Kuriose Pflanzenwelt: Telegraphenpflanzen

Rätselhafte pflanzliche Signale im Minutentakt

21.07.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Telegraphenpflanzen werden auch als tanzende Pflanzen bezeichnet. (Bildquelle: © iStock.com/Gheorhge)

Telegraphenpflanzen werden auch als tanzende Pflanzen bezeichnet. (Bildquelle: © iStock.com/Gheorhge)

Sie bewegt ihre Blätter im rhythmischen Takt und reagiert sogar auf Musik. Das brachte der Telegraphenpflanze auch die Bezeichnung „tanzende Pflanze“ ein. Doch was die Signale aus dem Pflanzenreich bedeuten, ist bisher ein Rätsel.

Diese tropische Pflanze ist in Asien weit verbreitet und hat viele Namen: Indische Telegraphenpflanze, Semaphorenpflanze oder tanzende Pflanze. Der botanische Namen lautet Codariocalyx motorius. In ihrer Heimat Indien heißt sie auch „Bon Charal“ – das hat die Bedeutung „Tanzen zum Klatschen der Hände“. Unabhängig von der Schreibweise drücken alle Namen aus, was an der Pflanze so besonders ist: Die Blätter können sich auch ohne Zutun des Windes schnell und rhythmisch bewegen.

Wie sehen die Bewegungen aus?

Die Blätter sind aus Blättchen zusammengesetzt, die man Fiedern nennt. Jedes Blatt besitzt eine große Endfieder und ein oder zwei kleine Seitenfiedern. Beide bewegen sich, aber auf unterschiedliche Weise.

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Die Blätter sind aus Blättchen zusammengesetzt, die man Fiedern nennt. Jedes Blatt besitzt eine große Endfieder und ein oder zwei kleine Seitenfiedern. Beide bewegen sich, aber auf unterschiedliche Weise.

Die Blätter sind aus Blättchen zusammengesetzt, die man Fiedern nennt. Jedes Blatt besitzt eine große Endfieder und ein oder zwei kleine Seitenfiedern. Beide bewegen sich, aber auf unterschiedliche Weise.

Bildquelle: © Ks.mini / wikimedia.org / CC BY-SA 3.0

Die Endfiedern bewegen sich nach der Tageszeit und folgen demnach dem circadianen Rhythmus: Abends senken sich die Blättchen nach unten, bis sie fast senkrecht nach unten hängen und morgens heben sie sich wieder nach oben, bis sie waagerecht stehen.

Ganz anders die kleinen Seitenfiedern: Sie heben und senken sich und rotieren dabei alle drei bis fünf Minuten in elliptischen Kreisen. Die Seitenfiedern folgen damit einer schnelleren, einer ultradianen Rhythmik. Diese Bewegungen nehmen zu, wenn die Temperatur oder Lichtintensität steigt. Das Auf und Ab ist dabei so schnell, dass man es tatsächlich in Echtzeit verfolgen kann.

Das brachte der Pflanze auch ihren Namen ein: Diese Bewegungen erinnern an einen optischen Telegraphen – Signalgeber, die man vor der Erfindung der Funkverbindung oder Telefonie zur Übermittlung von Nachrichten nutzte. Diese Anlagen (auch Semaphoren genannt) hatten schwenkbare Signalarme, die je nach Ausrichtung für unterschiedliche Buchstaben standen und Text-Nachrichten erstmals schnell über größere Distanzen übermitteln konnten.

Warum aber wird sie „tanzende Pflanze“ genannt?

Die Bewegungen der Seitenfiedern können auch von Schallwellen und Musik ausgelöst werden. Allerdings scheint die Pflanze da ein wenig wählerisch zu sein: Sie reagiert auf instrumentale Livemusik. Berichten zufolge ignoriert sie aber elektronische Musik.

Wie können sich die Blätter auf und ab bewegen?

Für die Bewegungen gibt es Blattgelenke, die zwischen Fieder und Stiel sitzen. In ihnen befinden sich zahlreiche Motorzellen. Durch Turgoränderungen schrumpfen und schwellen sie an – das senkt oder hebt die Fiederblättchen. Diese Bewegungen von Pflanzenorganen nennt man auch Nastien – sie werden von äußeren Reizen ausgelöst und erfolgen unabhängig von der Richtung der Reize.

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Zeitraffer-Video von den Bewegungen der Telegraphenpflanze.

Videoquelle: © TrueDarkAn9el / youtube.com

Was interessiert Pflanzenforscher:innen an diesen Pflanzen?

Bisher ist noch nicht geklärt, warum die Seitenfiedern der Telegraphenpflanzen diese schnellen Bewegungen ausführen. Es gibt dazu viele Vermutungen: Ein Kommunikationsmittel zwischen den Pflanzen, eine optimale Ausrichtung der Blätter an das Sonnenlicht oder zum besseren Ableiten von Regenwasser. Andere denken, dass die Gelenke Mineralstoffe durch die Pflanze pumpen – die Blattbewegungen wären dann nur ein kurioser Nebeneffekt.

Oder die Blattbewegungen sind Teil einer Verteidigungsstrategie, um Fraßfeinde zu überlisten: Sie erinnern an langsame Flügelschläge von Schmetterlingen. Anfliegende Artgenossen könnten „denken“, dass die Pflanze bereits von anderen Tieren zur Eiablage ausgewählt wurde. Damit entkommt die Pflanze den gefräßigen Raupen, die aus den Eiern schlüpfen würden. Sie könnten auf der anderen Seite auch Insektenjäger anlocken, die dann Jagd auf tatsächliche Blattschädlinge machen. Diese Form der Täuschung nennt man auch Mimikry. So richtig überzeugen diese Hypothesen alle noch nicht, das Rätsel muss noch gelöst werden.

Bewegungen, auch schnelle, sind aber nichts Ungewöhnliches im Pflanzenreich. Schon Charles Darwin hat sich damit beschäftigt und seine Erkenntnisse im Buch „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ festgehalten. Bekannte Beispiele sind Mimosen (Mimosa pudica) oder die fleischfressende Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula), die aber beide – anders als die Telegraphenpflanze – lediglich auf Berührungen reagieren. Venusfliegenfallen sind bereits gut erforscht. Man fand sogar heraus, dass sie rechnen können. Mehr dazu kann hier nachgelesen werden.


Quellen:

  • Trautmann, A. (2018): Geheimnisvolle Pflanzenwelt – Verborgenes in der Natur entdecken. Mainz: Andrea Michaela Trautmann, ISBN 978-1-9770-1914-1.
  • Lev-Yadun, S. (2013): The enigmatic fast leaflet rotation in Desmodium motorium: butterfly mimicry for defense? In: Plant Signaling & Behavior, 8(6):e24473, (19. April 2013), doi: 10.4161/psb.24473.
  • Engelmann, W. (2009): Wie Pflanzen wachsen und sich bewegen. Tübingen: Institut für Botanik.
  • Sharma, V.K. et al. (2003): Light-Dependent Changes in the Leaflet Movement Rhythm of the Plant Desmodium gyrans. In: Z Naturforsch C J Biosci, (Februar 2003), doi: 10.1515/znc-2003-1-215.
  • Botanische Gärten der Universität Bonn: Die Telegraphenpflanze. (Abgerufen am: 15.07.2021)

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Telegraphenpflanzen werden auch als tanzende Pflanzen bezeichnet. (Bildquelle: © iStock.com/Gheorhge)