Redundanz überwinden

Multi-Knock identifiziert neue Genfunktionen

02.06.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Um Pflanzen besser an den Klimawandel anzupassen, muss man die Funktion ihrer Gene verstehen. Multi-Knock hilft dabei. (Bildquelle: © Wolfgang_Hasselmann / Pixabay)

Um Pflanzen besser an den Klimawandel anzupassen, muss man die Funktion ihrer Gene verstehen. Multi-Knock hilft dabei. (Bildquelle: © Wolfgang_Hasselmann / Pixabay)

Zwei, drei oder sogar zehn Gene mit der gleichen Funktion sind in Pflanzen keine Seltenheit. Diese Redundanz erschwert es, die Aufgaben einzelner Gene zu entschlüsseln. Dank der neu entwickelten Multi-Knock-Methode wird dieser Prozess vereinfacht. Das könnte auch die Züchtung beschleunigen.

Pflanzenzüchtung funktioniert nur, weil es zwischen den Individuen einer Art genetische Variation gibt. Schon vor tausenden von Jahren haben Menschen Pflanzen mit den besten Eigenschaften ausgewählt, sie gekreuzt und darauf gehofft, dass die guten Eigenschaften sich in den Nachkommen vereinen. Inzwischen ist es dank moderner molekularbiologischer Methoden auch möglich, vorteilhafte Gene zu identifizieren und gezielt in Pflanzen einzubringen oder nachteilige Gene auszuschalten.

Allein: Man muss die Funktion der Gene kennen. Und von sehr vielen Genen ist bisher eben noch nicht bekannt, welche Aufgaben im Organismus ihnen zukommen. Das liegt unter anderem daran, dass gerade bei Pflanzen genetische Redundanz weitverbreitet ist. Oft gibt es für eine bestimmte Aufgabe in der Zelle nicht nur ein Gen, sondern zwei, drei oder sogar zehn. Grund dafür ist, dass häufig ganze Genome oder zumindest Teile davon mehrfach vorliegen. Fachleute sprechen dann von paralogen Genen. Wird eines dieser Gene deaktiviert, übernehmen einfach die anderen paralogen Gene die entsprechende Funktion. Der Phänotyp der Pflanze ist dann unauffällig.

Multi-Knock schaltet paraloge Gene aus

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"Gene zum Schweigen gebracht - der faszinierende Mechanismus der RNA-Interferenz" 

Videoquelle: © Spektrum Verlag

Die Genfunktion erkennt man erst, wenn man alle Gene mit der gleichen Eigenschaft ausschaltet. Mit bisherigen Methoden wie der RNA-Interferenz oder der Künstlichen Micro-RNA (artificial micro RNA = amiRNA) ist dies jedoch nicht möglich, weil sie in wichtigen Nahrungspflanzen nicht gut funktionieren und außerdem die Genexpression nur unterdrücken, aber nicht komplett unterbinden.

Ein internationales Forschungsteam hat jetzt eine neue Methode entwickelt, mit der sich zahlreiche redundante Gene gleichzeitig ausschalten lassen. „Multi-Knock“ nennen die Wissenschaftler:innnen ihr Vorgehen, weil eben viele Gene gleichzeitig ausgeschaltet werden (im Englischen: Knock-out).

Erst Computer, dann Gewächshaus

Der erste Schritt bestand darin, am Computer etwa 60.000 single-guide RNAs (sgRNA) zu designen, die an alle Gene aus einer paralogen Genfamilie binden können. Anschließend wurden diese sgRNAs im Labor hergestellt und in Plasmide eingebracht. Auf den Plasmiden befand sich auch das CRISPR-Cas9-System. Als nächstes wurden die Plasmide mittels der Flower-Dip-Methode in die Modellpflanze Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) eingebracht. Zeigte sich ein veränderter Phänotyp, wussten die Forscher:innen, welche Genfamilie hierfür verantwortlich war: nämlich die, die sie mit Hilfe von CRISPR-Cas9 ausgeschaltet hatten.

In ihrer Studie fokussierte sich das Team zunächst auf Transportproteine. Sie konnten zahlreichen Genen neue Funktionen zuordnen, unter anderem fanden sie den ersten Cytokinin-Transporter in pflanzlichen Tonoplasten.

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Von links nach rechts: Prof. Itay Mayrose und Prof. Eilon Shani von der Tel Aviv Universität.

Von links nach rechts: Prof. Itay Mayrose und Prof. Eilon Shani von der Tel Aviv Universität.

Bildquelle: © Tel Aviv Universität

„Die neue Methode, die wir entwickelt haben, wird voraussichtlich eine große Hilfe bei der Grundlagenforschung sein, wenn es darum geht, Prozesse in Pflanzen zu verstehen, aber auch darüber hinaus hat es eine enorme Bedeutung für die Landwirtschaft: Sie ermöglicht es, effizient und akkurat die Gene zu identifizieren, die für bestimmte Eigenschaften verantwortlich sind, sei es die Toleranz gegenüber Trockenheit, Pflanzenschädlingen oder -krankheiten, oder höhere Erträge“, sagt Eilon Shani, Professor an der Tel Aviv Universität in Israel, der die Studie gemeinsam mit seinem Kollegen Itay Mayrose geleitet hat.

„Wir glauben, dass dies die Zukunft der Landwirtschaft ist: kontrollierte und zielgerichtete Verbesserung von Nutzpflanzen in großem Maßstab. Wir wenden die Methode, die wir entwickelt haben, schon mit großem Erfolg bei Reis und Tomatenpflanzen an, und wir haben vor, sie noch auf andere Nutzpflanzen auszuweiten“, so Shani weiter.

Letzte Hürde: Transformation

Eine Hürde für die breitere Anwendung der neuen Methode ist bisher noch die Transformation der Pflanzen. Arabidopsis lässt sich dank der Flower-Dip-Methode relativ einfach transformieren. Bei anderen, landwirtschaftlich wichtigen Arten muss hingegen auf die Transformation mit Agrobakterien zurückgegriffen werden. Die ist aufgrund der Arbeit mit Gewebekultur sehr zeitaufwändig und zudem nicht sehr effizient. Daher liegt hier noch ein Flaschenhals, der mit neuen Methoden wie viralen Vektoren oder Nanopartikel-basierten Transportsystemen überwunden werden könnte.

Außerdem muss von den Pflanzen, deren Gene untersucht werden sollen, qualitativ hochwertige Genomsequenzdaten vorliegen. Bei den meisten wichtigen Nahrungspflanzen ist dies jedoch bereits der Fall.

Welches hohe Potential die Erfinder ihrer Multi-Knock-Methode zusprechen, zeigt sich unter anderem darin, dass sie bereits ein Start-up gegründet haben, dass es sich zum Ziel gesetzt hat, diese Methode bei unterschiedlichen Nahrungspflanzen kommerziell anzuwenden.


Quelle:
Hu, Y., Patra, P., Pisanty, O. et al. Multi-Knock—a multi-targeted genome-scale CRISPR toolbox to overcome functional redundancy in plants. Nat. Plants 9, 572–587 (2023). https://doi.org/10.1038/s41477-023-01374-4

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Titelbild: Um Pflanzen besser an den Klimawandel anzupassen, muss man die Funktion ihrer Gene verstehen. Multi-Knock hilft dabei. (Bildquelle: © Wolfgang_Hasselmann / Pixabay)