„Rebenzüchtung ist eine Generationenaufgabe“

Interview mit Prof. Reinhard Töpfer

02.06.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Wir sprachen mit Reinhard Töpfer, dem Leiter des Instituts für Rebenzüchtung Geilweilerhof. (Bildquelle: © JKI)

Wir sprachen mit Reinhard Töpfer, dem Leiter des Instituts für Rebenzüchtung Geilweilerhof. (Bildquelle: © JKI)

Es gibt eine „Neue“ im Weinberg: Die Rebsorte „Calardis Blanc“ ist eine Neuzüchtung aus dem Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof des Julius Kühn-Instituts (JKI) und seit 25. März 2020 vom Bundessortenamt zugelassen. Wir sprachen mit dem Institutsleiter Prof. Dr. Reinhard Töpfer über den langen Weg bis zur zugelassenen Sorte und warum Konsumenten offen für Neues sein sollten.

Pflanzenforschung.de: Herzlichen Glückwunsch zur neuen Sorte! Der Name ist ungewöhnlich. Wie kamen sie auf ihn?

Prof. Töpfer: Im Laufe der Jahre wurden immer mehr Rebsorten mit Cabernet im Namen angemeldet. Wir wollten aber einen eigenständigen Namen für unsere Sorte. Das kann natürlich auch nachteilig sein, denn Cabernet ist im Markt eine sehr positiv besetzte Marke. Aber wir waren der Meinung, dass dieser Name mittlerweile inflationär verwendet wird. Daher haben wir uns letztlich für den Namen Calardis Blanc entschieden. Der Name ist eine Hommage an unseren Standort. Zur ersten Besiedelung kam es hier wahrscheinlich im 6. oder 7. Jahrhundert im Zuge der fränkischen Landnahme. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1184. Calardis ist eine Ableitung vom historischen Namen Calardiswilre oder Gailhardiswilre, dem heutigen Geilweilerhof.

Pflanzenforschung.de: Wie viele Jahre hat es bis zur Zulassung als Sorte gedauert?

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So sieht sie aus, die neue Rebsorte "Calardis Blanc". Klicken Sie sich hier auch durch unsere Bildstrecke zum Thema!

So sieht sie aus, die neue Rebsorte "Calardis Blanc". Klicken Sie sich hier auch durch unsere Bildstrecke zum Thema!

Bildquelle: © Ursula Brühl/JKI

Prof. Töpfer: Als Faustformel sagen wir immer: Rebenzüchtung dauert in der Regel 25 bis 30 Jahre. Das ist schon eine Generationenaufgabe! Die Kreuzung, aus der Calardis Blanc hervorging, haben wir 1993 durchgeführt. Dann kamen die einzelnen Selektionsschritte und nach insgesamt 27 Jahren erhielt das Julius Kühn-Institut den Sortenschutz und die Zulassung von Calardis Blanc. In diesem Zeitraum hat unsere Organisation zweimal den Namen gewechselt: 1993 waren wir noch die Bundesanstalt für Rebenzüchtung Geilweilerhof, dann Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen und heute das Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof des Julius Kühn-Instituts. So lange hat das alles gedauert (lacht).

Pflanzenforschung.de: Calardis Blanc ist eine weiße Rebsorte. Welche Eigenschaften hat sie und was unterscheidet sie von etablierten Sorten?

Prof. Töpfer: Wenn ich kurz ausholen darf: Rebenzüchtung geht auf die Einschleppung von Schaderregern im 19. Jahrhundert zurück. Das waren insbesondere Pilze, die Mehltau hervorrufen. Das Auftreten der neuen Schaderreger war auch der Auslöser für die Züchtung sogenannter pilzwiderstandsfähiger Rebsorten oder kurz PIWIs. Die traditionellen Rebsorten sind alle hoch anfällig für Pilze – ausnahmslos. Insofern benötigen sie erhebliche Mengen an Pflanzenschutzmitteln. Die hohen Spritzmengen zu vermeiden, ist schon lange ein Ziel und es hat 120 Jahre gedauert, bis die ersten widerstandsfähigen Sorten auf den Markt kamen – zum Beispiel die Rotweinsorte „Regent“, die ebenfalls von uns gezüchtet wurde.

Calardis Blanc hat eine hohe Widerstandsfähigkeit gegenüber mehreren Schaderregern: den Echten Mehltau, den Falschen Mehltau, Schwarzfäule und auch Botrytis. Sie hat darüber hinaus auch weitere Vorteile: einen aufrechten Wuchs und eine mittelspäte Reifezeit. Und natürlich eine ansprechende Weinstilistik.

Pflanzenforschung.de: Was bedeutet eine mittelspäte Reifezeit?

Prof. Töpfer: Gegenüber den meisten anderen neuen Sorten mit verbesserten Resistenzeigenschaften ist Calardis Blanc eher spät reif, etwa gegen Ende September. Das ist kurz vor dem Riesling und etwa drei Wochen später als Regent. Aber die Reifezeitpunkte der Sorten haben sich alle in den letzten Jahrzehnten verändert. Regent war, als ich Mitte der 90er Jahre hier im Institut anfing, noch auf den 27. September als statistischem Reifezeitpunkt datiert. Heute liegt er bei Anfang September. Das sind gut zwei bis drei Wochen früher als noch vor 25 Jahren!

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Auch "Regent" zählt zu den PIWIS, den pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Die Rotweinsorte wurde  ebenfalls am Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof gezüchtet.

Auch "Regent" zählt zu den PIWIS, den pilzwiderstandsfähigen Rebsorten. Die Rotweinsorte wurde  ebenfalls am Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof gezüchtet.

Bildquelle: © JKI

Pflanzenforschung.de: Der Klimawandel schlägt offensichtlich auch im Weinbau zu. Wie gehen Sie damit um?

Prof. Töpfer: Das ist inzwischen die zweite Triebfeder in der Rebenzüchtung. Der Klimawandel hat weitere Zwänge aufgebaut: Neu eingeschleppte Krankheiten und Schädlinge treten auf. Aber der Klimawandel bietet auch bessere Bedingungen für bereits vorhandene Erreger, vor allem wenn wir auch weniger chemischen Pflanzenschutz einsetzen wollen. Ein Beispiel ist die Schwarzfäule. Daher ist die Widerstandsfähigkeit von Calardis Blanc gegen Schwarzfäule eine sehr wichtige Eigenschaft.

Der Klimawandel wird auf jeden Fall zu einem größeren Sortenwandel führen. Zum Beispiel stellen wir fest, dass viele Winzer in ehemals traditionellen Riesling-Lagen heute andere Sorten anbauen. Der Riesling steht heute eher in den kühleren Lagen, beispielsweise in Nord- oder Ost-Lagen oder in höhere Zonen.

Pflanzenforschung.de: Sind auch Wetterextreme ein Problem?

Prof. Töpfer: Wenn man die vergangen Jahre Revue passieren lässt, zeigt sich: Im Jahr 2016 hat eine sehr lange Regenperiode den Falschen Mehltau stark begünstigt. 2017 gab es einen ungewöhnlichen Spätfrost mit erheblichen Ernteverlusten. 2018 führte eine Trockenheit zu sehr alkoholreichen und in ihrer Typizität veränderten Weinen, also hinsichtlich Geschmack, Farbe und Geruch. Ähnlich 2019, aber da kam noch zusätzlich vielerorts ein „Sonnenbrand“ hinzu, also eine Schädigung der Beerenhaut durch hohe Temperaturen und Sonneneinstrahlung. Die Beeren verbräunen und trocknen anschließend ein. Die Erträge in diesem Jahr gingen deshalb deutlich zurück. Wir registrieren also vermehrt schädliche Wetterextreme. Eine andere Konsequenz des Klimawandels ist, dass wir heute bei der Züchtung auf später reifende Reben selektieren.

Pflanzenforschung.de: Warum ist das notwendig?

Prof. Töpfer: Durch eine frühere Reife ändert sich die Weinstilistik. Die Trauben enthalten weniger Säure und zum Teil mehr Zucker. Es entstehen also säureschwache und alkoholreiche Weine. Aber nur die Balance zwischen Säure und Zucker bzw. Alkohol ergibt die spritzigen Weine, für die Deutschland als traditionelles Weißweinland berühmt ist. Da haben wir im internationalen Markt ein Alleinstellungsmerkmal. Durch die klimatischen Veränderungen werden Deutschlands Weinbauern zwar als Profiteur dastehen, aber ohne Sortenumstellung nur mit Einbußen im Geschmack. Da müssen wir gegensteuern.

Pflanzenforschung.de: Zurück zu Calardis Blanc: Von welchen Rebensorten stammt die neue PIWI-Sorte ab?

Prof. Töpfer: Die Mutter ist Calardis Musqué, die wir auch an unserem Institut gezüchtet haben. Sie wurde gekreuzt mit einer französischen Sorte, Seyve Villard 39-639. Beide bringen gute Resistenzeigenschaften und eine relativ gute Weinqualität mit. In Calardis Blanc haben wir die guten Eigenschaften der Eltern vereint und einige nachteilige Eigenschaften der beiden ausgemendelt, also rausgezüchtet.

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Der Echte Mehltau ist eine gefürchtete Pflanzenkrankheit, die durch Schadpilze verursacht wird.

Der Echte Mehltau ist eine gefürchtete Pflanzenkrankheit, die durch Schadpilze verursacht wird.

Bildquelle: © JKI

Pflanzenforschung.de: Weil sie gerade Mendel ansprechen: Calardis Blanc ist das Ergebnis einer klassischen Kreuzung. Aber glauben Sie, dass auch neue Züchtungsmethoden wie Genomeditierung zum schnelleren Züchtungsfortschritt bei Weinreben beitragen könnten?

Prof. Töpfer: Die neuen Züchtungsmethoden haben erhebliche Vorteile. Damit könnte man traditionelle Sorten verbessern. Reben werden vegetativ vermehrt, damit können wir an der bestehenden Sorte keine weiteren Änderungen mit traditionellen Methoden vornehmen. Wir können im besten Fall nach Mutanten suchen. Spätburgunder, Weißburgunder, Grauburgunder oder Schwarzriesling sind alle Formen aus der Burgunderfamilie, die jeweils Mutationen darstellen. Sie sind alle natürlich entstanden und wurden einfach nur gefunden.

Man könnte Mutationen aber auch bewusst und gezielt erzeugen und damit bestimmte Eigenschaften verbessern. Die Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten zum Beispiel. Da fehlt es in der Rebenzüchtung aber noch erheblich an Grundlagenwissen, um die Gen-Merkmals-Beziehungen so zu verstehen, dass man gezielt eingreifen könnte. Da ist noch viel Forschungsbedarf.

Pflanzenforschung.de: Einige vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsprojekte wollen die Phänotypisierung vorantreiben. Höhere Automatisierung, neue Bilderfassungssysteme und Sensoren. Kann auch die Rebenzüchtung davon profitieren?

Prof. Töpfer: Innovationen bei der Phänotypisierung können bei der Selektion enorm helfen. Dafür müssen sie aber schon so weit entwickelt sein, dass sie in die Anwendung gehen können. Das Problem bei der Rebe ist, dass pro Jahr im Idealfall ein Datenpunkt gesammelt werden kann, weil die Vegetationsperiode nur einmal im Jahr durchlaufen wird. Ich kann daher nur einmal die Reife oder den Ertrag bestimmen. Das ist dann auch die Krux bei Projekten, die drei Jahre lang laufen. Da hat man dann drei Ergebnisse und das ist erst der Anfang der Entwicklung. Bei Weinreben dauert es leider etwas länger. Aber wir sind sehr dankbar für die Unterstützung des BMBFs.

Pflanzenforschung.de: Welche vom BMBF finanzierten Projekte spielten bei der Züchtung von Calardis Blanc eine Rolle?

Prof. Töpfer: Neben unserem Forschungsprojekt „PHENO VINES“ war „GrapeReSeq“ ein sehr hilfreiches Projekt. Da wurden Resequenzierungen von Rebsorten in einem internationalen Konsortium durchgeführt. Dadurch hat die Markerentwicklung einen Schub bekommen. Forschungsprojekte sind immer nur die Initialzündung. Und dann muss man noch einmal ordentlich Arbeit hineinstecken, damit es auch in der Züchtungspraxis angewendet werden kann. Wir nutzen heute Marker ganz selbstverständlich in der Züchtung. Das ist eine tolle Entwicklung, die durch diese Forschungsprojekte möglich wurde.

Und die Entwicklung ist nicht stehengeblieben – wir arbeiten derzeit in einem BMBF-Projekt, das „Selection for Wine Quality“ oder kurz „SelWineQ“ heißt. Es ist gerade in die zweite Förderphase gegangen und ein Meilenstein für uns. Da geht es um die Markerentwicklung für Weinqualitätsparameter. Qualität ist ein sehr komplexes Merkmal und es gibt bisher keine Marker, mit deren Hilfe man die Weinqualität vorhersagen kann.

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Ziel des Forschungsprojekts „SelWineQ“ ist es, Vorhersagemodelle für die Weinqualität – ein sehr komplexes Merkmal – zu entwickeln und geeignete genetische Marker abzuleiten.

Ziel des Forschungsprojekts „SelWineQ“ ist es, Vorhersagemodelle für die Weinqualität – ein sehr komplexes Merkmal – zu entwickeln und geeignete genetische Marker abzuleiten.

Pflanzenforschung.de: Kommen wir noch einmal zurück auf Calardis Blanc. Was war rückblickend die größte Herausforderung – von der Züchtung bis zur Sorte?

Prof. Töpfer: Die große Herausforderung ist, alle Eigenschaften in Balance zu bringen: Resistenz, Qualität und andere vorteilhafte weinbauliche Eigenschaften. Eine Sorte ist eigentlich immer ein Kompromiss. Wir möchten möglichst viele Zuchtziele in optimaler Weise bündeln und damit dem Ideal, das sich der Züchter vorstellt, möglichst nahe kommen.

Pflanzenforschung.de: Welche geschmacklichen Eigenschaften zeichnen die Weiß- und Schaumweine aus, die aus Calardis Blanc produziert werden?

Prof. Töpfer: Es sind trockene, fruchtige Weißweine mit dezenten Stachelbeernoten oder von tropischen Früchten. Man merkt die Verwandtschaft zum Riesling – die Mutter stammt zur Hälfte vom Riesling ab. Zusammen mit der harmonischen Säure sind das spritzige Weine, die sehr gefragt sind. Die Sorte hat auch ein gutes Potenzial für Secco und Versektung.

Pflanzenforschung.de: Haben Sie Bedenken, dass Konsumenten skeptisch oder zurückhaltend auf eine neue Sorte reagieren? Greifen die meisten im Weinregal nicht eher zu bekannten Sorten wie Riesling und Co.?

Prof. Töpfer: Ich wünsche mir, dass die Weinkunden auf Entdeckungsreise gehen. Ich glaube, die Zeit ist reif für neue PIWI-Sorten. Es wird auch immer mehr über PIWIs in den Medien berichtet. Wer im Internet danach sucht, der findet interessante Winzer und Weine. Ich rate den Neugierigen einfach „PIWI“ einzugeben und dann bekommt man schnell einen Überblick zu den am Markt vorhandenen Sorten. Und dann einfach mal den einen oder anderen Wein probieren. Calardis Blanc-Weine wird man jetzt natürlich noch nicht im Supermarktregal finden, aber das wird nicht mehr allzu lange dauern. Da bin ich mir sicher!

Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!


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Titelbild: Wir sprachen mit Reinhard Töpfer, dem Leiter des Instituts für Rebenzüchtung Geilweilerhof. (Bildquelle: © JKI)