Mechanismus zur Entstehung von Arten

05.11.2010 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Tetraploider (li.) & diploider Chromosomensatz (re.) bei Arabidopsis (Quelle: © Ramon Torres-Ruiz / TU München)

Tetraploider (li.) & diploider Chromosomensatz (re.) bei Arabidopsis (Quelle: © Ramon Torres-Ruiz / TU München)

Neben der geographischen Trennung von Individuen haben weitere Faktoren Einfluss auf die Entstehung von Arten. Der Frage, ob die Verdopplung (Polyploidie) des Erbguts einen Einfluss hat, untersuchte ein Forscherteam aus München.

Wenn Pflanzen neue Lebensräume erobern oder sich an eine verändernde Umwelt anpassen, profitieren sie von Fehlern im Erbgut. Zuweilen verdoppeln sie ihr gesamtes Erbgut. Dieser Prozess wird wissenschaftlich als Polyploidie bezeichnet. Obwohl das Erbgut selbst dabei unverändert bleibt, gerät das Regelwerk der Gene durcheinander. Die Polyploidie stellt somit einen potenziellen Evolutionsmechanismus dar, der bislang wenig beachtet wurde.

Anders als bei Tieren üblich besitzt ein großer Teil aller Blütenpflanzen ein Vielfaches des doppelten Chromosomensatzes. Ihre Zellen beherbergen vier, acht oder noch mehr Erbgutkopien. Im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte hatten praktisch alle Blütenpflanzenarten polyploide Vorfahren. Solche Verdopplungen, führten zu einer Vielzahl neuer Eigenschaften der Pflanzen. Ob diese hilfreich sein können, um neue Lebensräume zu besiedeln und langfristig zu neuen Arten führen, war die zentrale Frage der aktuellen Studie. 

Vorteile der Genomvervielfachung

Im Gegensatz zu Veränderungen einzelner Gene, deren Vorteile sich erst nach mehreren Generationen zeigen, führt Polyploidie sehr schnell, von einer Generation zur nächsten, zu einer Menge an Veränderungen. Bisher ging man jedoch davon aus, dass diese vor allem geschieht, wenn die Chromosomensätze verschiedener Pflanzenarten verschmelzen. Diese Form der Polyploidie, die Verschmelzung unterschiedlicher Genome, hat maßgeblich zum Artenreichtum beigetragen. Prominente Beispiele sind die Kohlgewächse (Brassicaceae), die Nachtschattengewächse (Solanaceae, mit Tabak, Kartoffel und Tomate), aber auch die Gräser (Gramineae) wie z.B. Weizen mit drei unterschiedlichen Genomen.

Dupliziert sich dagegen der Chromosomensatz ein und derselben Art, so unterscheiden sich die polyploiden Nachkommen augenscheinlich kaum von ihren Eltern, die nur halb so viele Genkopien besitzen. Entwicklungssprünge scheinen diese auto-polyploiden Pflanzen nicht zu verheißen. Dass dieser Weg der Verdopplung ebenfalls evolutionäres Potential besitzt, konnten die Forscher nun nachweisen. 

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Die molekularen Strukturen von auto-polyploider Pflanzen untersuchten die Forscher an der Modellpflanze Arabidopsis.

Die molekularen Strukturen von auto-polyploider Pflanzen untersuchten die Forscher an der Modellpflanze Arabidopsis.

Bildquelle: © GABI

Veränderte Genregulation durch Verdopplungen

Zur Untersuchung der molekularen Strukturen von auto-polyploider Pflanzen, wurden diese von den Forschern künstlich erzeugt. Dazu sorgten sie bei Pflanzen der Art Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) dafür, dass der Chromosomensatz in Pollen und Eizellen der Elternpflanzen nicht halbiert wurde, sondern doppelt erhalten blieb. Aus der Befruchtung entstanden dann polyploide Pflanzen mit einem vierfachen Chromosomensatz. Wie erwartet unterschieden sich die polyploiden Nachkommen äußerlich kaum von ihren Eltern. Doch als die Forscher analysierten, welche Gene von den Pflanzen wie stark aktiviert werden, erlebten sie eine Überraschung. Bei einigen Pflanzen fanden sie in mehr als 250 Genen zum Teil deutliche Unterschiede. Die betroffenen Gene waren an so grundlegenden Prozessen wir Photosynthese, Zellwandbau, Stressmanagement, Alterung und pflanzliche Verteidigung beteiligt.

Die Unterschiede weisen darauf hin, dass Auto-Polyploidie in der Evolution eine größere Rolle spielen könnte als bisher vermutet. Denn die Arabidopsis-Pflanzen vererbten die Auto-Polyploidie problemlos an die Folgegeneration. Damit können sich über die Veränderungen bei der Genaktivierung und Regulation auch völlig neue Eigenschaften etablieren. Tendenziell seien die Unterschiede von Auto-Polyploiden zu ihren Elternpflanzen zwar geringer, als wenn Chromosomensätze verschiedener Pflanzen miteinander verschmelzen, aber z.B. die Veränderung eines Transkriptionsfaktors kann zu gravierenden Veränderungen von Eigenschaften führen. Die Zunahme der Wüchsigkeit ist gerade bei Kulturpflanzen eine sehr erwünschte Eigenschaft von polyploiden Pflanzen.

Solche schnellen, subtilen Änderungen können zum Beispiel bei allmählichen Umweltveränderungen, die das Klima oder die Bodenbeschaffenheit betreffen, von Vorteil sein. Denn dramatische Erbgutveränderungen bergen immer auch das Risiko, dass die Nachkommen nicht lebens- oder fortpflanzungsfähig sind. Polyploide-Nachkommen sind in der Regel miteinander ohne Probleme kreuzbar und damit vermehrungsfähig. 


Quelle:

Zheng Yu Z et al. Impact of natural genetic variation on the transcriptome of autotetraploid Arabidopsis thaliana. PNAS (2010) 107 (41) S. 17809ff. doi: 10.1073/pnas.1000852107 (abstract).