Hochstapler

Aeroponische vertikale Farmen besitzen großes Potenzial

11.08.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Querschnitt einer 1 ha großen vertikalen Weizenfarm, in der 10 Ebenen Weizen angebaut werden – vom Samen bis zur Ernte. (Bildquelle: © Gregory Kiss, Senthold Asseng, and Paul P.G. Gauthier)

Querschnitt einer 1 ha großen vertikalen Weizenfarm, in der 10 Ebenen Weizen angebaut werden – vom Samen bis zur Ernte. (Bildquelle: © Gregory Kiss, Senthold Asseng, and Paul P.G. Gauthier)

In vertikalen Farmen können Pflanzen unter optimale Bedingungen wachsen. Bislang sind die Systeme jedoch mit hohen Kosten verbunden. Sinkende Energiekosten und weitere Forschung zur Optimierung der pflanzlichen Produktivität könnten das ändern.

Die Technologisierung der Landwirtschaft schreitet derzeit rasant voran. Auf die Spitze getrieben wird dies in sogenannten vertikalen Farmen, geschlossenen und stapelbaren Anbausystemen mit exakt steuerbaren Kultivierungsbedingungen. Laut einer neuen US-Studie sorgen derzeit die hohen Infrastruktur- und Technologiekosten noch dafür, dass derartige Systeme selten wirtschaftlich sind – oftmals sogar noch sehr weit davon entfernt.

Jedoch wird bei der Betrachtung der Wirtschaftlichkeit auch schnell die externalisierten Kosten und Subventionen der konventionellen Landwirtschaft übersehen. Und andererseits gibt eine ganze Reihe von Vorteilen, die für vertikale Farmen sprechen: so werden weder Böden noch Grundwasser belastet, die Produktion ist unabhängig von Jahreszeiten und klimatischen Gegebenheiten, Transportwege in die Städte können kürzer sein und es sind keine fruchtbaren Böden erforderlich. Außerdem lassen sich Pathogene aussperren und Nährstoffe recyceln.

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So könnte sie aussehen: Querschnitt einer 10-stöckigen vertikalen Weizenfarm, in der 100 Ebenen  Weizen angebaut werden.

So könnte sie aussehen: Querschnitt einer 10-stöckigen vertikalen Weizenfarm, in der 100 Ebenen  Weizen angebaut werden.

Bildquelle: © Gregory Kiss

Mehrere Ernten pro Jahr

Ein weiterer Clou der vertikalen Farmen besteht darin, natürliche Limitationen zu umgehen. Ein Forschungsteam hat dieses Potenzial unlängst am Beispiel Weizen durchgerechnet. Dessen normaler Hektarertrag liegt bei schlechter Versorgung unter einer Tonne pro Hektar und Jahr bzw. über zehn Tonnen unter günstigen Bedingungen. Den höchsten durchschnittlichen Ertrag eines Landes weist Irland mit neun Tonnen pro Hektar und Jahr auf, die höchste je gemessene Ernte eines einzelnen Feldes betrug 17 Tonnen pro Hektar.

Was aber wäre, wenn die normale Wachstumssaison sich nicht über acht bis elf Monate erstreckte, sondern nur 70 Tage dauern würde? Bei konstanten 23 °C wäre das der Fall – und statt nur einer wären auf derselben Fläche fünf Ernten pro Jahr möglich. Zusammen mit den Vorteilen einer künstlichen Beleuchtung und optimalen Bewässerung könnte der theoretische Ertrag in einem beheizten Gewächshaus so auf etwa 70 Tonnen pro Hektar und Jahr ansteigen.

24 Stunden Wachstum pro Tag

Genaugenommen kann Weizen sogar 24 Stunden am Tag Licht für die Photosynthese und damit für sein Wachstum nutzen – unter künstlichen Bedingungen kein Problem. Zusätzlich könnte eine künstlich erhöhte CO2-Konzentration in einer vertikalen Farm für einen weiteren Wachstumsschub sorgen. Durch diese beiden Maßnahmen ließe sich der Jahreshektarertrag weiter auf etwa 114 Tonnen erhöhen. Gelänge es jetzt noch, den Ernteindex, also den Gewichtsanteil der Körner an der oberirdischen Biomasse, im Gewächshaus so hoch zu halten wie auf dem Feld – was bislang nicht der Fall ist –, wäre ein theoretischer Weizenertrag von 194 Tonnen je Hektar und Jahr möglich. Durch genetische Optimierungen und weitere Verbesserungen der zeitlichen und räumlichen Steuerung der Umweltbedingungen im Gewächshaus wäre ein solches Ziel nicht illusorisch.

Hinzu kommt nun noch der Stapeleffekt der vertikalen Farmen: Eine Ebene einer solchen Farm müsste etwa einen Meter hoch sein, um zumindest zwergwüchsige Kultivare inklusive der darüber liegenden Technik unterzubringen. Eine zehn Ebenen hohe Anlage würde dann auf einem Hektar Grundfläche bis zu 1.940 Tonnen Ertrag pro Jahr produzieren – und das direkt in Metropolen oder selbst dort, wo sonst vielleicht öde Böden einen Getreideanbau unvorstellbar machen würden.

Optimierung auf Kosten-Nutzen-Verhältnis

Noch schätzen Experten, dass die Kosten eines solchen Systems um ca. 90 Prozent sinken müssten, um bei den heutigen Marktpreisen von Weizen profitabel zu sein. Allerdings sähe das schon besser aus, wenn ein System nicht wie in der Studie auf maximalen Ertrag, sondern auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis optimiert würde.

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Video: "inFarming® – Landwirtschaft in einer anderen Dimension"

Videoquelle: Fraunhofer UMSICHT/youtube.com

Schon heute gibt es in deutschen Supermärkten kleine hydroponische vertikale Farmen, in denen Kräuter und Salat angebaut werden. Auch das Bundesforschungsministerium fördert eine Reihe von Vorhaben in diese Richtung, darunter CUBES. Ein weiteres Beispiel ist das vom Bundesumweltministerium unterstützte Projekt inFARMING des Fraunhofer UMSICHT-Instituts.

Die Zukunft – und damit auch die bessere Wirtschaftlichkeit – dürfte aeroponischen vertikalen Farmen gehören. Während in hydroponischen Systemen die Wurzeln von Wasser umspült und mit Nährstoffen versorgt werden, wachsen in aeroponischen Systemen die Wurzeln in der Luft. Die Nährstoff- und Wasserversorgung erfolgt über Aerosole, 10 bis 100 Mikrometer durchmessende Tröpfchen in der Luft. Das spart Betriebskosten und verbessert zugleich die Produktivität.

Aerosole bringen Wasser und Nährstoffe

Die Aerosole bilden einen Film auf den Wurzeln. Einfluss auf diesen Film haben beispielsweise die Art und Anzahl der Wurzelhärchen und damit verbunden die Größe der Tröpfchen. Beides muss daher für jede Anbausorte individuell abgestimmt werden, um die Produktivität zu optimieren. Haarlose Wurzeln dürften am schlechtesten geeignet sein, um sich über Aerosole zu versorgen.

Eine Belüftung der Wurzeln verhindert außerdem eine Anreicherung gasförmiger Hormone wie Ethylen, die das Wachstum inhibieren. Außerdem ist sämtlicher Sauerstoff für die Wurzeln zumindest theoretisch zugänglich, während in hydroponischen Systemen der gelöste Sauerstoff variieren kann und genau beobachtet werden muss, um nicht zum limitierenden Faktor zu werden. Als optimal haben sich – zumindest für Gurke und Tomate – Sauerstoffkonzentrationen an der Wurzel von 35 Volumenprozent erwiesen. Solche Daten gibt es bislang jedoch nur für wenige Nahrungspflanzen.

CO2-Versorgung und Temperaturoptimum

Ebenso beeinflusst eine optimale Konzentration von CO2 das Wachstum positiv, weil sie die RuBisCO-Konzentration erhöht und die Pflanze vor Lichthemmung bewahrt. Dabei ließen sich sogar die Konzentrationen an den Tagesrhythmus der Pflanzen anpassen, um jederzeit eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Generell könnte man die Versorgung mit Licht und Nährstoffen ideal auf die circadiane Rhythmik abstimmen.

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Auch hier werden Pflanzen vertikal angebaut - bereits in der Praxis.

Auch hier werden Pflanzen vertikal angebaut - bereits in der Praxis.

Bildquelle: © LettUs Grow

Nicht zuletzt lassen sich die Wurzeln optimal temperieren – Salat beispielsweise auf 20 °C –, um eine möglichst große Wurzeloberfläche für eine effiziente Nährstoffversorgung entstehen zu lassen. Wenn der aeroponische Anbau jedoch die Wurzelmorphologie verändert, kann das je nach Kulturart unterschiedliche Effekte auf die Nährstoff- und Wasseraufnahme haben. Arten mit dickerer hydrophober Barriere bräuchten erhöhte Nährstoffkonzentrationen in den Aerosoltröpfchen.

Wissenslücken bei Exsudaten und Mikrobiom

Wenig verstanden ist der Einfluss der Wurzelexsudate. Manche fördern, andere hemmen das Wachstum. Hier ist weitere Forschung dringend erforderlich, da die Nährstoffe innerhalb aeroponischer Farmen über längere Zeit im geschlossenen System recycelt werden. Auch könnten sich die physikochemischen Eigenschaften der Nährlösungen verändern, wenn sie zu Aerosolen zerstäubt werden.

Bescheiden ist auch der Wissensstand darüber, wie sich aeroponische Systeme auf die mikrobielle Gemeinschaft an und in den Wurzeln auswirken. Erste Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Proteobakterien dort dominieren und dass manche Bakterienarten unter aeroponischen Bedingungen schlicht nicht kultivierbar sind. Gleichzeitig eröffnet der Ansatz die Möglichkeit, bestimmte nützliche Mikroorganismen bereits auf die Samen aufzubringen und so das künftige Wurzelmikrobiom zu prägen.

Weitere Forschung unerlässlich

Je nach Kultur haben aeroponische Anbausysteme schon heute höhere Ertragspotenziale gegenüber dem hydroponischen oder konventionellen Anbau. Der Mehrertrag reicht in Studien von 19 Prozent bei Basilikum bis zu 65 Prozent bei Rotkohl. Auch größere Wurzeln bei Maniok und kürzere Reifezeiten bei Kartoffeln wurden beobachtet. Die Zahl der Kartoffelknollen stieg in aeroponischen Systemen um 70 Prozent gegenüber dem hydroponischen Anbau. Allerdings lag das Knollengewicht um 30 Prozent darunter, ebenso verlängerte sich die nötige Reifedauer, was statt zwei Anbauzyklen im Jahr nur einen ermöglicht hätte.

Bislang sind diese Studien jedoch kaum miteinander vergleichbar, da keine standardisierten Bedingungen hinsichtlich Parametern wie CO2-Gehalt, Temperatur und auch Sortenwahl vorliegen. Um das Potenzial aeroponischer vertikaler Farmen voll ausschöpfen zu können, sind daher noch eine Menge offener Fragen zu klären.


Quelle:

  • Eldridge, B.M. et al. (2020): Getting to the roots of aeroponic indoor farming. In: New Phytologist, online, (24. Juni 2020), doi: 10.1111/NPH.16780.
  • Asseng, S. et al. (2020): Wheat yield potential in controlled-environment vertical farms. In: PNAS, (27. Juli 2020), doi: 10.1073/pnas.2002655117.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Querschnitt einer 1 ha großen vertikalen Weizenfarm, in der 10 Ebenen Weizen angebaut werden – vom Samen bis zur Ernte. (Bildquelle: © Gregory Kiss, Senthold Asseng, and Paul P.G. Gauthier)