Wildnis in Gefahr

Die Landwirtschaft bedroht die letzten natürlichen Regionen der Erde

21.11.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Arktische Wildnis: Noch nahezu unberührt, aber vom Klimawandel und der mit ihm nach Norden vorrückenden Landwirtschaft bedroht.(Bildquelle: © Mario Hagen / Pixabay)

Arktische Wildnis: Noch nahezu unberührt, aber vom Klimawandel und der mit ihm nach Norden vorrückenden Landwirtschaft bedroht.(Bildquelle: © Mario Hagen / Pixabay)

Landwirtschaftliche Nutzflächen dehnen sich klimabedingt in Richtung der Pole aus. Dadurch sind die letzten Wildnisgebiete in Gefahr, mahnen Forscher:innen. Der Schutz dieser Gebiete sei für das Überleben der Menschheit unabdingbar.

Es ist absehbar, dass sich die landwirtschaftlich genutzten Gebiete mit dem Klimawandel verschieben: Aktuell genutzte Ackerflächen werden teilweise durch Trockenheit, Überflutung und Versalzung unbrauchbar, dafür könnten neue Flächen dazu gewonnen werden, vor allem in arktischen Regionen. Das bedroht bisher nahezu unberührte Wildnisgebiete mit ihrer einmaligen Artenvielfalt. Forscher:innen haben nun in einer Studie berechnet, wie weit sich die Landwirtschaft in diese Regionen ausdehnen könnte.

Grenze des Ackerbaus

Die Forscher:innen modellierten als erstes die zukünftigen Erträge für 1.708 Nutzpflanzensorten sowie ihre zukünftige Anbauregionen im Zuge des Klimawandels. Dazu nutzten sie Klimadaten der FAO für die Zeiträume von 2008 bis 2019 und Prognosedaten für 2050 bis 2061 unter zwei verschiedenen Szenarien: eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur um 4,5 Grad und bzw. um 8,5 Grad. Sie ermittelten außerdem für die untersuchten Zeiträume die ackerbaulichen Grenzen, ab denen ein Anbau von Nutzpflanzen jeglicher Art unmöglich ist bzw. sein wird. Auf diese Weise konnten sie festlegen, wo aktuell die noch unberührte Wildnis beginnt und welchen zusätzlichen Flächenbedarf die Landwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten beanspruchen könnte.

Der Flächenbedarf der zukünftigen Landwirtschaft

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Nutzpflanzen, die sich gut in gemäßigten Klimaten anbauen lassen wie etwa Kartoffeln, werden den größten zukünftigen Bedarf an Wildnisfläche haben.

Nutzpflanzen, die sich gut in gemäßigten Klimaten anbauen lassen wie etwa Kartoffeln, werden den größten zukünftigen Bedarf an Wildnisfläche haben.

Bildquelle: © Hans / Pixabay

Dabei kam heraus, dass bei einer Zunahme der Durchschnittstemperatur um 8,5 Grad bis Mitte des Jahrhunderts sich die ackerbauliche Grenze so stark polwärts verschieben würde, dass global 2,75 Millionen Quadratkilometer Wildnis verloren gehen könnten. Stiege die Temperatur nur um 4,5 Grad an, wären es immer noch 1,85 Millionen Quadratkilometer. Die zwölf wichtigsten Nutzpflanzensorten würden dabei auf etwa acht Prozent der Flächen wachsen, die heute noch Wildnisregionen sind. Während überwiegend tropische Nutzpflanzen wie Reis nur 1,9 Prozent dieser Fläche in Anspruch nehmen würden, kämen Nutzpflanzen der gemäßigten Breiten auf einen ungleich höheren Flächenanteil: Weizen mit 11,6 Prozent, Kartoffeln mit 26,6 Prozent oder Zwiebeln mit 36,7 Prozent.

Der Norden wäre besonders betroffen

Der klimabedingt expandierende Ackerbau würde nach den Berechnungen vor allem Regionen auf der Nordhalbkugel wie den Norden Kanadas, Russlands sowie Alaska betreffen. Die Ökosysteme dieser Regionen sind heute noch nahezu intakt und eine Expansion des Ackerbaus in diese Bereiche würde die dortige Biodiversität stark bedrohen. Auch das Ungleichgewicht der Lebensmittelproduktion zwischen den Entwicklungsländern im Süden und den Industrienationen im Norden würde sich noch weiter verschärfen, stellten die Forscher:innen fest.

Gleichzeitig prognostizierten sie, dass andere Regionen im Zuge des Klimawandels für den Ackerbau zunehmend ungeeignet und damit wieder potentielle Wildnisareale werden könnten. Allerdings weisen sie darauf hin, dass diese Regionen jetzt schon oftmals sehr trocken und nicht gerade durch ihre Artenvielfalt auszeichnen. Dazu kommt, dass Arten aus verschiedensten Gründen am Einwandern in diese Regionen gehindert werden könnten. Daher sei es unwahrscheinlich, dass sich diese Areale in eine artenreiche Wildnis zurückentwickeln.

Ertragssteigerungen ohne Wildnisverlust!

Die Forscher:innen kommen zum Schluss, dass die Nutzung neuer Anbauregionen im Zuge des Klimawandels die globale landwirtschaftliche Produktion möglicherweise sogar insgesamt erhöhen kann. Allerdings warnen sie eindringlich vor den Biodiversitätsverlusten in den neu erschlossenen Gebieten. Denn diese Gebiete, so das Forschungsteam, seien unverzichtbar im Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen, da hier z.B. Moore und Wälder als wichtige CO2-Senken fungieren. Auch enthalten diese Gebiete eine hohe biologische und kulturelle Vielfalt, die bewahrt werden muss, um die Ökosysteme intakt zu halten.

Daher ihr Appell: Die globale landwirtschaftliche Produktion sollte auf anderem Wege erhöht oder ausgeglichen werden. In Frage kommen Ertragssteigerungen durch den Anbau klimaangepasster Sorten auf den bestehenden Flächen und effizientere Anbaumethoden. Ebenso sei ein verändertes Konsumverhalten wichtig, also ein geringerer Fleischkonsum und weniger weggeworfene Lebensmittel. Keinesfalls dürfe die letzte Wildnis dafür geopfert werden, da ihr Verlust für die Menschheit unabsehbare und vor allem unumkehrbare Folgen hätte, so die Mahnung der Studienbeteiligten.


Quelle:
Gardner, A. S. et al (2023): Wilderness areas under threat from global redistribution of agriculture. In: Current Biology 33, 4721 – 4726, 6. November 2023. dx.doi.org/10.1016/j.cub.2023.09.013

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Titelbild: Arktische Wildnis: Noch nahezu unberührt, aber vom Klimawandel und der mit ihm nach Norden vorrückenden Landwirtschaft bedroht.(Bildquelle: © Mario Hagen / Pixabay)