälere den Wettbewerb und mache es unmöglich, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung für den Verbraucher umzusetzen. Lediglich wenige multinationale Großkonzerne seien finanziell in der Lage, diese Kosten zu schultern und ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Dies führe zu Wettbewerbsverzerrungen und fördere eine wettbewerbsfeindliche Monopolisierung.
In ihrem Blog warnen die Forscher vor der „Panikmache“, die von manchen Umweltorganisationen bezüglich der Grünen Gentechnik ausgehe. „Für viele von uns war die Organisation in Umweltschutzverbänden der Grund, warum wir Pflanzenforscher geworden sind“, erinnern sich die Wissenschaftler. „Wir wollten zu einer besseren Welt beitragen.“ Sie betrachten es als ein Alarmzeichen, dass sich inzwischen viele Pflanzenforscher von den Umweltverbänden abgewandt haben. „Wir können nicht länger antiwissenschaftlichen und populistischen Organisationen angehören“, argumentieren diese Forscher. Sie fordern die Umweltverbände auf, sich mit der Wissenschaft als „rationale und informierte Stimme“ zu vereinigen. Politiker sollten die Gesetzeslage dringend ändern. Dabei sollten die Eigenschaften einer Pflanze ausschlaggebend dafür sein, welchen Prüfungen sie sich für ihre Zulassung unterziehen muss - nicht, wie bisher, ihre Herstellungsweise.
„Wir möchten NICHT, dass alle Tests für gentechnisch hergestellte Pflanzen hinfällig werden“, betonen die Forscher am Ende ihrer Stellungnahme. Potentiell toxische oder allergie-auslösende Pflanzen sollten weiterhin staatlich und unabhängig kontrolliert werden. Aber dies solle für alle Pflanzen gelten, auch für die konventionell gezüchteten.
„Wir wünschen uns, dass alle Bauern auf der Welt auf Samen zurückgreifen können, mit denen eine maximal wasser- und energieeffiziente und chemikalienfreie Land- und Forstwirtschaft möglich ist. Die aktuelle Gesetzgebung lässt das nicht zu“, schließen die schwedischen Wissenschaftler ihren Aufruf.
Quelle:
Jansson, S. (2011): Quasi-science prevents an environmentally friendly agriculture and forestry. In: Forskarbloggen, (5. Oktober 2011).
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