Immer der Sonne nach
Eine ausgeklügelte Taktik bewirkt die Ausrichtung junger Sonnenblumen
Forscher fanden heraus, wie junge Sonnenblumen der Sonne folgen – und warum ältere das nicht mehr tun.
Sonnenblumen (Helianthus annuus) sind das klassische Symbol für die Sonne. Neben ihren „sonnigen“ Blütenständen sind sie bekannt dafür, dass die Blütenstände junger Pflanzen sich immer der Sonne zuwenden (Heliotropismus bzw. Phototropismus). Allerdings nutzen sie nicht den dafür üblichen Mechanismus, der bei anderen Pflanzen mit diesen Eigenschaften zu finden ist. Forscher untersuchten daher in einer neuen Studie, wie Sonnenblumen ihre Blütenstände bewegen und wodurch die Bewegungen gesteuert werden.
Heliotropismus und circadiane Rhythmen
Die Blütenstände der jungen Sonnenblumen folgen tagsüber der Sonne von Ost nach West und drehen sich nachts wieder von West nach Ost zurück, um den Sonnenaufgang zu erwarten. Andere Pflanzenarten haben ebenfalls die Fähigkeit, Organe wie Blätter oder Blüten der Sonne zuzuwenden und ihren Weg über den Himmel zu verfolgen. Dafür besitzen sie spezielle Zellen, die sogenannten Motorzellen. Sie befinden sich in verdickten Bereichen (Pulvini) des Stiels oder am Ansatz von Blättern. Durch das aktive Einschleusen von Kaliumionen wird bei Bedarf der Wanddruck der Zelle (Turgor) erhöht und dadurch die Zelle verlängert, was letztlich eine Bewegung bewirkt. Die Pflanze richtet sich dabei nach dem Licht: Dort wo wenig Licht hinkommt, steigt der Wanddruck, so dass sich das Blatt oder die Blüte aus dem Schatten heraus und zur Sonne hinbewegt.
Sonnenblumen besitzen keine Motorzellen und führen die Bewegungen trotzdem aus. Daher interessierte es die Forscher, wie und wodurch diese Bewegungen ausgelöst und gesteuert werden. Eine Möglichkeit dafür sind die sogenannten circadianen Rhythmen, die es der Pflanze ermöglichen, sich auf alle 24 Stunden wiederkehrende Ereignisse (zum Beispiel den Sonnenaufgang) einzustellen und ihre Prozesse darauf abzustimmen. Ein Beispiel ist das Öffnen der Blüten am Morgen. Circadiane Rhythmen werden bei Pflanzen über spezielle lichtempfindliche Pigmente (Photorezeptoren) gesteuert.
Sonnenblumen aus dem Takt gebracht
Um hinter die Gründe für die Bewegungen der Sonnenblumen zu kommen, setzten die Forscher Versuchspflanzen auf rotierende Plattformen oder fixierten die Stiele, um die Pflanzen daran zu hindern, der Sonne zu folgen. Die so beeinflussten Pflanzen wiesen am Ende des Versuches einen geringeren Zuwachs an Biomasse auf als die Kontrollpflanzen, die Ausrichtung auf die Sonne förderte bei jungen Sonnenblumen offenbar das Wachstum und brachte ihnen so einen Vorteil.
Als nächstes wurden Sonnenblumen in Klimakammern mit einer Lichtquelle konstant von oben „besonnt“. Die Forscher beobachteten nun die Bewegungen der Pflanzen: Sie behielten noch für ein paar Tage ihre Bewegungen auch ohne die normale Sonnenbewegung bei, bis sie schließlich schwächer wurden.
In einem weiteren Versuch wurde ein 30-Stunden-Tag simuliert (20 Stunden Licht, 10 Stunden Dunkelheit). Das brachte die Sonnenblumen komplett aus dem Takt: Die maximale Westwärtsbewegung passte nicht mehr mit dem „Sonnenuntergang“ zusammen und die Rückbewegung während der Dunkelheit war ebenfalls nicht mehr korrekt.
Aus den Ergebnissen beider Versuche schlossen die Forscher, dass die Bewegungen der Sonnenblumen vermutlich zu einem Teil von einem circadianen Rhythmus gesteuert werden und zum anderen direkt auf Umwelteinflüsse, in diesem Fall das Sonnenlicht, reagieren.
Wo ist der Motor?
Da Sonnenblumen nicht über Motorzellen verfügen und nur im Wachstum befindliche Pflanzen diese Bewegungen ausführen, vermuteten die Forscher, dass wechselseitiges Wachstum am Stiel für die Bewegungen verantwortlich sein könnte. Dafür wählten sie kleinwüchsige Mutanten der Sonnenblume (dwarf2), die keine wachstumsfördernden Gibberelline produzieren, daher nicht wachsen und sich auch nicht nach der Sonne richten. Nach Versorgung mit Gibberellinen von außen wuchsen die Pflanzen normal und zeigten auch den erwarteten Heliotropismus. Wachstum ist bei Sonnenblumen laut Forscher also der „Motor“ der Bewegung.
In einem weiteren Versuch wurden bei Feldpflanzen die Stiele markiert und mittels Zeitraffer die Streckung ausgewertet. Tatsächlich wuchsen die Stämme an der Ostseite bei Tage stärker als an der Westseite und umgekehrt. Die Forscher folgerten daraus, dass die unterschiedlichen Wachstumsraten für die Bewegungen der Pflanzen verantwortlich sind.
Auxine als Auslöser
Um die Auslöser des wechselseitigen Wachstums zu entdecken, suchten die Forscher nach Genen, die diese Rhythmen steuern könnten. Es wurden zwei Gene entdeckt, die zwar den benötigten zeitlichen Rhythmus abbildeten, aber sie wurden nicht zu den entsprechenden Zeiten an den richtigen Stellen des Stieles exprimiert. Dagegen konnte die Expression von zwei weiteren Genen, die in anderen Pflanzen in phototropen Bewegungen involviert sind, an den entsprechenden Stellen des Stieles nachgewiesen werden. Diese Gene regeln die Zellstreckung und sind von der Konzentration des Phytohormons Auxin abhängig. Auxine haben zudem eine wichtige Funktion bei der Reizübertragung im Phototropismus. Daraus folgerten die Forscher, dass Auxine je nach Sonnenstand in den betreffenden Bereichen des Stieles verteilt werden und dadurch die entsprechenden Gene für die Zellstreckung aktiviert werden. Die circadiane Rhythmik regelt den Auxin-Spiegel, so dass hier der Nachweis für die Involvierung der „inneren Uhr“ gefunden werden konnte.
Ausblick nach Osten
Wenn die Pflanzen erwachsen werden, verlangsamt sich die Bewegung zusammen mit dem geringer werdenden Wachstum. Ausgewachsene Pflanzen richten ihre Blütenstände nach Osten aus und fixieren sie in dieser Ausrichtung. Die Forscher untersuchten, welcher Mechanismus das bewirkt und ob es den Pflanzen einen Vorteil bringt. Für dieses Experiment trainierten sie zunächst junge Pflanzen auf einen „16-Stunden-Tag“ (16 Stunden Licht, 8 Stunden Dunkelheit).
Zu verschiedenen Tageszeiten bestrahlten sie die Pflanzen mit Licht einer blauen Wellenlänge. Sie fanden heraus, dass Pflanzen, die morgens mit dem blauen Licht bestrahlt wurden, sich stärker zur Lichtquelle hinneigten als Pflanzen, die nachmittags bestrahlt wurden. Daraus folgerten die Forscher, dass der für phototropische Bewegungen zuständige Blaulichtrezeptor, das Phototropin, der morgens empfindlicher auf blaues Licht reagiert als am Nachmittag, die Ausrichtung nach Osten bewirkt. Messungen in den Blütenständen zeigten schließlich, dass sich nach Osten ausgerichtete Blütenstände morgens schneller erwärmen und daher attraktiver für Bestäuber sind.
Der Wechsel von bewegten Blüten bei jungen Pflanzen und ostwärts fixierten bei älteren bietet somit jeweils einen Vorteil für die Pflanze. Junge Pflanzen sind wüchsiger und können sich besser bei der Konkurrenz um Licht und Raum durchsetzen. Beim Wechsel von der vegetativen in die generative Phase bei älteren Pflanzen, wird die Befruchtung unterstützt, was sich positiv auf die reproduktive Fitness auswirkt. Letztlich ist bei Sonnenblumen eine ausgeklügelte Abstimmung der circadianen Rhythmik und der Reaktionen auf direkte Ereignisse in der Umwelt für die Bewegungen der jungen Sonnenblumen und auch für die Ausrichtung der Blütenstände älterer Sonnenblumen nach Osten verantwortlich, so dass Sonnenblumen sich durch diese Bewegungen einen ökologischen Vorteil verschaffen.
Quelle:
Atamian, H.S. et al. (2016): Circadian regulation of sunflower heliotropism, floral orientation, and pollinator visits. In: Science, Vol 353, 6299, (5. August 2016), doi: 10.1126/science.aaf9793.
Zum Weiterhören:
Podcast der University of California, Davis zum Thema (Englisch): Sunflowers
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Phototropismus: der Sonne entgegen
- Auxin macht beweglich
- Pflanzen im Blaulicht - Forscher finden weitere Ursache für Schattenflucht
- Höchste Zeit zu Blühen
Titelbild: Die Ausrichtung auf die Sonne verschafft jungen Sonnenblumen einen Wachstumsvorteil. (Bildquelle: © iStock.com/ your_photo)