Schneller editieren und selektieren

Forschende stellen die Methode des „Retron Library Recombineering“ vor

18.05.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Praxistests an E.coli-Bakterien waren erfolgreich. (Bildquelle: © gemeinfrei / Gerd Altmann / Pixabay)

Praxistests an E.coli-Bakterien waren erfolgreich. (Bildquelle: © gemeinfrei / Gerd Altmann / Pixabay)

Mutationen erzeugen, wünschenswerte Phänotypen auswählen und den zugehörigen Genotyp identifizieren – vor dieser Aufgabe stehen Züchter:innen immer wieder. Eine neue Methode könnte ihnen künftig Zeit sparen – zumindest bei Bakterien hat sie schon funktioniert.

Genetische Varianten zu erzeugen, ist seit Jahrzehnten das Grundwerkzeug der Pflanzenzüchtung. Doch die Mutationszüchtung hat die Schwierigkeit, dass attraktive Phänotypen erst im Anbau identifiziert werden müssen – und dann ist der zugrundeliegende Genotyp zunächst unklar. Zumindest für Bakterien hat ein internationales Forschungsteam nun eine sehr schnelle Methode vorgestellt, um mit hoher Effizienz Mutationen in ein Genom einzufügen und dem jeweiligen Phänotyp die ursächliche Mutation zuzuordnen: „Retron Library Recombineering“, kurz RLR, haben die Fachleute ihr Verfahren getauft. Dabei ist „Recombineering“ eine Verkürzung des „Recombinogenic Engineering“, also der Geneditierung auf Grundlage der homologen Rekombination.

Mutationen im Hochdurchsatzverfahren

Das Forschungsteam verfolgte damit eine wichtige Fragestellung der Genforschung: Wie füge ich im Hochdurchsatzverfahren Mutationen ins Genom ein und bringe die resultierenden Phänotypen mit den jeweiligen Mutationen in Zusammenhang? Reverse Genetik nennt sich diese zunehmend populäre Methode, bei der systematisch und gezielt neue Genotypen erzeugt und der resultierende Phänotyp ermittelt wird. So können Forscher:innen letztendlich auf die Funktion eines mutierten Gens rückschließen.

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Genetische Varianten zu erzeugen, ist seit Jahrzehnten das Grundwerkzeug der Pflanzenzüchtung.

Genetische Varianten zu erzeugen, ist seit Jahrzehnten das Grundwerkzeug der Pflanzenzüchtung.

Bildquelle: © Darwin Laganzon / Pixabay

Um parallel gleich zahlreiche Mutationen in einem Pool bakterieller Klone erzeugen zu können, sind in jüngerer Vergangenheit eine Reihe von Methoden entwickelt worden, darunter Transposon-Insertionen, Marker-Integrationen und die CRISPR-Inhibierung. Diese Mutationsverfahren beruhen jedoch auf Veränderungen der DNA in der Größenordnung von Kilobasen und sind für die evolutionär so bedeutsamen Punktmutationen ungeeignet.

Punktmutationen durch Retrons

Für Präzisionseingriffe wie Punktmutationen gibt es zwar mit dem Oligonukleotid-Recombineering eine erprobte Methode, jedoch erleichtert dieses Verfahren es nicht, Phänotyp und Mutation einander zuzuordnen. Die Mutanten im Pool müssen vereinzelt, genotypisiert und phänotypisiert werden – ein Flaschenhals in dem auf Hochdurchsatz ausgerichteten Verfahren. Diesen Engpass umgeht die neue Methode RLR, die dazu auf sogenannte Retrons setzt.

Retrons sind DNA-Sequenzen aus dem Genom von Prokaryoten, die für das Enzym Reverse Transkriptase und eine Mehrkopien-Einzelstrang-Satelliten-DNA (msDNA) kodieren. Erst seit 2020 ist die Funktion dieser Retrons aufgeklärt: Mit ihnen verteidigen Bakterien sich gegen Phagen. Die Retron-msDNA kann spezifische Geneditierungen auslösen. Zum Werkzeug der Gentechnik wird sie, indem das Retron so entworfen wird, dass es eine Einzelstrang-DNA (ssDNA) erzeugt, die die gewünschte Mutation, umgeben von einer zum Zielort homologen Sequenz, beinhaltet. Während sich der DNA-Strang des Bakteriums repliziert, bindet die ssDNA an eine Seite des geöffneten Doppelstrangs und die Mutation wird eingebaut.

Barcode für die schnelle Zuordnung

Für den Hochdurchsatzansatz hat das Forschungsteam eine ganze Bibliothek von Plasmiden mit unterschiedlichen Retrons gleichzeitig eingesetzt – denkbar sind mehrere Millionen Plasmide simultan. Die Retronsequenzen dienen dabei zugleich als Barcodes. Durch deren Sequenzierung lassen sich Mutanten mit dem gewünschten Phänotyp dann problemlos einem bestimmten Genotyp zuordnen.

Als Handycap erwies sich in der Praxis der zelleigene Reparaturmechanismus, der Fehlpaarungen bei der DNA-Replizierung ausbessert. Schalteten die Wissenschaftler:innen diesen aus, verbesserte sich die Effizienz der Editierung um das 150-fache. Ähnlich stark war der Effekt, wenn das Team wichtige Endonuklease-Gene temporär ausschaltete. Auf diese Weise konnten innerhalb einer Bakterienpopulation nach mehreren Generationen Editierungseffizienzen von durchschnittlich 92 Prozent erzielt werden.

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Die neue Methode RLR dürfte mittelfristig auch für die Pflanzenzüchtung interessant werden.

Die neue Methode RLR dürfte mittelfristig auch für die Pflanzenzüchtung interessant werden.

Bildquelle: © iStock.com/Avalon_Studio

Perspektivisch könnte die Methode ohne den Knockout von Endonuklease und Fehlpaarungskorrektur erfolgreich sein, so die Hoffnung des Teams. Letztere könnte durch dominant-negative Allele ausreichend unterdrückt werden. Ersetzten die Forschenden zudem das in E. coli übliche DNA-Einzelstrang bindende Protein Redβ durch das entfernt verwandte CspRecT, ließ sich die Effizienz zum Teil bereits um mehr als das Zwölffache steigern.

Erfolgreicher Praxistest

Um die neue Methode in der Praxis zu testen, zerkleinerten die Forscher:innen die DNA eines E. coli-Stammes mit besonders starker Resistenz gegen das Antibiotikum Trimethoprim und bauten diese Fragmente in RLR-Plasmid-Bibliotheken ein. Den mit diesen Plasmiden konfrontierten Bakterienpool selektierte das Team mittels Trimethoprim. Anhand der RLR-Sequenzen der überlebenden Bakterien ließ sich die genetische Ursache der außergewöhnlichen Trimethoprim-Resistenz auf zwei Punktmutationen eingrenzen, die jede für sich die Resistenz erhöhen.

Charmant ist die RLR-Methode allemal, benötigt sie doch nur eine geeignete Donorsequenz für das Retron und keine weiteren Leitsequenzen wie beispielsweise bei CRISPR, wo die Effizienz mit steigender Entfernung zur Zielsequenz sinkt. Noch gibt es jedoch schwerwiegende Einschränkungen: Die hinreichend hohe Effizienz wird erst durch Mutationen über mehrere Generationen hinweg erreicht, was bei wachstumsbremsenden oder gar letalen Mutationen schlecht funktioniert. Außerdem ist es oft nicht erwünscht, die Fehlpaarungskorrektur auszuschalten.

Sicherlich wird es zudem dauern, bis RLR Eingang in die Pflanzenzüchtung findet, zumal dort nicht auf Basis einzelner Zellen selektiert wird. Doch da sich die nötigen Konstrukte in E. coli erzeugen und dann in anderen Organismen einsetzen lassen, dürfte RLR mittelfristig auch für Pflanzengenetiker interessant werden.


Quelle:
Schubert, M. G. et al. (2021): High-throughput functional variant screens via in vivo production of single-stranded DNA. In: PNAS, Vol. 118, No. 18, (4. Mai 2021), doi: 10.1073/pnas.2018181118.

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Titelbild: Praxistests an E.coli-Bakterien waren erfolgreich. (Bildquelle: © gemeinfrei / Gerd Altmann / Pixabay)