Totgesagte klonen länger
Apomiktische Pflanzen sind für Züchter und Landwirte interessant
Apomixis ist Fortpflanzung ohne Befruchtung, also nur Arbeit ohne Spiel. Da apomiktische Pflanzen ihr Erbgut nie mit anderen Individuen vermischen, wurde ihnen ein schnelles Aussterben prophezeit. Tatsächlich sind ihre Mutationsraten zwar hoch, aber dem Erfolg tut das keinen Abbruch. Landwirte und Züchter wünschen sich sogar Feldfrüchte, die nicht bei jeder Generation ihre Eigenschaften verändern.
Die Kosten sind hoch, der Nutzen ebenso. Die Rede ist von der sexuellen Fortpflanzung. Der Energieaufwand dabei ist nicht zu unterschätzen, aber die Neukombination des Erbguts ist einfach zu verlockend. Schädliche Mutationen können aussortiert werden, weil nur die Hälfte der eigenen Chromosomen an den Nachwuchs weitergereicht wird und ganz nebenbei werden auch noch neue Eigenschaften erworben. Wer wollte da schon nein sagen.
Es gibt tatsächlich ein paar Verweigerer, die Apomikten, die sowohl bei Tieren als auch bei Pflanzen zu finden sind. Sie halten nicht viel von Befruchtung und bilden Samen aus, die genetisch mit der Mutterpflanze identisch sind. Mit jeder Generation entstehen also viele kleine Klone, die wiederum Klone bilden, und so weiter.
Die Pflanzen sind quicklebendig und anpassungsfähig – zum großen Erstaunen der Forscher
Folgt man der Argumentation des US-amerikanischen Genetikers Hermann Joseph Muller, dann sind solche asexuellen Spezies dem Tode geweiht. Sie würden schädliche Mutationen anhäufen, von denen sie sich nicht befreien könnten (Muller’s ratchet). Doch allen Unkenrufen zum Trotz sind apomiktische Arten quicklebendig. Einige von ihnen bevölkern schon seit hundert Millionen Jahren die Erde und da sich die Biologen nicht erklären können, wie das möglich ist, sprechen sie vom „apomiktischen Skandal“.
Timothy Sharbel vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK Gatersleben) forscht schon lange an Apomikten. Er will verstehen, wie und vor allem warum auf einmal der Schalter von sexueller Vermehrung auf Apomixis umgelegt wird. Seine neuesten Ergebnisse beschäftigen sich mit dem Hahnenfuß (Ranunculus auricomus), in dessen Gattung es sowohl sexuell-vermehrende als auch apomiktische Pflanzen vorkommen. “Es gibt eine Reihe von Theorien, die zu erklären versuchen, warum die eine oder andere Art der Fortpflanzung besser ist“, so Sharbel. „Und es gibt keine einfache Antwort.“
Sexuelle Fortpflanzung entfernt schädliche Mutationen
Denn was genau Apomixis auslöst, darüber herrscht weitgehend Unklarheit. Ein paar Hinweise gibt es jedoch, und denen ist Sharbels Arbeitsgruppe nachgegangen. Da wäre zum Beispiel die Tatsache, dass apomiktische Pflanzen häufig eine Hybridisierung hinter sich haben, also von zwei verschiedenen Elternpflanzen abstammen, und mehr als zwei Chromosomensätze besitzen. „Beim Hahnenfuß konnten wir ganz klar zeigen, dass nur die Hybride sich apomiktisch vermehren, während die anderen Arten noch auf sexuelle Fortpflanzen setzen“, so Sharbel.
Außerdem fanden die Forscher heraus, dass im Genom von Apomikten wesentlich mehr nicht-synonymen Mutationen auftreten. Synonyme Mutationen sind diejenigen, bei denen sich zwar eine Base im DNA-Strang ändert, das Protein aber nicht. Diese Mutationen bleiben meist folgenlos und unbemerkt. Die nicht-synonymen Mutationen sind die gefährlichen, denn hier führt das veränderte Basenpaar auch zu einer Veränderung der Proteinfunktion. Im schlechtesten Fall führen diese Mutationen zu einem vollständigen Funktionsverlust. „Die Apomikten neigen dazu, nicht-synonyme Mutationen anzuhäufen, weil sie keine Gelegenheit haben, sich davon zu befreien“, erklärt Sharbel.
Trotzdem wünschen sich Züchter apomiktische Pflanzen, denn die Vorteile für die Landwirtschaft sind nicht von der Hand zu weisen. Pflanzen, die sich bisher nur vegetativ, also über Knollen, Bulben oder Ausläufer, vermehren, könnten Samen produzieren, die mit der Mutterpflanze identisch und somit für die Aussaat geeignet sind. Zurzeit werden noch etwa zehn Prozent der Kartoffelernte als Pflanzmaterial für das nächste Jahr gebraucht, bei Cassava ist die Lage ähnlich. Das sind zehn Prozent, die als Nahrungsmittel fehlen.
Apomixis bringt viele Vorteile für Züchter und Bauern
Auch die Züchtungsarbeit selbst wäre einfacher. Zahlreiche wilde Verwandte unserer Kulturpflanzen besitzen Gene, die für die Pflanzenzüchter hochinteressant sind, weil sie Resistenzen gegen Krankheiten oder widrige Umweltbedingungen vermitteln. Doch an die Schätze in diesen sekundären oder tertiären Genpools kommt man nicht so einfach heran, weil Kreuzungen zwischen Wildpflanzen und Nutzpflanzen oft unfruchtbare Nachkommen zur Folge haben. Apomixis könnte dieses Problem lösen.
Nicht zuletzt sei auf den 50 Milliarden Dollar schweren Saatgutmarkt verwiesen. Der Verband der Internationalen Saatgutindustrie (ISF) schätz, dass etwa ein Drittel davon auf Hybridsaatgut entfällt, aus dem besonders ertragreiche und robuste Pflanzen entstehen. Doch das muss jedes Jahr neu hergestellt werden, denn die Samen der Hybride selbst eignen sich nicht zur Wiederaussaat, da ihr Erbgut nicht mehr dem der leistungsstarken Eltern entspricht. Auch hier könnte der Heilsbringer die Apomixis zu sein. Die Ertragskraft der Hybride, ihre Vitalität und Stärke, könnte fixiert und unverändert von einer Generation an die nächste weitergereicht werden.
Mehr als 400 Arten zeigen Apomixis, aber keine einzige bedeutende Kulturpflanze ist dabei
Dumm nur, dass sich keine einzige wirtschaftlich bedeutende Pflanze geneigt zeigt, in Zukunft auf Befruchtung zu verzichten und trotzdem Samen zu produzieren. Trotz einiger Euphorie in den achtziger und neunziger Jahren, haben die Forscher bisher nicht herausgefunden, was genau notwendig ist, damit Pflanzen ins Zölibat gehen und die Bienen vergessen. Ein paar Hinweise gibt es zwar, doch die sind relativ vage.
Die Versuche, Apomixis aus nahe verwandten Arten in Kulturpflanzen wie Mais oder Weizen einzukreuzen, waren allesamt erfolglos. Inzwischen konzentrieren sich die Forscher auf Mutagenese-Experimente oder gentechnische Ansätze.
Eine der größten Herausforderungen ist das Endosperm. Dieses Gewebe versorgt den Embryo mit Nährstoffen und ist bei Pflanzen triploid. Zwei mütterliche Genome plus ein väterliches Genom, da sind die Regeln streng. Während also die Eizelle nicht befruchtet werden muss, ist das Endosperm bei den meisten Apomikten eben doch auf ein Pollenkorn angewiesen, damit es sich richtig entwickeln kann. „Oft überleben Samen nicht, weil das Endosperm nicht funktioniert“, erläutert Sharbel.
Doch auch hier machen die Forscher Gruppe Fortschritte. „Wir arbeiten zurzeit noch mit Arabidopsis, aber wenn das erfolgreich ist, möchten wir endlich an die Feldfrüchte ran“.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Vermehrung ohne Sex – Apomixis, Chance für die Pflanzenzüchtung
- Mechanismus zur Entstehung von Arten
- Apomixis
Quellen:
Pellino, M. et al. (2013): Asexual genome evolution in the apomictic Ranunculus auricomus complex: examining the effects of hybridization and mutation accumulation. In: Molecular Ecology (online 6. November 2013), doi: 10.1111/mec.12533
Grossniklaus, U. et al. (2004): Apomixis technology development – virgin births in farmers’ fields? In: Nature Biotechnology 22(6):687-91 (online 28.Mai 2004), doi: 10.1038/nbt976
Titelbild:
Einige Arten des Hahnenfuß vermehren sich erst nach einer Bestäubung, andere bilden alleine Samen aus, die mit dem Erbgut der Mutterpflanze identisch sind. (Quelle: iStockphoto.com/ alkir)